„Mein Musical und die Zeit dazwischen“
CD, Soloalbum Andreas Bieber, Februar 2017
11 Titel
Arrangements: Bertram Ernst
Produziert von Sound of Music
Standard-CD-Case mit doppelseitigem Inlay, kleinem Booklet mit Farbfotos, persönlichen Anmerkungen zu jedem Song und Danksagung.
Er ist einer der Pioniere des deutschsprachigen Musical-Booms und seit 30 Jahren sowohl aus Musicalproduktionen als auch aus Konzertreihen nicht mehr wegzudenken. Mit enormer Vielseitigkeit ausgestattet, kann Andreas Bieber alles von Musical über Chanson und Pop, Tiefsinniges wie extrem Erheiterndes, nicht nur glasklar und bombensicher singen, sondern darüber hinaus auch noch außergewöhnlich authentisch performen. Ein Ausnahmekünstler, der jetzt mit seinem eben erschienenen Album Mein Musical und die Zeit dazwischen die für ihn weichenstellenden und höchst erfolgreichen musicalischen Stationen seiner bisherigen Karriere Revue passieren lässt und dieses Portfolio mit ihm persönlich wichtigen Songperlen komplettiert.
Neun deutsche Lieder und jeweils eins in englisch und französisch hat Andreas Bieber in dieses Herzensangelegenheit-Album gepackt. Kein Duett, kein Gaststar ist vorhanden, vielmehr hört man Andreas Bieber pur – sogar die Backings hat er selbst eingesungen.
Obwohl die Liedauswahl keine großen Überraschungen bereithält, zwirbelt sich doch gleich beim ersten Reinhören in den Silberling ein Aha-Effekt in den Gehörgang: Die Arrangements sind sehr innovativ und liebevoll ausgesucht, da hat man sich richtig Gedanken gemacht und Mühe gegeben, in langjährig bekannten Titel völlig neue Akzente zu setzen – das Ergebnis lässt aufhorchen.
Die Reihenfolge der Titel ist ebenfalls durchdacht. Es ist nicht einfach chronologisch vorgegangen worden, vielmehr sorgt eine wohlüberlegte Mischung aus Balladen und ernsten, gar dramatischen Liedern mit gegensätzlich Heiterem dafür, dass man nicht zu sehr in einen bestimmten Musikstil abdriftet, sondern sich durchgehend gut unterhalten fühlt und die Aufmerksamkeit und Neugier auf das nächstfolgende Lied am köcheln bleibt.
Ich wollte nie erwachsen sein, die Peter Maffay-Hymne aus Tabaluga & Lilli, ist der Opener und zugleich von der Titelaussage her Programm, wie der Künstler augenzwinkernd anmerkt und bestätigt, dass er irgendwie tief in sich immer noch ein Kind geblieben ist und sich hüten wird, daran jemals etwas zu ändern.
Aus der Rubrik „anhören – und schon setzt sich ein breites Grinsen fest“ stammt der zweite Titel, welchen der Künstler viele Jahre in seiner Rolle als agiler, liebenswerter Fred im Udo Jürgens Musical Ich war noch niemals in New York allabendlich mit mitreißendem Elan interpretiert hat: Tu alles was gut tut. Man kommt gar nicht aus, dieses schwungvolle Gute-Laune-Lied, kongenial von Michael Kunze getextet, mitzuschnippen, mitzusummen, mitzuwippen, zu pfeifen, was auch immer man an eigenem Ausdrucksmittel gerade so parat hat.
Der zweite, sehr in die Beine gehende, Titel aus der Feelgood-Ecke ist der vielfach prämierte Song der putzigen englisch-kauderwelschenden Krabbe Sebastian Under The Sea aus Arielle. Wer jemals eine Live-Performance von Andreas Bieber mit diesem Calypso-Song erlebt hat, wird unweigerlich in wellenartige Bewegungen verfallen und für ein paar Minuten den Alltag in die Schublade verbannen.
Bei den beiden Joseph-Titeln lassen interessante Arrangements aufhorchen. Wie vom Traum verführt kennt man nun wirklich in- und auswendig, meint man. Doch hier hört man bislang ungewohnte Instrumente heraus, ebenso bei Schließt jede Tür, mein persönlicher Favorit auf dem Album. Das fast schon jazzig-loungige Underscoring ist höchst bemerkenswert und gibt dieser ohnehin schon dramatischen Nummer noch einen weiteren Kick.
Eine gequält aufjaulende E-Gitarre zu Beginn von Wenn ich Dein Spiegel wär aus Elisabeth kündet von dräuendem Unheil, der Suizid des verzweifelten Kronprinzen Rudolf wirft in diesem weiteren von Michael Kunze getexteten Lied seine Schatten voraus. Die Darstellung des Rudolf in der Uraufführungsspielzeit des erfolgreichsten deutschsprachigen Musicals war ein weiterer Meilenstein in der Karriere von Andreas Bieber und auch heute noch vermittelt er mit diesem Titel die beklemmenden Ängste des unglückseligen Thronfolgers auf packende Art und Weise.
Aus dem erfolgreich am West End gelaufenen Musical Taboo aus der Feder von George O’Dowd, besser bekannt als Boy George, stammt der ins Deutsche übertragene und von Andreas Bieber einfühlsam interpretierte Titel Fremder in der Welt.
Als die Liebe entstand aus Hedwig and the Angry Inch ist ein amüsant-interessanter Erklärungsansatz aus der Antike, weshalb die Menschheit offenbar ständig davon umgetrieben wird, ihre damals verlorengegangene andere Hälfte zu suchen, um wieder komplett zu werden. Elf Jahre ist es her, dass Andreas Bieber diese für ihn wichtige Rolle in Wien verkörperte.
Ganz vorzüglich passt des Künstlers Stimmfarbe zu französischen Chansons, wie auch zu dem Titel Geant aus der französischen Rockoper über James Dean, der in seinem kurzen Leben nur drei Filme gedreht hat, der letzte war eben „Giganten“.
Die einzigen beiden Lieder auf dem Album, die nicht aus einem Musical stammen, sind einerseits So kann das Leben sein aus dem Repertoire von Helene Fischer und andererseits die wunderbare Eigenproduktion des Künstlers in Zusammenarbeit mit dem ihn auf Solokonzerten grandios am Flügel und mit Zweitstimme unterstützenden Marian Lux, der als Komponist sehr erfolgreich ist (u. a. „Lotte“, „Der Medicus“, u.v.a.), Die Zeit dazwischen.
Als Fazit zu diesem rundum gelungenen Soloalbum bleibt als einzige Kritik festzuhalten, dass auf dem Silberling noch Platz für einen zwölften Titel gewesen wäre – denn je mehr von Andreas Bieber, desto besser.
Silvia E. Loske, Februar 2017
Die Fotos stammen von Ulf Robins und Karim Khawatmi.