Kleines Theater Haar, 14. März 2025

Veranstaltungstext:
Ein Darsteller, dreizehn verschiedene Rollen, dreizehn Sichtweisen auf das Leben. Das Leben von Helena. Eine aufregende Geschichte über eine Lebensentscheidung.
Ein Wenig Farbe ist ein einfühlsamer Musical-Monolog, der auf sensible Weise das Thema Transgender aufgreift und Raum für verschiedene Perspektiven schafft.
Das Musical von Rory Six, inspiriert von den Gesprächen mit der Transfrau Sophie Giller, beleuchtet die Selbstfindungsreise von Helena.
Helena steht vor dem letzten bedeutenden Schritt, und die Aufregung durchströmt sie. In stillen Momenten reflektiert sie darüber, wie diese Reise begann. Einst trug sie den Namen Klaus, ein Junge mit dem früh erwachten Wunsch, sich in die Kleider seiner Mutter zu hüllen. Das Leben führte Klaus zur Ehe und zu zwei Söhnen. Die Wende kam auf einer Kostümparty, als seine Frau ihm vorschlug, sich als Frau zu verkleiden. Klaus entdeckte in dieser Verwandlung eine tiefe Freude und begab sich in Clubs, wo er die Freiheit fand, er selbst zu sein – sich nicht nur als Frau zu fühlen, sondern eine zu sein.
Mit Unterstützung von Psychotherapeuten und Ärzten wagte Klaus die ersten Schritte zur Verwirklichung seines wahren Selbst. Die Konsequenzen dieser Reise zeigen sich nicht nur in seinem persönlichen Empfinden, sondern auch in der Reaktion der Gesellschaft, insbesondere der Familie und des engsten Freundeskreises.
Die Ehefrau, zunächst distanziert, die Kinder, unsicher in der Wahl zwischen „Papa“ oder „Mama“ – Helena durchwandert Strecken der Einsamkeit, denn die vermeintliche Normalität solcher Veränderungen trügt. Helena hofft, dass die bedeutsamen Menschen in ihrem Leben wieder einen Platz bei ihr finden. Ein Weg, der weiterhin vor ihr liegt, voller Hoffnung und zugleich Herausforderungen.
In diesem einzigartigen Stück schlüpft der renommierte Musicalstar Mark Seibert in dreizehn verschiedene Rollen, darunter die fesselnde Hauptrolle der Helena. Ein wenig Farbe lädt dazu ein, nicht nur festgefahrene Geschlechterrollen zu hinterfragen, sondern auch verschiedene Blickwinkel auf das Thema Transgender einzunehmen. Das Musical eröffnet Raum für offene Dialoge und Reflexion über die Vielfalt menschlicher Identität.
*******
Zuerst: Dieser intime Musical-Monolog erfordert einen kleineren, sozusagen „geschützten“, Zuschauerraum. Insofern alles richtig gemacht, dass die Wahl auf das Kleine Theater Haar fiel. Ca. 200 Zuschauer*innen, man ist nah dran an der Bühne. Diese wirkt wie ein Wohn-/Schlafzimmer. Ein Bett, ein Sessel, ein Regal – darauf das Porträt einer aparten Frau, die Mutter, wie sich herausstellt.
Helena, die sich vor zwei Jahren dazu entschloss, ihr bisheriges Leben im stets falsch gefühlten Körper als Klaus aufzugeben, richtet sich im Bett auf, gekleidet in Pyjama und Morgenmantel, und führt einen Dialog mit einer unsichtbaren Krankenschwester. Man erfährt dabei, dass dies die Nacht in der Klinik ist, bevor am nächsten Tag, in neuneinhalb Stunden, der finale Umwandlungseingriff stattfinden wird. Hormonbehandlung und scmerzhafte Körperhaarentfernung durch Laser haben im Jahr zuvor bereits stattgefunden.

In angegriffener Gefühlslage, verunsichert, mit brüchiger Stimme und sich ständig entschuldigend wohnt man dieser Einführung bei. Und ich denke mir sofort: Mark hat hier eine ganz andere Stimme, das klingt völlig fremd. Seit 15 Jahren erlebe ich Mark Seibert kraftvoll und sehr männlich in allen Musicalhauptrollen, sei es als Tod in Elisabeth, Fürsterzbischof Colloredo in MOZART!, Emanuel Schikaneder, Lanzelot in Artus – Excalibur, Graf von Krolock im Tanz der Vampire, Maxim de Winter in Rebecca, Edward Lewis in Pretty Woman, um nur einige zu nennen.
Sofort bin ich fasziniert, wie er das macht, unfassbar. Und es geht weiter, alle Personen aus seinem Leben stellt er in feinst ausgearbeitetem Schauspiel, Attitüde, Mimik, Gestik und der zugehörigen Stimme dar: Klaus, Helena, Psychotherapeut (noch am ehesten Marks normale Stimme), Ehefrau Caro, Söhne Lukas und Elias, Freund Rob, nerviges Pubertier-Girlie Chantal mit dämlich-Sprech (Assoziation mit Chantal in Fack ju Göhte), Mutter, Arzt, eine sehr anmaßende weibliche Person, die ihm untersagt, in dem Club die Damentoilette aufzusuchen, und jetzt fehlen mir immer noch zwei weitere …
Die Lichtregie unterstützt diese sekundenschnellen Switches durch farbige Effekte – pink steht für Helena, blau für Klaus und den Therapeuten.
Wir erleben, wie der pubertäre Klaus heimlich in ein Kleid seiner geliebten Mutter schlüpft, sich schminkt, sich erstmals Zuhause fühlt in dieser Aufmachung. Und dabei von seiner Mutter erwischt wird, übelst ausgeschimpft und mit Hausarrest belegt wird. Wie er von einer etwas unterbelichteten Girlie-Schulkameradin, kaugummikauend, nach seiner Sexualität befragt wird „bist Du schwul, eyy?“. Wie er es stets seinem gestrengen Vater recht machen wollte, von diesem dann einfach in die Juristenschiene gedrängt wird, was Klaus selbst nie wollte, aber nicht die Kraft fand, dagegen aufzubegehren. Es folgt Karriere als Anwalt, Heirat mit Caroline, der ersten Frau in seinem Leben, man bekommt zwei Söhne. Nach außen hin alles so, „wie es sein soll“. Doch Klaus ist zutiefst unglücklich, mittlerweile ist er Ende 40.

Als er in einen Nachtclub mit Dragqueens gerät, lernt er dort den Holländer Rob, kennen, der dort auftritt. Diesem offenbart sich Klaus und findet in Rob einen Freund. Dann das Schlüsselerlebnis mit besagter Kostümparty, ausgerechnet so vorgeschlagen von seiner Frau: die Frauen verkleideten sich als Männer, die Männer als Frauen. Ab da wird Klaus klar, dass er etwas ändern muss, sein Entschluss zur Umwandlung reift, er sucht Rat bei einem Therapeuten, dieser versteht ihn und rät ihm behutsam, aktiv zu werden.
Begleitet wird diese fulminante Reise mit wunderbaren Songs, sehr anrührend und inhaltlich sensibel die Story fortführend, mit einem im Bühnenhintergrund platzierten Streichquartett (Cello „kriegt“ mich immer, Kloß im Hals):
Margarethe Vogler – Cello
Andrea Mikulitsch – Bass
Oliver Jungbauer – Gitarre
Edith Gürtler – Violine
Und am Klavier der Erschaffer des Stücks, Rory Six. Eine CD wurde eingespielt, siehe hierzu auch am Ende die beiden offiziellen Videos dazu.
Im zweiten Akt steigert sich die Ergriffenheit im Publikum. Mark Seibert laufen die Tränen herunter, als es um die Ablehnung seines Rollencharakters durch dessen Söhne und seinen verzweifelten Versuch geht, seine geliebten Jungs nicht zu verlieren. Viele Tränen und Aufschluchzen dadurch auch im Publikum, dies greift tief in die Emotionalität.

Klaus/Helena verliert seinen Anwaltsjob, seine Frau lässt sich scheiden. Er nimmt all seinen Mut zusammen und geht in diesen beiden Jahren seinen Weg. Das Stück endet, als die Operation nur noch eine Stunde entfernt ist. Helena ist mit sich im Reinen, hat keine Angst mehr vor ihrem Spiegelbild, vor der Dunkelheit, mit ihrer Exfrau fand mittlerweile vorsichtige freundschaftliche Annäherung statt. Helena bestärkt das Publikum:
„Nie mehr im Dunkeln, verborgen, nie heimlich und allein, sei niemals ein Schatten, sperr Dich niemals ein – und schaust du in den Spiegel wirst Du sehen, nur Du kannst zu Dir selber stehen“.

Tosender Jubel bricht sich Bahn. Was für ein berührendes Stück, was für eine unglaubliche Darsteller-Leistung. Bravo!
Fazit: Unbedingt ansehen, wenn das Stück in der Nähe aufgeführt wird! Rory Six & Mark Seibert werden zwischen Marks großen Engagements (jetzt die This Is The Greatest Show Tournee durch Deutschland und Österreich und ab 12. Juli zusammen mit Drew Sarich in CHESS im Theater Baden bei Wien) immer wieder mit Ein wenig Farbe gastieren.
Silvia E. Loske, März 2025







Rory Six & Mark Seibert


Alle Fotos mit Ausnahme des Plakats: © Musical Reviews
Video vom Schlussapplaus zu finden auf meiner Instagrampräsenz _musical_reviews
Zwei offizielle Videos der Theatercouch: