Kleines Theater Haar bei München, 13. Mai 2023
In der putzigen Theaterlocation, eingebettet im mit wunderschönen alten Gebäuden und viel Grün bestücktem alten Ortskern von Haar, bringt Veranstalter Peter Stassen, Musical Deluxe, ein stimmiges, buntes Musicalgala-Konzert auf die Bühne. Das „Kleine Theater Haar“ bietet für Formate dieser Art die genau richtige Größe, gemütliche Gastronomie gibt es dort, ein rührig-engagiertes Team, eine (kostenlose!) Tiefgarage und eine ideale Anbindung zur in unmittelbarer Nähe gelegenen S-Bahn Station. Also alles perfekt angerichtet für einen genussvollen Konzertabend.
Der Opener-Block zieht uns in den Urwald zu „Tarzan“ und wir dürfen Armin Kahl, der diese Rolle am Beginn seiner Karriere gespielt hatte, bei seiner rollenbedingten Metamorphose begleiten auf der Suche nach seiner Identität: Zwei Welten
und Fremde wie ich. Im Anschluss interpretiert Melanie Ortner-Stassen den größten und auch berührendsten Musicaltitel aus der Feder von Phil Collins – Dir gehört mein Herz. Die Rolle der Gorilladame Kala, die kurz zuvor ihr Junges verloren hat und dann im Dschungel das verwaiste Menschenbaby findet und als Mutter annimmt, hat die Darstellerin lange Jahre sehr erfolgreich verkörpert.
Aus der Tür neben der Bühne stolpert eine gewisse Renaade Müller herein, bewaffnet mit Putzeimer und Schrubber, und lässt uns wissen, dass sie hier saubermachen muss.
Ihr mit Bierflasche im Anschlag wortkarg herumstehender dröger Mann Karl-Heinz, „Kalli“, weiß eigentlich nicht so recht, was er da soll, als seine Holde auf fränggisch schwungvoll Mit 66 Jahren anstimmt und für entsprechendes Amüsement im Publikum sorgt.
Im Anschluss wird es beklemmend, Mrs. Danvers aus Manderley nimmt uns mit in ihre Seelenqual, als sie die von ihr exzessiv verehrte tote Rebecca besingt. Melanie Ortner-Stassen empfiehlt sich mit dieser grandiosen Darbietung für die Rolle der unheimlichen und im Verlauf des Stückes dem Wahnsinn anheimfallenden Haushälterin im Krimi-Musical aus der Feder des kongenialen Autorenteams Levay/Kunze.
Melanie Ortner-Stassen begeistert stimmlich weiterhin mit der bitteren Erkenntnis Der Sieger hat die Wahl aus „Mamma Mia“, mit dem Titelsong aus „Die Schöne und das Biest“ und einem auch darstellerisch höchst unterhaltsamen Supercalifragilistischexpialigotisch aus „Mary Poppins“. Und nebenbei sei angemerkt, was für wunderschöne, stilsichere Outfits sie trägt.
Huch – was’n das?? Wiederauferstehung von „Modern Talking“ mit Thomas Anders (ausgestattet mit der obligatorischen Nora-Kette) und dem dämlich dauergrinsenden Dieter Bohlen? Fast – täuschend echt erschallt You’re my Heart, you’re my Soul. Uiuiui. Publikum rastet aus 🙂
Auf der darstellerischen Komik-Ebene geht’s nach der Pause weiter ins Ehrenwerte Haus. Allerdings ist der Text von Michael Kunze gesellschaftskritisch und aktuell wie eh und je und deshalb weit von Klamauk entfernt.
Vanessa Heinz ist eine junge, der neuen Generation von Musical-Stars angehörige Darstellerin, von der in den nächsten Jahren garantiert noch viel zu hören und zu sehen sein wird. Bei der Musical-Gala überzeugt sie vollends mit unglaublich sicherer, druckvoller und Gänsehaut erzeugender Stimme mit Titeln aus der ebenfalls neuen Generation von Musicals: Aus „Hamilton“ und „Heathers“ haut sie Titel raus, die das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreissen. Klasse!
Renaade Müller alias „Tootsie“ bewirbt sich mit Ich bin für Euch da um einen Platz im neuen TV-Format „Haar sucht den Superstar“. Eine weitere Paraderolle für den so unglaublich vielseitigen Armin Kahl, das Stück mit ihm in der Hauptrolle ist aktuell auf dem Spielplan des Gärtnerplatztheaters München (hingehen – absolut sehenswert!).
In Haar zeigt sie ihrem Kalli, wo der gesangliche Hammer hängt.
Zwei Musicalgenerationen mit gegenseitig tiefer Anerkennung: Vanessa Heinz als „Miss Saigon“ mit einem sehr zu Herzen gehenden Ich gäb‘ mein Leben her für Dich und Armin Tootsie Kahl, der bekennt, bei Vanessas Darbietung der Kim in Wien Pipi in den Augen gehabt zu haben. Da war er nicht der einzige …
Der intrigante Kardinal Richelieu aus den „3 Muskeiteren“ erscheint im Kleinen Theater Haar gleich doppelt: Peter Stassen mit Oh Herr
und unmittelbar danach Armin Kahl mit Ich bin nicht aus Stein
Aus „Mozart!“ nagelt Armin Kahl ein sehr intensives Warum kannst Du mich nicht lieben? auf die Bühne. Chapeau!
Aus dem gleichen Musical führt uns noch die Baronin von Waldstätten alias Melanie Ortner-Stassen zu dem Gold von den Sternen.
Frank N’Furter übernimmt lasziv das Bühnengeschehen und zeigt uns den Sweet Transvestite. Hut ab vor Peter Stassen und seinem Mut zum knappen Kostüm!
Alle machen mit beim Time Warp –
It’s just a jump to the left,
And then a step to the right
Put your hands on your hips
You bring your knees in tight
Längst steht das gesamte Publikum und feiert die so spielfreudigen und stimmstarken Künstler enthusiastisch – und badet in den aus der Rakete geschossenen und von der Decke herabschwebenden Luftschlangen.
Als Zugabe geben die vier Künstler – wie unglaublich schön, herzlichen Dank dafür! – die beste Nummer, die man sich für eine Zugabe nur wünschen kann: Aus „Rent“ die großartige, in ihren vielstimmigen Harmonien unerreichte Hymne Seasons of Love.
Der Ton ist gut ausgesteuert, das Lichtdesign höchst ambitioniert – manchmal etwas zu viel des Guten, wenn im Sekundentakt die Ausleuchtung wild in die unterschiedlichen Farben und Verfolgerspots wechselt und teilweise blendet, vor allem im zweiten Teil der Show.
Fazit: Das Publikum feiert einen beschwingten, amüsanten, auch bewegenden, rundum gelungenen Konzertabend. Da capo – bitte mehr davon!
Silvia E. Loske, Mai 2023