Silent Symphony – Die ungehörten Töne der Stille
25. September im Wiener Stadtsaal
Er ist der kompletteste und vielseitigste Musicaldarsteller im deutschsprachigen Raum. Natürlich nicht zu vergessen seine Erfolge am Broadway („Les Miz“, „Lestat“) und am Londoner West End. Niemand vermag es so perfekt, sich in Rollen zu versenken, ja geradezu in den Spielcharakter hineinzukriechen, sich die Rollen zu eigen zu machen, wie der Amerikaner Drew Sarich, der vor nunmehr knapp 15 Jahren für die Hauptrolle des „Glöckners von Notre Dame“ nach Deutschland kam und dann in Wien dauerhaft seßhaft wurde.
Ob als Berger in „Hair“, als janusgesichtiger „Jekyll & Hyde“, als unglückseliger Habsburger-Kronprinz in „Rudolf – Affaire Mayerling“, als Jean Valjean und Javert in „Les Misérables“, Jesus und Judas in „Jesus Christ Superstar“, psychopatischer Gangster Curtis Shanks in „Sister Act“ an seiner Unsterblichkeit verzweifelnder Graf von Krolock in „Tanz der Vampire“, obsessives Phantom in der semi-konzertanten Aufführung von „Love Never Dies“ und – natürlich! – als „Rocky“ im gleichnamigen Musical: Der Künstler ist immer ein Garant für superbe stimmliche, schauspielerische und auch bewegungsaffine Leistung.
Musical ist sein Beruf, aber sein musikalisches Herz gehört dem Singer/Songwriter-Genre. Seit vielen Jahren schon schreibt der Vollblutmusiker eigene und eigenwillige Songs voller Melancholie, hat bislang drei CDs veröffentlicht und war aktuell am 24. und 25. September mit seinem Programm Silent Symphony in der schnuckeligen Location mitten in der Mariahilfer Fußgängerzone, dem Wiener Stadtsaal, auf der Bühne zu erleben.
Zusammen mit dem siebenköpfigen Endwerkorchester unter der musikalischen Leitung des kongenialen Titus Vadon nimmt Drew Sarich das dankbare Publikum mit auf eine intime, gefühlvolle Reise in sein Innenleben. Unprätentiös und sehr authentisch präsentiert sich der Künstler, streut zwischen die Songs kleine Erklärungen zur Entstehung derselben bei und performt mit viel Herzblut, Poesie und auch schräger Skurrilität mit seiner unverwechselbar facettenreichen Stimme. Den einzigen Luxus, den er sich leistet, ist, dass ihm von einem netten jungen Mann seine für die jeweiligen Songs benötigten Gitarren angereicht werden.
Es braucht keinen Bühnenschnickschnack, um das Publikum komplett in den Bann zu ziehen. Die sieben „Endwerker“ bestechen durch das perfekte Beherrschen ihrer Instrumente (Gitarre, Bass, Keyboards, Holz-, Schlag-, Streich- und Blasinstrumente) sowie durch harmonischen, feinsinnig mit dem Solisten abgestimmten Backgroundgesang.
Ende 2011 spielte Drew Sarich mit Unterstützung eines großen Chors die Studioaufnahme seines Albums ein, produziert von Titus Vadon und erschienen auf Endwerk Records. Für die Konzertfassung nun entwickelte Titus Vadon eigene Arrangements für die Band und die Backingsänger. War man vom Studioalbum schon begeistert, so legt das Liveerlebnis noch einige Schippen obendrauf. Die Akustik im sehr schönen und gemütlichen Stadtsaal ist ausgezeichnet, besonderes Lob geht an die Soundtechniker. Das Zusammenspiel von Instrumenten und Gesang ist ideal ausgesteuert, die Lautstärke ist genau richtig, man versteht jedes Wort, hört differenziert die jeweils eingesetzten Musikinstrumente heraus. Eine rundum gelungene Mischung.
Ohne Pause genießt man gute 100 Minuten an reiner Vollblutmusiker-Spielfreude, die man jedem auf der Bühne ansieht. Die Songs von Drew Sarich sind nicht mainstreamig, schleichen sich aber nichtsdestotrotz unaufhaltsam in die Gehörgänge und nisten sich dort auf lange Zeit ein. Von ganz zart-fragilen, teilweise im Falsett dargebotenen Balladen (The Deadliest of Roses), über kernigen Countrysound bis hin zu urbanem Gitarrenrock reicht die Palette. Das Programm berührt, regt zum Nachdenken an und macht bei den Uptemponummern, wenn so alle richtig abgehen auf der Bühne und Titus Vadon sein Schlagzeug bearbeitet, dass man schier zu atmen vergißt, einfach nur total Spaß.
Drew Sarich freut sich, nach drei Jahren in Hamburg – „hab als „Rocky“ täglich in die Fresse bekommen, war drei Jahre lang nur noch körperlich erschöpft“ – wieder zuhause in Wien zu sein.
Und auch das lässt er sein Publikum wissen: „Meine Mutter muss immer weinen, wenn sie mich meine Songs singen hört“ – erzählt Drew. „Doch nicht wegen meiner Stimme, sondern weil sie sagt, die Texte sind so traurig“. „Junge, Du hast doch ein gutes Leben, warum nur singst Du so traurige Lieder?“. Sarich erzählt in seinen Texten von den Gestrandeten, von verlorenen Lieben, Sehnsüchten, begangenen Fehlern, von den Narben, die das Leben schlägt. Aber auch von menschlichen Jammerlappen, die alles und jeden für ihr Schicksal verantwortlich machen, ohne selbst den Hintern hochzubekommen und ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen.
Anders, als bei zahlreichen Singer/Songwritern üblich, transportiert Drew Sarich seine tiefgründigen Lyrics ohne erhobenen Zeigefinger und ohne diese unsägliche Weltverbesserer-Attitüde, die vielen Singer/Songwritern des Genres wie Kaugummi anhaftet. Sarich erzählt einfach seine Geschichten ohne übertriebene Wertung, eine Wohltat. Kombiniert mit den sehr unterschiedlichen Musikstilen seiner Stücke und seinen teils humorigen, teils abgründigen Einsprengseln ergibt dies als Gesamtpaket einen wunderbar unterhaltsamen Abend, der noch länger nachwirkt.
Jeder Konzertbesucher wird seine eigenen persönlichen Song-Highlights haben. Für mich waren es definitiv die anrührenden Balladen Medicine Chest, The Deadliest of Roses, New York, Isolation Street und als letzte Zugabe Silent Symphony sowie die richtig zur Sache gehenden Uptempos Dancing in Ashes and Shadows, Delmar, House Next Door to the Hole und Comfortable High.
Empfehlung: Wann immer möglich, unbedingt den Besuch eines Solokonzerts von Drew Sarich einplanen – es lohnt sich, die Songperlen dieses vielseitigen Künstlers zu entdecken!
(Silvia E. Loske, 28. September 2015)
Hier geht’s zu zwei Videos des Konzerts: