Freilichtbühne Augsburg Am Roten Tor, Premiere 17. Juni 2023
Einer für Alle und Alle für Einen!
Was für eine grandiose Wahl des Staatstheaters Augsburg, genau dieses Musical-Spektakel auf den diesjährigen Spielplan der wundervollen Freilichtbühne am Roten Tor zu setzen. Soviel schon vorab: Alles richtig gemacht, dieses Stück passt so perfekt in diese stimmungsvolle Open Air Location mit ihren so vielfältigen und weitläufigen Spielebenen, eingebettet in alten Baumbestand.
Ein angenehm warmer Juniabend mit lauem Lüfterl, ein überaus gut gelauntes Publikum, hoch engagierte Künstler, die oftmals mit über 50 Darstellenden die Bühne bevölkern, eine allen bestens bekannte Mantel- und Degen-Abenteuer-Geschichte mit prachtvollen Kostümen, rasanten Fechtszenen, einem spielfreudigen Ensemble.
Und nicht zu vergessen eine von den niederländischen Bolland-Brüdern kreierte kraftvolle Partitur mit unzähligen Hits und Ohrwürmern, schwungvoll dargeboten von den Augsburger Philharmonikern – was will man mehr in diesen Zeiten, in denen man nun umso dankbarer ist für ein paar Stunden des Eintauchens in beste Unterhaltung und Abschalten-Könnens von einer Welt, die in den letzten drei Jahren so aus den Fugen geraten ist.
„Heut ist der Tag“, inbrünstig und bis zum Haaransatz voll naiv überbordendem Heldenmut macht sich der junge Gascogner D’Artagnan mit seinem Pferd Pomme-de-Terre auf den Weg nach Paris, um seinen Lebenstraum, wie einst sein Vater ein Musketier am Hofe des Königs zu werden, zu verwirklichen.
Apropos Pferd: Pomme-de-Terre ist der absolute Publikumsliebling an diesem Premierenabend, heimst ohrenwackelnd und sichtlich stolz den größten Applaus ein – völlig zu Recht, was für ein entzückendes Geschöpf, mit großer Ausdruckskraft und eigenwilligem Charme. Seine wenigen Auftritte im ersten Akt sind wahre Highlights. Wie einem kleinen Vermerk im Programmheft zu entnehmen ist, stammt das Pferdchen als Leihgabe aus dem Bestand der Stage Entertainment einer früheren Produktion. Gut so, dies zum Thema Nachhaltigkeit und Wiederverwertung 😊.
Die Geschichte der 3 Musketiere des literarischen Weltbestsellers von Alexandre Dumas darf als allseits bekannt vorausgesetzt werden, daher hier folgend anhand der aussagekräftigen Szenenfotos von © Jan-Pieter Fuhr ein komprimierter Verlauf der Geschichte:
Der nassforsche Grünschnabel D’Artagnan stolpert, kaum in Paris angekommen, von einem Fettnäpfchen in das nächste, fordert unwissend mal gleich die Musketier-Haudegen Athos, Porthos und Aramis zum Duell.
Dies wird gerade noch vereitelt durch das Auftauchen des einäugigen Hauptmanns Rochefort, geradezu sklavisch ergebener Anführer der Garde des mächtigen Kardinals Richelieu. Die königstreuen Musketiere sind sowohl dem Kardinal als auch dem Hauptmann ein Dorn (im verbliebenen einzigen) Auge.
Kardinal Richelieu, der die Regierungsgeschäfte Frankreichs stets unter vorrangiger Priorisierung seiner verblendeten Interessen des „wahren Glaubens“ vollzieht, spinnt durchtrieben und intrigant seine Fäden und bedient sich dabei unter anderem den erzwungenen Diensten von Milady de Winter.
Diese wurde als 15-jähriges Mädchen von einem Kirchenmann mißbraucht und dann von der verlogenen Kirchenobrigkeit als Hure gebrandmarkt, an den Pranger gestellt und verbannt. Nun kehrt sie zurück nach Paris und kämpft verzweifelt um ihre Rehabilitation. Und, wie sich herausstellt, um ihre große verlorene Liebe zum Musketier Athos.
Apropos Liebe: auch D’Artagnan trifft diese wie ein Blitz, als er der anmutigen Constance, Zofe von Königin Anna, angesichtig wird.
Das französische Königspaar bilden Ludwig XIII und Anna, die vom spanischen Hofe stammt. Wie stets damals üblich, ist dies eine arrangierte Ehe, im Laufe der Zeit nähern sich die beiden an. Doch Ludwig plagt Eifersucht, er ist ein unsicherer Herrscher.
Dies nutzt Kardinal Richelieu gnadenlos aus und manipuliert das Königspaar. Er warnt den König vor einem Krieg mit England und schürt des Königs Eifersucht gegen einen Jugendfreund Annas, den Herzog von Buckingham.
Die Intrige nimmt ihren Lauf, mittendrin D’Artagnan, die Musketiere, Constance und Milady de Winter.
Die Musketiere werden Zeugen, wie der Kardinal seinem Hauptmann Rochefort Anweisungen gibt, gegen Buckingham vorzugehen.
D’Artagnan bemerkt, dass Athos eine Last mit sich herumträgt. Athos offenbart sich ihm und besingt in der berühmtesten Arie des Stücks seinen „Engel aus Kristall“, und wie ihrer beider Liebe zerstört wurde durch die zutage gekommene Brandmarkung von Milady.
Kardinal Richelieu bekämpft seine inneren Dämone und versucht vor sich selbst sein Tun gegen die von ihm verhassten Hugenotten zu rechtfertigen „Ich bin nicht aus Stein“ – dies ist sicher einer der Höhepunkte der Show, mit dem Aufmarsch von Fackel-tragenden Mönchen und der überaus attraktiven Ballett Compagnie, die den Kardinal in Versuchung führt.
D’Artagnan reist mit dem Schiff nach England, um dort Buckingham zu treffen und einen Krieg mit England abzuwenden, ein Diamantcollier von Königin Anna spielt dabei eine Rolle.
Constance gerät zwischen die Fronten und wird von Milady de Winter vergiftet – diese Tat kann Athos nicht verzeihen,
seine Musketier-Freunde sprechen Milady schuldig, woraufhin diese sich vor den Augen der Freunde erdolcht.
Gerade noch rechtzeitig zum großen Ball am Hofe des Königs kommt D’Artagnon von seiner Mission zurück und klärt den König über Richelieus Intrige auf, woraufhin der König den Kardinal mitsamt dessen Hauptmann Rochefort in die Verbannung schickt.
Zum Dank ernennt der König D’Artagnon zum Musketier, alles hat sich zum Guten gewendet, auch wenn sowohl Athos als auch D’Artagnon ihre Lieben verloren haben.
Zusammen stehen die jetzt 4 Musketiere „Einer für Alle und Alle für Einen“ füreinander ein und agieren an des Königs Seite als seine Leibgarde.
Die Inszenierung von Ulrich Wiggers ist stringent, es gibt keine Längen im Stück. Die Fechtszenen sind außergewöhnlich opulent und mit großer Präzision in eindrucksvoller Kampf-Choreographie dargeboten. Man kann nur erahnen, wieviel schweißtreibende Probenarbeit erforderlich war, um dies alles so exakt auf die Bühne zu bringen.
Natürlich kommt auch der Humor nicht zu kurz, so wenn der stets einem guten Mahl nicht abgeneigte Porthos mal eben mit einem Baguette anstelle eines Degens die gegnerischen Kardinalsgardisten vermöbelt.
Die prächtigen Kostüme sind eine Augenweide, Opernchor
und Ballett Compagnie werden vielfältig eingesetzt und überzeugen vollends mit tollen Stimmen und wirbelnder Choreographie.
Was auffällt, ist das Fehlen der weiteren großen Arie des Kardinals, „Oh Herr“ – schade, dass man auf diese im ersten Akt verzichtet hat.
Zu den Darstellern:
Florian Peters ist ein bestes besetzter, jungenhaft draufgängerischer D’Artagnan. Am Premierenabend saßen bei seinen ersten Soli noch nicht alle höheren Töne da, wo sie sein sollten, aber das war sicherlich nur dem Premierenfieber geschuldet. Im Verlauf der Show gewann er stimmlich deutlich an Sicherheit und überzeugt sowohl damit als auch insbesondere durch seine Darstellung vollends.
Als die 3 Musketiere begeistern in erster Linie Hannes Staffler im Mittelpunkt des Trios, er punktet bei seinem „Engel aus Kristall“ mit kraftvoller Interpretation. Patrick L. Schmitz als Porthos hat oft die Lacher auf seiner Seite. Dennis Weißert als Aramis liefert eine solide Leistung, kann aber nicht ganz an Präsenz mit seinen beiden genannten Kollegen gleichziehen.
Katja Berg interpretiert die weibliche Hauptrolle der Milady de Winter in jeder Hinsicht grandios. Ihr Solo „Ich bin zurück“ und ihr zu Herzen gehendes Duett mit Athos „Wo ist der Sommer“ bleiben nachhaltig in Erinnerung. Ebenso steht sie eindeutig im Mittelpunkt des Damentrios bei der gefühlvollen Hymne „Wer kann schon ohne Liebe sein„, das von Milady, Constance und Königin Anna (Luise von Garnier mit sehr opernhaftem Gesang) dargeboten wird.
Die Figur des durchtriebenen Kardinals Richelieu ist bei dem überaus vielseitigen Musicaldarsteller Alexander Franzen in den allerbesten Händen. Man kann ihm einfach alle erdenklichen Rollen anvertrauen, egal ob komödiantisch oder dramatisch, er überzeugt immer.
Die Chemie zwischen dem jungen Liebespaar D’Artagnan und Constance (Larissa Hartmann) will nicht so recht zünden, im Gegensatz dazu knistert es zwischen Athos und Milady de Winter ganz gehörig.
Sebastian Müller-Stahl gibt einen rollengerecht unsympathischen Rochefort, Erik Völker als König Ludwig XIII hat stückbedingt nicht gerade viele Möglichkeiten, darstellerisch im Vergleich mit den anderen Hauptrollen herauszustechen. Es irritiert etwas, dass er in seiner ersten Sprechsequenz als stotternder König auftritt, jedoch im weiteren Verlauf dann plötzlich keine weiteren sprachlichen Beeinträchtigungen mehr aufweist, kleiner Fehler in der Inszenierung.
In Doppelfunktion als Conferencier und James erfreut Marina Lötschert mit pointiertem Spiel.
Licht und Ton sind für eine Open Air Show sehr gut platziert und ausgesteuert, Pyrotechnik in Form von Feuerwerk kommt auch zum Einsatz, es wird sehr viel geboten in dieser Inszenierung.
Das Publikum ist begeistert und feiert alle Mitwirkenden mit verdienten Standing Ovations. Beschwingt tritt man den Heimweg an, mit dem Ohrwurm, der sich nachhaltig im Gehörgang eingenistet hat: „Einer für Alle, und Alle für Einen, mit schimmerndem Degen, im Sonnenlicht“…
Gratulation an alle Kreativen und Mitwirkenden, besser kann man Musical in einem so schönen Freilichttheater nicht präsentieren.
Silvia E. Loske, Juni 2023
Termine und Infos gibt es hier: https://staatstheater-augsburg.de/3_musketiere
Szenenfotos: © Jan-Pieter Fuhr
Schlussapplausfotos: © Musical Reviews
Schlussapplaus am Premierenabend:
Musical von Rob & Ferdi Bolland
nach dem Roman „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas
deutsche Übersetzung: Wolfgang Adenberg und Ruth Deny
Kreative | |
Musikalische Leitung | Anna Malek |
Inszenierung | Ulrich Wiggers, Florian Honigmann |
Choreographie | Kati Heidebrecht |
Kampfchoreograpie | Thomas Ziesch |
Bühne & Kostüme | Leif-Erik Heine |
Licht | Marco Vitale |
Dramaturgie | Sophie Walz |
Darsteller | |
D’Artagnan | Florian Peters |
Milady de Winter | Katja Berg |
Athos | Hannes Staffler |
Porthos | Patrick L. Schmitz |
Aramis | Dennis Weissert |
Constance | Larissa Hartmann |
Kardinal Richelieu | Alexander Franzen |
Rochefort & Vater D’Arta. | Sebastian Müller-Stahl |
Königin Anna | Luise von Garnier |
König Ludwig XIII & Herzog von Buckingham | Erik Völker |
James & Conferencier | Marina Lötschert |
Pomme-de-Terre, Pferd | Dominik Molnar, Peter Granetzky, Acosta, Gustav Zwick |
Augsburger Philharmoniker unter der Leitung von Anna Malek Ballett Compagnie, Opernchor und Statisterie des Staatstheaters Augsburg |