Hofspielhaus München, 18. Oktober 2020
Ein Solokonzert eines der bekanntesten deutschsprachigen Musicalstars vor ganzen 28 Zuschauern? Was vor einem Jahr noch als vollkommen undenkbar gegolten hätte, ist nun in Coronazeiten eine der wenigen Alternativen, um in geschlossenen Räumlichkeiten Kultur erleben zu dürfen. Mit dem kleinen pittoresken Hofspielhaus mitten in München, in Sichtnähe der Staatsoper, hat Armin Kahl eine Location aufgetan, die diese Möglichkeit bietet. Und so nimmt einen der vielseitige Künstler an drei Terminen mit auf einen musicalischen Querschnitt seiner bald 20-jährigen Karriere, gewürzt mit vielen Bonmots aus seinem beruflichen Werdegang. Dies alles findet statt in ganz intimem Rahmen, in einer vorbildlich alle AH-Regeln umsetzenden Spielstätte mit einem beherzten Team, in behaglicher Wohnzimmer-Wohlfühl-Atmosphäre, man ist dankbar! Im Publikum an diesem Sonntagnachmittag viele Freunde, Bekannte und langjährige Fans von Armin Kahl.
Mit dem Entree Zu Hilfe, zu Hilfe sonst bin ich verloren! stürmt der Protagonist des Konzerts die Treppe herunter und entert die winzige Bühne. Diese Arie aus Mozarts Zauberflöte stammt aus dem in Wien vor einigen Jahren gespielten Musical „Schikaneder“, in welchem Armin Kahl die historische Figur des Benedikt Schack, bester Freund Emanual Schikaneders und der erste Tamino, verkörperte. Mit einem Schikaneder-Medley Geld und Glück, Träum groß, So viele Fische im Meer blitzen viele Erinnerungen an das Stück auf.
Seine ersten Schritte auf einer Musicalbühne machte er bei der Nürnberger Musical e.V. im Erfolgsstück „Les Misérables“, daraus gibt es die schmerzliche Arie Dunkles Schweigen an den Tischen.
Es naht ein erster Höhepunkt des Konzerts: Der letzte Tanz aus „Elisabeth“, vom Künstler höchst amüsant umgetextet zu „Ne‘ letzte Chance“:
Auszüge davon:
Es ist ein altes Thema, nicht neu für mich,
es sind wieder mal Auditions, und ich kann wieder nicht.
Ob Mozart, Tod oder Krolock, es ist seit Jahren wie ein Fluch:
denn diese Spielzeit bin ich schon längst ausgebucht!
Sie sind meine Favoriten, Gott wär ich froh, spielte ich endlich mal in so ner
Show!
Ob Feder, Feile, Beißer, es gibt mir einen Stich, denn sie fragen Seibert und nicht mich! (großes Gelächter!)
Ne letzte Chance, ne letzte Chance, wie gemein seid Ihr,
bevor ich Sissis Vater spiel‘, lasst mich ran als Vampir.
Und so spiel‘ ich in München, und schau von dort aus zu,
jedoch nicht als ein Verlierer, denn auch dort geht’s mir gut.
Da gab man mir ne große Chance, in Priscilla steh ich auf Highheels da
als Hagedorn im Schnee auf Ski, als Jesus hing am Kreuz ich ab,
sogar nen Grafen durft ich spielen, okay ich hatte keine Beißerchen,
doch gewannen wir nen Preis in Berlin.
Es geht nur um ne kleine Chance, bekommst du sie greif zu:
ob Wien, ob München, oder wo sonst: ich liebe, was ich tu!
Es folgt ein morbid-bitterböses Friedrich Hollaender Couplet über Armin Kahls Wahlheimat Wien, Wiener Schmarrn, er bringt also auch Mundartliches überaus gekonnt zu Gehör.
Weiter geht es mit Jamie’s Schmuel-Song aus dem Kammermusical „Die letzten fünf Jahre“, gefolgt von dem Titel Wir aus „Zorro“, diese Mantel- und Degen Hauptrolle verkörperte Armin auf den Freilichtbühnen Winzendorf und Tecklenburg.
Nach einer kurzen Pause startet der Künstler im zweiten Teil mit Schwert und Stein aus „Artus Excalibur“. Und gleich folgt ein weiterer Knaller, aus dem Erfolgsmusical „Drei Musketiere“ intoniert Armin Kahl Oh Herr, die Zwiesprache des machtbesessenen Kardinal Richelieu mit Gott, ausgesteuert mit entsprechend passendem Hall, eine sozusagen sakrale Atmosphäre wird erzeugt.
Nach diesen beiden Bombasthymnen gibt es wieder was zu Lachen: Aus dem Märchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gestaltet der Künstler ein gesangliches und vor allem schauspielerisch köstlich dargebotenes Kabinettstückchen in einer Form, wie man es, so versichert der Darsteller, sicher noch nicht erlebt hat. In der Tat, „brödel-brödel“ sorgt für großartige Unterhaltung und Lachsalven bei den Zuschauern. Alle Rollen singt und spielt das Multitalent in unterschiedlichen Dialekten, Mimik, Gestik, der Schalk springt ihm aus den Augen und seine Spielfreude schwappt ins grinsende Publikum. Grandios, bravo!
Wie auf Knopfdruck switcht er von der fast schon klamaukigen Leichtigkeit zurück in eins der erfolgreichsten dramatischen Frank Wildhorn Stücke, in welchem er die janusgesichtige Hauptrolle „Jekyll & Hyde“ verkörperte. Dies ist die Stunde wird zwar oft in Musicalkonzerten dargeboten, jedoch kann man schon gut unterscheiden, ob ein Darsteller das Stück auf der Bühne gespielt und damit die gegensätzlichen Charaktere verinnerlicht hat oder ob er lediglich das Lied vorträgt.
Aus Armin Kahls großen Erfolgen mit Hauptrollen am Münchner Gärtnerplatztheater folgt aus „Priscilla, Königin der Wüste“ eine der besten Nummern, die im Stück ein Kollege (der große Erwin Windegger in der Rolle der Bernadette) interpretieren darf, worauf Armin nach eigenen Angaben fast ein wenig neidisch ist: After all the Loves of my Life geht sehr zu Herzen.
Zum Abschluss der musicalischen Reise durch Armin Kahls sehr umfangreiches Bühnenschaffen gibt es ein Gute-Laune-Medley aus „Mamma Mia“, „Ich war noch niemals in New York“, „Spamalot“, „Priscilla“ und sogar Hosanna aus „Jesus Christ Superstar“ (was ja nicht gerade als Gute-Laune-Musical bezeichnet werden kann…) und noch „Natürlich Blond“. Die Besucher zeigen sich beeindruckend textsicher und steuern Gesangseinlagen bei.
Als Zugabe gibt es noch Fragen wir doch einfach mal den Wolkenstein aus „Drei Männer im Schnee“. Solchermaßen Ohrwurm-implantiert begeben sich die Zuschauer beschwingt und trotzdem natürlich diszipliniert mit entsprechendem Abstand auf den Nachhauseweg.
Dank geht an das Team des Hofspielhauses München und natürlich in erster Linie an den Künstler Armin Kahl und seinen langjährigen Weggefährten und großartigen Pianisten Alan Sokol, die uns in diesen wirren Zeiten ein so schönes Programm ermöglichten. Und an die Besucher, dass sie Solidarität und Unterstützung bieten, denn dass ein Konzert mit drei mal je 28 verkauften Eintrittskarten ein wirtschaftliches Minusgeschäft ist, dürfte jedem klar sein. Doch hier ging es um eine kulturelle Win-Win Situation für Künstler und Zuschauer, und dies ist in vollem Umfang bestens gelungen.
Nachtrag: Nur wenige Tage nach diesem wunderbar intimen Konzertgenuss hat uns bereits der nächste Lockdown ereilt. Und wieder trifft es die gesamte Kulturbranche mit am härtesten.
Alle Fotos unterliegen dem alleinigen Copyright von Musical Reviews.
Silvia E. Loske, Oktober 2020