Staatstheater am Gärtnerplatz München, Premiere 29. Nov. 2024
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Hier Kurzzusammenfassung offizieller Text: Durch ein allzu blödes Missverständnis hat der junge Frederic seine Ausbildung statt »im Privaten« bei den Piraten absolviert. Jetzt ist er ausgelernt, will den Enterhaken an den Nagel hängen und Kurs nehmen auf die holde Weiblichkeit. Die trifft er auch sogleich in Gestalt der Generalmajors-Tochter Mabel, deren Vater leider das Ziel hat, allen Piraten ein für alle Mal den Garaus zu machen. So findet sich Frederic plötzlich mitten zwischen Gut und Böse wieder – oder zwischen Böse und Gut?
Die musikalische Freibeuter-Satire »The Pirates of Penzance« zählt fraglos zu den Highlights aus dem Schaffen des britischen Autorenduos »Gilbert & Sullivan«, das im 19. Jahrhundert das englischsprachige musikalische Unterhaltungstheater prägte. Eine absurd-skurrile Handlung voll scharfzüngigem britischen Humor trifft auf witzige, eingängige Songs – und heraus kommt ein virtuoser piratiger Nonsens.
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ARRRRRRR – das Gärtnerplatztheater befindet sich seit heute fest in den Händen der nach außen wild auftretenden, doch im Inneren sehr gutherzigen Piraten von Penzance, die hier vor Anker gehen.
© Ali Irgat Photography
In England ist diese Mischung aus Comic Opera, Operette und Musical seit Ewigkeiten ein erfolgreicher Bühnen-Klassiker und jedermann kennt die Ohrwürmer „I am a Pirate King“ und die Plapperarie des Major General. Hierzulande wird das Stück hin und wieder an Stadt- und Staatstheatern aufgeführt, besetzt mit klassischen Opernstimmen, ergänzt durch den ein oder anderen Musicaldarsteller.
Am Gärtnerplatztheater gibt man diese so vergnügliche Freibeuter-Satire in die bewährten Hände von zwei Engländern: Anthony Bramall obliegt die Musikalische Leitung und Adam Cooper Regie und Choreographie. Letzterer ist eine Legende, ehemals Principal Dancer am Royal Ballet. Zu Weltruhm gelangt durch seine Hauptrolle als Schwan in der legendären Matthew Bourne all male Inszenierung von Swan Lake und in dieser Funktion auch als erwachsener Billy Elliot in der bewegenden Finalszene im gleichnamigen Kinoerfolg zu erleben.
Und Adam Cooper ist am Gärtnerplatztheater – Dank des untrüglichen Instinkts von Intendant Josef E. Köpplinger vor knapp zehn Jahren für Co-Regie und Choreo zu den „Gefährlichen Liebschaften“ ans Haus geholt – seitdem vielfach erfolgreich inszenierend tätig.
Adam Cooper & Anthony Bramall
Das Stück wird auf deutsch aufgeführt, mit hoch oben am Bühnenrand eingeblendeten Texten in deutsch und englisch. Hier nachfolgend in chronologischer Abfolge das abstruse Geschehen anhand Showfotos, die anlässlich der Hauptprobe2 entstanden. Bilder sagen ja häufig mehr als tausend Worte:
Der kleine Frederic mit seinem Kindermädchen Ruth
Da Ruth für die ihr auferlegte Ausbildung des Buben „bei den Privaten“ falsch verstand, wird der kleine Frederic nun per Vertrag „bei den Piraten“ in Ausbildung gegeben, hier die Vertragsunterzeichnung zwischen Ruth und dem Piratenkönig.
Das isser, was für eine Maske und Kostüm …
An seinem 21. Geburtstag meint Frederic, er hätte nun seine Lehrzeit beendet und möchte hinausziehen in die zivilisierte Welt, vorrangig, um endlich auch mal junge Frauen kennenzulernen.
Hat er doch während seiner langen Jahre auf See als einzige Frau nur Ruth gesehen.
Man feiert Frederics Geburtstag auf dem Piratenschiff
Frederic sieht seine Pflicht als erfüllt an und will fortan ehrbar leben – und lädt seine Piratenfreunde ein, es ihm gleichzutun, ansonsten müsse er sie bekämpfen. Man wäre in den letzten Jahren ohnehin als Piraten mäßig bis gar nicht erfolgreich gewesen. Hätte man doch generell Gekaperte, die Waisen seien, großherzig verschont.
Was als Folge nach sich zog, dass dieser Umstand blitzschnell kolportiert wurde und sich alle Gekaperten als Waisenkinder ausgaben … Piratenkönig Richard jedoch will lieber „better live and die“ weiter als Pirat aktiv sein und dies mündet in die großartige Arie „I am a Pirate King“, mit schwindelerregender Akrobatik dargeboten:
Also denn – Frederic geht von Bord und trifft an einem einsamen Strand auf eine schnatternde zehnköpfige Schar von jungen englischen Edelfrolleins – alles Mündel des Generalmajor Stanley, wie sich im weiteren Verlauf herausstellen wird.
Frederic ist entzückt von soviel frischer Weiblichkeit
und verknallt sich – peng – sofort in die couragierteste von ihnen, Mabel
„Armer Pirat“ – Mabel hat viel Verständnis für Frederics frühere Karriere
Kurz danach entern auch schon die Piraten diesen Strandabschnitt und sind ebenfalls sehr angetan von den jungen Ladies.
Da kommt aus dem Unterboden auf einem Pferd sitzend der Generalmajor Stanley hochgefahren, welcher als Vormund der zehn jungen Damen eingesetzt ist. Weshalb er General ist, versteht er selbst nicht so ganz, hat er doch bisher militaristische Erfahrung lediglich in einer Schneeballschlacht gesammelt!
Die Piraten fordern von ihm seine Mündel, andernfalls würde es ihm schlecht ergehen.
Entsetzt versteigt sich der Generalmajor zu der Lüge, er wäre ein Waisenkind und wird dieserhalb – Kommentar Piratenkönig „jetzt geht das schon wieder los!“ von den Piraten verschont.
Mehr noch, der Piratenkönig ernennt Stanley gar zum Ehrenmitglied der Piratenbande!
Der Generalmajor wird von seinem schlechten Gewissen geplagt, weil er die Piraten so angelogen hat und hadert Nächtens damit, seine Mündelschar tröstet ihn.
Frederic rüstet sich derweil, vermeintlich verstärkt durch die örtliche Polizeitruppe, zum Kampf gegen die Piraten.
Da erscheinen Ruth und der Piratenkönig und eröffnen Frederic, dass er paradoxerweise noch nicht volljährig sei, da er an einem 29. Februar geboren sei. Und dieserhalb der geschlossene Piraten-Ausbildungsvertrag noch immer gültig sei und erfüllt werden müsse, so lange, bis Frederic 21 Geburtstage erlebt habe …
Frederic ist am Boden zerstört, da er aber äußerst gewissenhaft ist, muss er diese Pflicht erfüllen und weiter Pirat bleiben.
Laut schluchzend berichtet Frederic seiner geliebten Mabel von der paradoxen Situation
und bittet sie blauäugig, ihm treu zu bleiben, bis er sie in mehr als 60 Jahren, wenn er dann erst volljährig sein würde, heiraten könne.
Man ist also wieder piratig vereint – Frederic steckt seinem Chef, dass der Generalmajor gelogen hat, er sei mitnichten ein Waisenkind.
Der Piratenkönig ist entsetzt über diesen Betrug und schwört Rache!
Widerwillig bezieht die Polizeitruppe Stellung – sie sind alle ängstlich und wollen eigentlich auf keinen Fall sich auf einen Kampf mit den Piraten einlassen
Jetzt oder nie, anstelle von Piraterie gibt’s ne kleine Landpartie!
Im anschleichenden Katzenschritt versammeln sich die Piraten vor des Generalmajors Anwesen
getarnt durch allerlei Blattwerk pirschen sie sich an
Da zieht der Polizeisergeant als letzten Trumpf aus dem Ärmel die sprichwörtliche Königstreue aller Briten – wiederum aus dem Bühnenboden wird unter Anklingen der englischen Nationalhymne Queen Victoria samt Corgie-Schar hochgefahren, die Piraten verbeugen sich im Königseid.
Doch bevor es zu der Verhaftung der Piraten kommt, eröffnet Ruth den staunenden Anwesenden, dass die Piraten gar keine solchen seien, sondern alles noble Adlige, die lediglich aus Langeweile und Flucht vor dem drögen Adelsleben sich der Piraterie verschrieben hätten.
Daher Ende gut, alles gut – die vermeintlichen Piraten sind rehabilitiert, alle Paare finden zusammen. Ende des höchst abstrusen und bar jeglicher Logik aufgeführten Spektakels.
Die Kreativen des Kostüm-, Masken- und Bühnenbilds konnten sich bei dieser Produktion so richtig austoben und aus dem Vollen schöpfen. Einmal die Aufführung gucken reicht bei Weitem nicht aus, um alles, was da – mal unabhängig von der schmissigen Partitur und der im Libretto vorhandenen Wortkomik – an Optik geboten wird, aufnehmen zu können. Wilde Perücken, opulenteste Kostüme, ein Wahnsinns-Bühnenbild mit u. a. riesigem Piratenschiff, was für ein Feuerwerk! Die inszenatorischen Gimmicks sind ein Genuss.
Bühnenarbeiter auf der nach hinten sichtbar offenen Bühne schleppen Leitern, schieben Sessel, platzieren Stehlampen, stellen Hinweisschilder auf (No Swimming, No Riding, Arrrrrrgh), halten kitschige Ballons über das junge Liebespaar, sind gut sichtbar vielfach beschäftigt, sehr witzig.
Zu den Darstellenden:
Tenor Matteo Ivan Rašić gibt einen anfangs jugendlich-unbedarften Piraten-Azubi Frederic, neugierig in die Mündel-Schar junger, noch tugendhafter, englischer Mädchen bei deren Strandausflug stolpernd. Der junge Tenor, auch eins dieser Multitalente der Solisten am Gärtnerplatztheater, begeistert bereits als Tamino in der Zauberflöte und als Marius in Les Misérables mit seinem großartigen Stimmvolumen. Und auch darstellerisch ist er so begabt, kann offenbar alles abdecken von Drama bis Komödie. Sein Jungspund Frederic in den Piraten ist ein Sympathieträger erster Güte, man sieht und hört ihm begeistert zu.
Julia Sturzlbaum interpretiert die Mabel mit kristallklarem Koloratursopran, bezaubert in ihrem nuancierten Spiel und legt auch noch einen Spagat auf die Bühne. Sie ist das weibliche Vielseitigkeits-Pendant zum Solisten-Juwel Daniel Gutmann, kann auch absolut alles: Oper, Operette, Musical mit der ganzen Bandbreite von Tragik mit darüber hinaus vorhandener Riesenbegabung in augenzwinkernder Komik. Wie bereits hinreichend höchst amüsant zelebriert in Tootsie und Oh Oh Amelio!
© Anna Schnauss
Der leicht trottelige doch wiederum auch gleichzeitig ziemlich verschlagene Generalmajor Stanley ist eine weitere Paraderolle für den Erzkomödianten Alexander Franzen. Genüsslich diesen Charakter auskostend wirft er sich, skurrilst kostümiert und onduliert, in diese Rolle und zelebriert den Showstopper „Ich bin der typisch englische moderne Generalmajor“ in schwindelerregendem Stakkato. Was für ein Textmonster, diese Arie!
Dabei wird er unter Szenenapplaus aus dem Bühnenboden hochgefahren auf einem Pferd sitzend, das offenbar mit dem Ganzen nicht so einverstanden ist und dieserhalb zum Amüsement des Publikums kanonenartig pfurzend Pferdeäpfel aus seinem Auspuff wirft.
Und dann ist da dieser Piratenkönig Richard, mit dem Solisten-Diamant der hauseigenen höchst superben Riege an hervorragenden Sängern und Darstellern des Hauses besetzt: Daniel Gutmann. Mit unglaublicher Bühnenpräsenz zieht er alle Augen auf sich – springt, rennt, schwingt am Seil hoch oben am Piratenschiff, schlägt Salti, versprüht massenhaft rollenbedingt Testosteron und singt nebenbei auch noch mit seinem wunderbaren Bariton. Wer war denn eigentlich noch dieser Jack Sparrow?? Der kann ja mal komplett einpacken angesichts dieses breitbeinig kraftstrotzenden Mannsbilds.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass Daniel Gutmann die eingängigste Nummer zu singen hat. Jedes Schulkind in England trällert den Refrain „I am a Pirate King“ . Zum Glück wurde bei der ansonsten komplett deutschen Übersetzung des Stücks genau diese zentrale Aussage im englischen Original belassen, holpriges Deutsch hätte auf keinen Fall in diesen Melodienteil gepasst.
Immer treu an des Piratenkönigs Seite als Adjutant Sam fungiert Peter Neustifter und fuchtelt überaus gekonnt mit dem Degen herum, wie sein Chef.
Sigrid Hauser ist punktgenau besetzt mit der Ruth, Frederics Kindermädchen, welche vor vielen Jahren – offenbar damals schon schwerhörig – das ganze absurde Durcheinander überhaupt erst in Gang gebracht hatte, als sie mal eben die anstehende Ausbildung des Buben Frederic irrtümlich von „privat“ in „Pirat“ deutete und den Jungen in die Obhut des Piratenkönigs gab.
Die stümperhaft-ängstliche Polizistentruppe wird angeführt vom Sergeanten Holger Ohlmann, mit prächtigem Bass agierend. Sehr amüsant, wie hier die Obrigkeit typisch britisch tüchtig durch den Kakao gezogen wird.
Mina Yu (herrlich überdreht), Anna Overbeck und Laura Schneiderhan überzeugen als drei der Generalmajors-Mündel im ständigen Ellenbogen-Geschubse gegen Mabel um die Gunst der schneidigen Piraten. Keine Bange, am Ende bekommt jede einen.
Fazit: Auf, auf Leute, sichert Euch rasch Karten für dieses so herrlich-absurde, höchst unterhaltsame Piraten-Spektakel. Das Premierenpublikum amüsierte sich aufs Allerbeste, lachte lauthals, es gab Szenenapplaus und natürlich Standing Ovations. Das insgesamt nicht allzu lange Stück – der erste Akt 60 Minuten, der zweite Akt 50 Minuten – vergeht wie im Flug, es gibt keine Längen. Garantie für einen höchst vergnüglichen und enorm unterhaltsamen Theaterabend.
Silvia E. Loske, November 2024
Alle Showfotos unterliegen dem alleinigen Copyright von Musical Reviews.
Anmerkung: bei der Hauptprobe wurde die Rolle der Mabel von Sophia Keiler verkörpert, daher ist sie auf den Showfotos zu sehen.
Infos, Tickets, Trailer und Stückeinführung hier:
Gärtnerplatztheater – Die Piraten von Penzance
Schlussapplaus:
Premierenfeier:
Julia Sturzlbaum, Daniel Gutmann, Adam Cooper (Regie & Choreographie), Matteo Ivan Rašić
Neben Mabel die drei Hauptmündel des Generalmajors: Laura Schneiderhan, Anna Overbeck, Mina Yu
Peter Neustifter (Sam), Sigrid Hauser (Ruth), Intendant Josef E. Köpplinger
Alexander Franzen, Peter Neustifter, Morris Jeyachandran, Daniel Gutmann, Julia Sturzlbaum
Adam Cooper, Matteo Ivan Rašić
Video vom Premierenschlussapplaus auf meiner Instagram-Präsenz.
Comic Opera von Arthur Sullivan (Musik) und William Schwenck Gilbert (Buch). Uraufführung 30.12.1879
Kreative:
Musikalische Leitung: Anthony Bramall
Regie & Choreographie: Adam Cooper
Bühnenbild: Karl Fehringer & Judith Leikauf
Kostümbild: Birte Wallbaum
Licht: Michael Heidinger
Dramaturgie: Michael Alexander Rinz
Darstellende:
Frederic: Matteo Ivan Rašić
Mabel: Julia Sturzlbaum/Sophia Keiler
Major General Stanley: Alexander Franzen
Pirate King Richard: Daniel Gutmann
Ruth: Sigrid Hauser
Samuel: Peter Neustifter
Police Sergeant: Holger Ohlmann
Edith: Mina Yu
Kate: Anna Overbeck
Isabel: Laura Schneiderha
Chor, Statisterie und Kinderstatisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz