OH! OH! AMELIO!

Uraufführung Staatstheater am Gärtnerplatz 10. Juli 2024

"Oh! Oh! Amelio!" am Münchner Gärtnerplatztheater, Dagmar Hellberg (Die Putzebumskaja), Laura Schneiderhan (Charlotte), Christian Schleinzer (Amelio von Tschüssikowski), Julia Sturzlbaum (Marika Waldhoff), Peter Neustifter (Der Matriarch) | Bildquelle: Anna Schnauss

Eine „nagelneue Operette“ wurde angekündigt – und stellt sich als neuester Schelmenstreich von Thomas Pigor heraus, der bereits so erfolgreich den Kästner-Roman ‚Drei Männer im Schnee‘ als Auftragswerk für das Gärtnerplatztheater umgesetzt hatte.

Nun widmete er sich einem Stoff des französischen Komödienspezialisten Georges Feydeau, „Occupe-toi d’Amélie“ der Jahrhundertwende, verlegte die Handlung in die Jetzt-Zeit und nahm diverse Änderungen an den beteiligten Charakteren vor.

Der Autor himself erscheint als fränggische Mudder „Täschner“ entsprechend geschneckelt-onduliert und Tupfenblusen-gewandet auf der Spielfläche der putzigen, in den Katakomben des Theaters liegenden ca. 200 Zuschauerplätze fassenden Studiobühne. Und spricht eine „Drigger-Warnung“ aus dergestalt, dass dezent darauf hingewiesen wird, wie gut Homosexuelle im Stück wegkommen würden, dass es blöde Witze geben, Klischees bedient und Leute durch den Kakao gezogen würden. Religion – aber keine bestimmte – und Osteuropäer kämen auch vor im Stück. Und dass diejenigen Schauspieler und -innen in den etwas blöderen Rollen im wahren Leben ja ganz feine Kerle und -innen seien. Gut, dass wir gesprochen haben …

Die schwarze Bühne ziert ein riesiges Lämpchen-bestücktes A, davor lediglich drei Podeste, die im Laufe der Handlung als Sitzflächen und Bett ihre Bestimmung finden. Links von der Bühne ist das Orchester platziert, welches vom Flügel aus von Andreas Partilla geleitet wird.

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Um sofort das Publikum auf Linie zu bringen treten grotesk mit Hasenohren kostümierte und in großen umgekehrten Zylindern steckende Revue“girls“ auf und erklären singend, dass es hier um Unterhaltung und sonst nix ginge. Aha, wir haben es ja irgendwie schon geahnt …

Aus einer Loge am rechten Bühnenrand mit Opernglas bestückt begutachtet sabbernd der Filmproduzent Herr Prinz den blonden Star der Truppe, „Amelia von Tschüssikowski“ und trägt seiner neben im sitzenden Assistentin Frau Cologne auf, Kontakt zu der scharfen Schnecke herzustellen.

In der Handlung steht nun das schwule Paar Étienne und Amelio, Letzterer wie bereits erwähnt tätig als Tanzgirl „Amelia“, im Mittelpunkt der Handlung. Die beiden leben zusammen mit Amelios Mutter. Étienne ist gerade im Begriff, für 28 Tage auf eine Vortragsreise in die USA zu fliegen, worauf er irgendwie keine rechte Lust hat. Zu seinem Abschiedsbrunch finden sich die Revuegirls aus Amelios Truppe sowie Étiennes beste Freundin Marika ein. Diese ist sowohl feierwütige Lebenskünstlerin und ergo reichlich arbeitsscheu und gerade an der Privatinsolvenz entlangschrammend. Man spricht ausführlich dem Champagner zu, denn „Eine Frau braucht manchmal Champagner, denn sonst wird sie depressiv“.

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Marika erklärt, dass sie ja eigentlich 900.000 Euro bekäme aus einer Erbschaft, dummerweise ist als Bedingung dafür erforderlich, dass sie heiraten müsse. In Ermangelung eines passenden Kandidaten hierfür bittet sie Amelio auf eine Scheinehe mit ihr einzugehen, denn es ginge ja schließlich um reichlich Diridari. Natürlich stimmt Amelio zu, denn Nein-Sagen ist so gar nicht sein Ding.

Sozusagen als Testamentsvollstreckerin fungiert eine ominöse Tante Putzebumskaja aus der Marzowina welche sodann gleich anreist, um den Breitigam zu besichtigen und an ihren Busen zu dricken.

Und schon nimmt das Durcheinander wie in einer klassischen Screwball Comedy Fahrt auf. Die Türklingel ist ständig aktiv, Tür auf Tür zu, nun erscheint auch noch diese Frau Cologne, Assistentin des Filmproduzenten, und soll Ameli“a“ als Köder eine Rolle im nächsten Tatort anbieten, Hintergrund ist natürlich, dass Herr Prinz die schmucke Amelia auf die Besetzungscouch kriegen will. Mutter Täschner mischt auch mit, es würde nichts ohne sie gehen. Um sie loszuwerden, bietet Frau Cologne der Mutter eine vermeintliche Rolle als Leiche an.

Die marzowinische Tante berichtet nun von hässlichen und dummen Männern, der hübsche Amelio falle zum Glück nicht in dieses Raster, sie ist sehr angetan von ihm und muss ihn ständig kissen.

Étienne ist nicht wohl bei dem Gedanken, seinen geliebten Amelio alleine zu lassen und verpflichtet dieserhalb Marika, auf ihn achtzugeben, „Hab ein Auge auf Amelio“ und reist ab in die USA. Marika nimmt ihre solchermaßen übertragene Aufgabe zu wörtlich und zieht mit Amelio tage- bzw. nächtelang um die Häuser, eines Morgens erwachen die beiden in Marikas Bett, können sich an nichts erinnern und beschließen, nichts zu sagen. Insbesondere natürlich dem eifersüchtigen Étienne nichts zu sagen.

Die Tante überrascht die beiden im Bett und tut ihre Erfahrung kund, dass es in der Liebe auf drei Dinge ankäme: Kopf, Herz und das da unten. Eine Mitbewohnerin von Marika, die nicht gerade übermäßig agile Charlotte, ist auch vor Ort, in erster Linie um „ich mach schon auf“ die Tür zu bedienen und Nachschub an Champagner zu besorgen.

Die Turbulenzen ufern aus, es muss geheiratet werden, der schmierige Filmproduzent umgarnt Amelia. Étienne kommt überraschenderweise früher als geplant zurück und erfährt von der Tante, dass die beiden Turtelteibchen ja schon fleißig in der Horizontalen üben würden. Étienne schäumt über vor Wut über diesen Betrug und will es Marika und Amelio heimzahlen.

Wenn es zu viel an Durcheinander wird, ruft man laut nach Regie und wiederholt, dass es hier ja nur um Unterhaltung und sonst nix ginge …

Ein angeblicher Schauspieler soll – so erklärt es Étienne – eine Fake-Hochzeit zelebrieren nach marzowinisch-orthodoxem Ritus. Ein Matriarch, ebenfalls grotesk kostümiert, erscheint mit drei säbeltanzenden Cousinen, es wird geheiratet.

Tatsächlich aber ist es kein Fake und Marika erkennt verzweifelt, dass sie nun tatsächlich rechtmäßig mit Amelio verheiratet ist. Bis sich alles in Wohlgefallen auflöst, gibt es natürlich noch einige weitere Verwirrungen …

Dies alles schnurrt wie ein Uhrwerk in 100 überaus kurzweiligen Spielminuten als Einakter ohne Pause – man kommt aus dem Lachen kaum heraus. Dies ist ohne Frage ein weiterer Hit für das Gärtnerplatztheater.

Die Cast ist schlicht zum Niederknien. Genüsslich ihre Rollen auskostend werfen sich die Vollprofis in irrwitzigem Tempo gegenseitig die Bälle zu. Sie kennen sich jahrelang und wissen daher ganz genau, wie ihr Spielpartner/partnerin reagiert. Da sitzt jeder Blick, jede Geste, mit hingebungsvoller Spiellaune zelebrieren diese Erzkomödianten dieses hochgradig absurde Stück.

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Als blonder Amelio ist Christian Schleinzer einfach nur bezaubernd. Er hat die besten netzbestrumpften Beine, stöckelt in High Heels perfekt mit vorgeschobener Hüfte und gestreckten Knien auf dem Catwalk. Daran könnten sich die talentbefreit trampelnden, taumelnden und stolpernden Kandidatinnen einer Trash-Reihe, deren Titel ich hier bewusst nicht nenne, um nicht noch Werbung dafür zu machen – aber jeder weiß, wovon ich spreche – ein Beispiel nehmen. Mit hinreißender Mimik reagiert er auf die schmierigen Avancen des Herrn Prinz, laviert sich geschickt und charmant aus den Busseleien der Tante heraus und bildet mit dem bodenständigen Étienne ein glaubhaft verliebtes Paar.

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Armin Kahl als Étienne hält mühsam als einzig einer vernünftigen beruflichen Tätigkeit nachgehender Normalo die Fäden zusammen inmitten all dieser skurrilen Figuren, insbesondere will er seinen leichtlebigen und – wie er meint – labilen Amelio im Zaum halten. Wie in jeder seiner Rollen agiert der vielseitige Künstler punktgenau, singt wunderbar, tanzt geschmeidig. Und zieht schauspielerisch wieder alle Register.

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Julia Sturzlbaum stellte ihr komödiantisches Talent in ‚Tootsie‘ bereits nachdrücklich unter Beweis – ebenfalls übrigens auch dort als Freundin von Hauptdarsteller Armin Kahl. Sie ist eins dieser Multitalente am Gärtnerplatztheater, wird in Oper und Operette mit ihrem klassisch ausgebildeten Sopran eingesetzt und überzeugt dazu noch in Hauptrollen im Musical. Mühelos schraubt sie sich hoch zum hohen C und legt ein schauspielerisches Kabinettstückchen hin.

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Dagmar Hellberg als marzowinische Tante – ein Genuss! Die Grande Dame des Gärtnerplatztheaters ist ein unersetzbarer Eckpfeiler im Ensemble, sie liefert immer zu hundert Prozent, ein richtiges Bühnentier im wahrsten Sinne des Wortes.

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Mit dem extrem übergriffig-schleimigen Filmproduzenten Herr Prinz setzt Alexander Franzen ein köstliches Ausrufezeichen. Seine Nummer „Ich bin das Krokodil, tanz‘ mit dem Krokodil“ wird zu einem der zahlreichen Showstopper der Show – die Kollegen und Kolleginnen in grünen Überwürfen flankieren ihn mit Krokodil-Handpuppen, schni-schna-Schnappi – was für ein herrlicher Spaß!

Thomas Pigor hat sich mit der Mutter Täschner eine Paraderolle auf den eigenen Leib geschrieben, einfach großartig, wie er in seinem Heimatdialekt agiert und auch sehr liebenswert, wenn die Mudda von ihrem schwulen Bub singt und dass das völlig egal ist, wichtig sei einzig und allein, dass der Bub glücklich sei.

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Peter Neustifter in vielen Rollen als Revuegirl mit Running Gag „ich find das super“ und wunderbar als Matriarch „ist Tarifvertrag, habe jetzt Feierabend“ und Laura Schneiderhan als stoische und trinkfeste Mitbewohnerin Charlotte komplettieren die neunköpfige Cast aufs Vortrefflichste.

Zum Bühnenbild wurde eingangs bereits berichtet, besonderer Erwähnung bedürfen die großartigen Kostüme. Die grellbunte marzowinische Linie samt Kopfbedeckungen, Perücken, Bärten und übertriebenem Make-up ist zum Kringeln. Das Ensemble ist ständig mit Umzügen beschäftigt und agiert auch mal in Unterwäsche, es werden sämtliche Register gezogen!

Licht und Ton sind wie gewohnt bestens gesetzt und ausgesteuert. Das Orchester spielt schmissig die mit ganz unterschiedlichen Genres reichhaltig bestückte Partitur, es finden sich Walzer, Märsche, Polka, Folkloristisches, bis hin zu Discoanklängen. Im Ohr hängen bleiben „Es geht um Unterhaltung und sonst nix“, „Hab ein Auge auf Amelio“ und der Krokodil-Song. Und die Choreographien sind mitreißend, schwungvoll, sicher schweißtreibend für die Ausführenden 🙂

Fazit: Ein unbedingtes Must-see! Tip: ganz schnell sein, um Tickets zu ordern, denn aufgrund der begrenzten Sitzplätze werden in rasender Geschwindigkeit alle Tickets schnellstens vergriffen sein!

Silvia E. Loske, Juli 2024

Showfotos:  © Anna Schnauss
Schlussapplausfotos: © Musical Reviews

Infos, Tickets: Gärtnerplatztheater – Oh! Oh! Amelio! (gaertnerplatztheater.de)

Stückeinführung: https://youtu.be/tjB1u2MQeXQ

Video vom Schlussapplaus am Premierenabend:
https://youtu.be/dNV3PSKF1Gs

Operette von Thomas Pigor, Musik von Konrad Koselleck und Thomas Pigor

Kreative 
Musikalische LeitungAndreas Partilla
RegieGabi Rothmüller
ChoreographieAlex Frei
Bühne und KostümeKarl Fehringer, Judith Leikauf
LichtPeter Hörtner
DramaturgieMichael Alexander Rinz
Darsteller 
Amelio von TschüssikowskiChristian Schleinzer
Étienne MilledieuArmin Kahl
Marika WaldhoffJulia Sturzlbaum
Die PutzebumskajaDagmar Hellberg
Die TäschnerThomas Pigor
Herr PrinzAlexander Franzen
Frau CologneFrances Lucey
CharlotteLaura Schneiderhan
Der MatriarchPeter Neustifter
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Andreas Partilla