Interview FILIPPO STROCCHI

© Serge Vossoughi

Der italienische Musicalstar ist seit 2009 auf den Bühnen in Deutschland und Österreich präsent und hat sich in vielen unterschiedlichen Rollen in die Herzen der Musicalfans gespielt und gesungen. Nach seinem Riesenerfolg als Graf von Krolock im Kultmusical Tanz der Vampire gab der charismatische Künstler seinen Einstand in der begeistert gefeierten Co-Produktion von Les Misérables am Theater St. Gallen und im Staatstheater am Gärtnerplatz München in gleich beiden Hauptrollen als Jean Valjean und Inspektor Javert.

© Christian Schleinzer

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Für Musical Reviews nahm sich Filippo Strocchi kurz vor seinem Javert-Auftritt bei der in dieser Spielzeit letzten Vorstellung von Les Misérables Zeit für ein ausführliches Gespräch. Wir durften dafür im wunderschönen Gärtnerplatztheater den Chorprobensaal über den Dächern Münchens mit beeindruckendem Ausblick nutzen.

MR: Filippo, Du kamst kürzlich aus einem offenbar sehr schönen, erholsamen und mit traumhaften Erinnerungen bestückten Urlaub zurück und musst jetzt davon zehren, da in nächster Zeit aufgrund Deiner Engagements keine weitere Auszeit mehr möglich sein wird…

FS: Ja, ganz genau! Jetzt bin ich dann ab übermorgen für drei Monate in Tecklenburg, wir beginnen am Montag mit den Proben. Am 19. Juli ist Premiere von 3 Musketiere auf der großen Freilichtbühne und wir spielen dann bis 15. September.

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MR: Dein Urlaub, das waren drei Wochen, oder?

FS: Drei Wochen quer durch Spanien mit Portugal noch am Ende. Im Camper, ein phantastischer Urlaub.

MR: Da sind wirklich atemberaubende Videos und Fotos entstanden von beeindruckenden Landschaften und großartigen Gebäuden, viel Material, das Du davon hochgeladen hast und woran Du Deine vielen Instagram Follower hast teilhaben lassen.

MR: Zu Deinem künstlerischen Werdegang: Du warst sehr erfolgreich in Italien, warum hast Du damals die Entscheidung getroffen, in Deutschland zu arbeiten?

FS: Das kam so: 2009 war ich in Rom für die Audition zu Beauty and the Beast von Stage Entertainment und ich war in den Finals für das Biest. Aber dann hat mich der Castingdirektor von Stage Entertainment gefragt: „Filippo, kennst Du Wicked? Wir suchen einen Fiyero“. Und dann habe ich eben die Audition für die Rolle des Fiyero gemacht und den First Cover Fiyero für das Stuttgarter Palladium Theater bekommen, das war meine allererste Erfahrung als Musicaldarsteller in Deutschland. Ich hatte viel Spaß, allerdings war damals mein Deutsch noch nicht so gut. Aber Prinz Fiyero kommt im Stück aus einem anderen Land von Oz, das heißt, er konnte durchaus einen Akzent haben.

Dieses Jahr seinerzeit in Stuttgart war super schön, eine neue Welt für mich. In Deutschland ist die Qualität der Shows manchmal besser als am Londoner West End.

Für das zweite Jahr bot man mir einen Vertrag für die gleiche Position an, aber in Oberhausen. Dies war allerdings wirtschaftlich für mich weniger interessant. Daher habe ich entschieden, wieder zurück nach Italien zu gehen, weil ich dort ein Angebot hatte für den Nick in Flashdance, was mich reizte.

Diese Entscheidung war vielleicht in diesem Moment gut, aber rückblickend wäre es für mich besser gewesen zu bleiben, um mein Deutsch zu verbessern und in diesem deutschen Musicalmarkt weiter Fuß zu fassen. Es ergeben sich einfach bessere Möglichkeiten für weitere Jobs, wenn man präsent vor Ort ist.

Ich habe dann in Italien viel gearbeitet, war auch am Londoner West End engagiert. Das waren gute Erfahrungen, aber ich wollte doch wieder gerne zurück nach Deutschland. Weil es hier einfach besser ist, zu arbeiten!

MR: Kannst Du das näher erklären?

FS: Gerne, ich sage Dir auch warum: Es ist lukrativer als Italien, weil hier besser bezahlt wird. Und es gibt so viele verschiedene Bereiche, in Deutschland zu arbeiten, so viele unterschiedliche Produktionen, auch natürlich in Österreich und der Schweiz. Die Theater hier werden zum Großteil als Staats- oder Stadttheater subventioniert, es gibt einfach viel mehr Möglichkeiten hier.

Die Verträge sind auch deutlich besser, weil sie nicht so kurze Laufzeiten haben, wie in Italien. Hier gibt es Jahresverträge, z. B. von Stage Entertainment. In Italien gehen die Leute im Sommer nicht ins Theater, es gibt zwar Sommertourneen, aber die dauern nicht lange. Und die Kultur in Italien für Musical ist nicht so ausgeprägt wie hier, in Italien wird halt hauptsächlich Oper aufgeführt. Aber ich bin ja nun mal kein Opernsänger *lacht*.

Und die Theater in Deutschland sind so viel besser meiner Meinung nach als die Theater im Londoner West End.

MR: ach, das ist ja interessant …

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FS: Aus verschiedenen Gründen: Die Infrastruktur ist komplett anders. Die Theater am West End sind so alt und klein, verschachtelt und schmutzig, ich habe dort sogar Ratten laufen sehen.

Guck dazu hier im Vergleich, dieser schöne Chorprobensaal, in dem wir gerade sind. Hier gibt es eine tolle Kantine, in Stuttgart im Palladium Theater hatten wir ein Fitness Studio, Tischtennis, einen Green Room. Das alles ist natürlich für uns Künstler sehr angenehm. Das Gärtnerplatztheater ist zwar ein historisches Theater, aber durch die aufwändige Sanierung ist es nun den aktuellsten technischen Standards und modernster Innenarchitektur angepasst.

MR: London – dazu kommt noch der nicht unwesentliche Umstand, dass Wohnen in London nicht bezahlbar ist.

FS: Oh ja! Ich war in Cats der Rum Tum Tugger, also eine der Hauptrollen im Stück. Ich kenne Kollegen, die noch größere, wichtigere Hauptrollen in Musicals in London spielen und trotzdem einem zweiten Job nachgehen müssen, weil es finanziell einfach nicht möglich ist, mit einem Hauptdarstellergehalt in London zu überleben! Die Mieten sind absolut verrückt, U-Bahn ist unglaublich teuer. Und als ich dort war, gab es jeden Monat einen Streik.

MR: Nun, das haben wir hier mittlerweile ja leider auch: Bahn, Flughäfen, Airlines …

FS: Ja, das stimmt wohl. Aber ich sage Dir, es war so unangenehm in London U-Bahn zu fahren und dazu in den Underground zu gehen, wo es unten 40 Grad Hitze hatte, während es oben im Freien kalt war, man schwitzt, erkältet sich ständig. Kurzum: Ich habe mein Leben in London nicht sehr genossen!

MR: Aber es macht sich natürlich gut in der Biographie eines Musicaldarstellers, wenn dort ein West End Engagement aufgeführt ist.

FS: Natürlich, völlig richtig, für Bio und Prestige ist es gut – aber das war’s dann auch schon. Nur meine Meinung… das Leben in Deutschland und Österreich ist viel besser. Aus all den Gründen ist es für mich viel vorteilhafter, in Deutschland zu leben und zu arbeiten, als in Italien oder London.

MR: Dann kommt ja auch noch hinzu, dass es von Deutschland und Österreich aus nicht so weit ist in Deine italienische Heimat.

FS: Ganz genau! Ich bin immer im Auto unterwegs, von Süddeutschland nach Italien ist das alles kein Problem, ich kann in sieben, acht Stunden zuhause in Riccione sein, meine Familie wohnt dort.

MR: Hier in Deutschland hast Du Deinen Wohnsitz in Stuttgart, weil Du eben lange bei Tanz der Vampire am Palladium Theater beschäftigt warst. Und im Laufe der Jahre wurde Dein Deutsch natürlich auch immer besser.

© Robert Meyer

FS: Richtig. Ich habe in Stuttgart auch einige Freunde, mit denen ich jeden Montag Fußball spiele. Das sind alles Leute, die mit Musical nichts zu tun haben, das ist wichtig und gut für mich, aus der Bubble hinaus in eine „normale“ Welt zu gehen. Normale Leute mit normalen Jobs, das tut gut und ist hilfreich, um etwas Abstand zum eigenen Business zu gewinnen.

Aber ich sehe Stuttgart jetzt nicht unbedingt als meinen finalen Standort, mal sehen.

MR: München gefällt Dir aber auch, oder?

FS: Oh ja, super. Ich liebe München!

MR: Man sagt ja, dass München die nördlichste Stadt Italiens sei, vom ganzen Flair und der Lebensart hier.

FS: Bis jetzt ist München in ganz Deutschland meine Wunschstadt. Natürlich auch wegen des aktuellen Jobs in Les Misérables, den Jean Valjean zu spielen war immer schon mein absoluter Traum.

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© Mit Merlin Fargel (Enjolras) Musical Reviews

MR: Elegante Überleitung, Filippo 😊, denn ich habe in der Vorbereitung einen großen Fragenblock zu Les Misérables notiert …

Wie kam es, dass Du gecastet wurdest für LesMiz und dann auch noch für beide Hauptrollen? Wie geht das?

FS: Also ganz ehrlich: Ich habe diesen Prozess immer noch nicht verstanden *lacht laut auf*. Aber es hat sich einfach so ergeben und war letztlich perfekt für mich. Am Anfang, als das Gärtnerplatztheater die Audition Ausschreibung veröffentlichte, wurden keine Darsteller für Valjean und Javert gesucht. Daher war leider nichts für mich dabei, schade, dachte ich damals.

© Ludwig Olah

MR: Fiel mir auch auf, ich habe die Ausschreibung gesehen. Da war von Fantine, Eponine, Marius, Enjolras die Rede. Also war zu dem Zeitpunkt offenbar klar, dass man die beiden Hauptrollen mit eigenen Darstellern aus dem hauseigenen Ensemble besetzen würde.

FS: Nach einiger Zeit kam mein Agent Peter Stassen auf mich zu und informierte mich, dass man jetzt doch einen weiteren Valjean und einen Javert Darsteller suchen würde für St. Gallen und München. Und Peter bat darum, „Filippo bitte schicke mir so bald wie möglich zwei Videos, auf denen Du Valjean und Javert singst“.

MR: Was hast Du aufgenommen – sicher „Stars“, „Bring him home“ – noch etwas?

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© Edyta Dufaj

FS: Ja, zusätzlich zu dem Aufgeführten noch „Valjean‘s Soliloquy“. Diese drei Arien. Peter hat meine Videos an die zuständige Castingstelle am Gärtnerplatztheater geschickt, von dort wurden die Aufnahmen nach London zu Cameron Mackintosh weitergeleitet. Und Mackintosh hat gesagt: „Dieser Junge kann beide Rollen spielen. Er hat die Bestätigung von mir, dass er beides spielen kann“.

Und dann hat man wohl am Gärtnerplatztheater gedacht, okay, dann engagieren wir Filippo für beide Rollen. Es hat Vorteile für beide Seiten – als Gast-Darsteller bekommt man mehrere Shows und das Theater muss nur eine Wohnung für einen Darsteller zur Verfügung stellen.

Es war auch gut, dass wir mit Armin (Kahl) und Daniel (Gutmann) die Vorstellungsanteile für jeden wirklich gut aufgeteilt haben. In St. Gallen habe ich fast alle Shows gespielt, dafür in München etwas weniger.

Für die Wiederaufnahme im Herbst gibt es jetzt 12 Shows. Am Anfang waren es nur 10 Shows, und dafür habe ich eben eine bestimmte Anzahl an Vorstellungen vertraglich bekommen. Dann kamen die beiden Zusatzshows dazu, die ich aber aus terminlichen Gründen nicht spielen kann. Aber sollte ein Notfall eintreten, werde ich natürlich einspringen.

MR: Notfall, gutes Stichwort… gleich zu Anfang Spielbeginn hier in München passierte genau das. Armin fiel krankheitsbedingt aus, Du bist großartig für ihn bei der Premiere eingesprungen, ich ziehe immer noch in Erinnerung an diese unglaubliche Premiere meinen Hut vor Deiner Leistung, so etwas bleibt lange auf der geistigen Festplatte eingebrannt.

Mit Daniel Gutmann bei der Premierenfeier München 22. März 2024, © Musical Reviews

Doch nach meiner Meinung sind drei Darsteller für beide Hauptrollen sehr auf Kante genäht. Hat sich ja schnell bewahrheitet, als Du auch noch krank wurdest und nicht als Valjean für den erkrankten Armin weiter übernehmen konntest. Den Javert konntest Du gerade noch so trotz eigener Erkrankung singen und spielen …

FS: Ich hätte den Valjean nicht singen können in meinem Zustand, wegen der vielen hohen Töne. Javert hingegen war noch möglich. Natürlich wäre ich für Armin als Valjean eingesprungen, aber das ging halt für vier Shows nicht, weil ich selber so angeschlagen war gesundheitlich.

In St. Gallen ist dies so ähnlich auch schon vorher passiert: Daniel wurde krank, nach meinem Vertrag sollte ich an dem Termin Valjean spielen, aber Daniel konnte eben aufgrund seiner Erkrankung nicht, und so ist Armin nach St. Gallen gekommen, um Valjean zu spielen und ich bin als Javert eingesprungen. Es war für mich nicht so toll, denn ich hatte an dem Termin Gäste, die mich als Valjean sehen wollten, aber natürlich bin ich immer bereit, einzuspringen und zu helfen.

© Ludwig Olah

MR: Wie ging das: Du hast das Okay von Mackintosh bekommen, er sagt, Du kannst beide Rollen spielen. Wie erging es Dir dabei – kamen da keine Zweifel auf: Wie schaffe ich das, wie erarbeite ich mir diese beiden so herausfordernden und schweren Rollen gleichzeitig? Das ist doch einfach unglaublich, sich das nur vorzustellen!

FS: Tja, ich war sehr nervös. Ich habe mich selbst vorbereitet, habe einen Phonetik- und einen Gesangscoach genommen, lange, bevor die offiziellen Proben begannen. Sehr, sehr viel Zeit habe ich in das Lernen und Studieren der Rollen investiert. Natürlich hat man mir hier am Gärtnerplatztheater auch enorm viel geholfen, mit dem ganzen schweren Text, Alexander Kreuselberg habe ich dabei viel zu verdanken. Und dann habe ich es eben Schritt für Schritt geschafft …

MR: Das gab es bislang noch nie, nach meiner Kenntnis, dass ein Darsteller zeitgleich beide Rollen spielt.

FS: Ja, das war absolut irre. Es passierte, dass ich in den Proben als Javert war und dann plötzlich kam während der Probe die Information – Armin kommt später, Filippo kannst Du bitte jetzt Valjean proben …

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MR: Ich stelle mir das schon unglaublich schwierig vor für einen Muttersprachler, aber Du bist kein Muttersprachler – das ist doch nochmal eine ganz andere Ebene …? Ich hatte Dir nach der Premiere in St. Gallen schon meine tiefe Bewunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass ich nicht den leisesten Akzent bei Deiner Javert-Premiere gehört habe. Dafür bedarf es schon einer ausgeprägten Sprachbegabung, Chapeau!

FS: Ich habe am Ende viele Komplimente bekommen für genau diese Leistung. Bei der Premiere in St. Gallen habe ich den Javert gespielt und nur einen Tag später den Valjean. Aber ich sage Dir ehrlich: ich war fertig. Nach diesen Premierentagen in St. Gallen im Dezember war mein Körper völlig am Ende, ich war am Boden für eine Woche, tot. Gott sei Dank war dann eine Pause von einigen Tagen, da habe ich mich wieder aufgerappelt.

Mit Armin Kahl bei der Premierenfeier St. Gallen 9. Dezember 2023, © Musical Reviews

MR: Allein mental ist das so eine unfassbare Leistung…

FS: Du hast keine Ahnung, wie das für einen Nicht-Muttersprachler am Ende des Tages ist! Es ist für mich halt immer anstrengend, alles im Kopf erstmal zu übersetzen. Auch jetzt, während wir hier reden, ist das so, dass ich immer überlege, wie sage ich den Satz richtig. Das ermüdet das Gehirn.

MR: Ja natürlich überaus verständlich, wenn man dauernd hin und her switchen muss. Und es bei LesMiz ja ganz schwierige Texte sind.

FS: Und dann auch noch „altes Deutsch“ (Filippo seufzt): … „noch eh sein Wort uns gebar, und bis zum jüngsten Gericht“. Ich musste mir das alles übersetzen, damit ich es überhaupt verstehen und fühlen konnte!

MR: Klar, am Anfang hast Du alles erst auf Italienisch übersetzt, um zu verstehen, das machen Opernsänger, die in einer fremden Sprache singen, ja genau so, wie mir kürzlich ein Fachmann erklärt hat – Dank an Daniel Gutmann an dieser Stelle! Nur auf diesem Wege hat man dann Zugang zu der erforderlichen Emotionalität. Wann hast Du auf eigene Veranlassung damit begonnen, Dir die Texte mithilfe von einem Phonetikcoach zu erarbeiten?

FS: Der offizielle Probenbeginn für LesMiz war im Oktober 2023. Ich habe im August, also zwei Monate vorher, begonnen, die Texte der beiden Rollen zu lernen.

MR: Meine Hochachtung!
Welches sind Deine Lieblingsszenen von a) Javert und b) Valjean?

FS: Bei Javert ist es natürlich der Selbstmord, das ist eine unglaublich gute Szene. Und wenn Javert auf Valjean trifft bei der Szene Der Unfall mit dem Karren, (Filippo singt😊:) „Wie kann das sein, trau meinen Augen nicht mehr, ein Mann wie Ihr, so alt und stark wie ein Bär“.

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Und dann liebe ich noch „Die Konfrontation“, wenn Javert erkennt, dass der Bürgermeister in Wahrheit Jean Valjean ist.

„Die Konfrontation“, hier allerdings mit Filippo als Valjean und Daniel Gutmann als Javert,
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Armin Kahl als Valjean, Filippo als Javert, © Ludwig Olah

MR: Gehört „Sterne“ nicht zu Deinen Lieblingsszenen als Javert?

FS: Ich liebe es, den Titel zu singen, er hat eine wunderschöne Melodie. Aber für die Entwicklung des Javert Charakters ist diese Nummer nicht so wichtig, meiner Ansicht nach.

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MR: Ich finde es musikalisch hochinteressant, dass „Valjean‘s Soliloquy“ und Javerts „Selbstmord“ die gleiche Melodie haben. Mit zwei völlig gegensätzlichen Textinhalten. Das ist so genial geschrieben. Und ist eigentlich die Klammer des Stücks. Am Anfang mit Valjean: er durchläuft den Prozess der Läuterung und gegen Ende zweiter Akt dann mit Javert: der lebt in Höllennot und sieht nur noch im Tod seine Erlösung.

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FS: Ganz genau! Denn in beiden Liedern dieser so unterschiedlichen Charaktere gibt es eine Erlösung. Valjean entscheidet in seiner Arie, dass er nicht mehr Jean Valjean sein will, dass er die einmalige Chance durch das Silber des großherzigen Bischofs von Digné ergreifen und ein guter Mensch sein will.

© Musical Reviews

Er streift seine Sträflingsvergangenheit ab.

Wohingegen Javert das absolute Gegenteil erlebt, er verliert buchstäblich den Boden unter den Füßen, kann damit nicht umgehen, dass all seine jahrzehntelange verbissene Jagd nach Jean Valjean aufgrund dessen Gnade ihm gegenüber der falsche Weg war. Es ist in beiden Liedern der genaue Gegensatz, wie Tag und Nacht. Und das ist in meinen Augen so unbeschreiblich, diese gegensätzliche Entwicklung dieser Protagonisten. Fast wie „ich bin geboren, ich bin gestorben“.

MR: Und welche Schlüsselszene ist es für Dich als Valjean?

FS: Ganz eindeutig der „Soliloquy“, der Monolog, sein Selbstgespräch. Für mich ist einfach die Thematik der Erlösung der stärkste Moment, den ein Charakter haben kann.

„Aug um Aug, Zahn um Zahn…“, © Musical Reviews

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Das ist vergleichbar mit zum Beispiel einer TV-Serie. Wenn Du siehst, dass der Böse am Ende geläutert wird und sich dem Guten zuwendet. Das hat so eine emotionale Wucht. Und aus diesem Grund ist für mich eben der „Soliloquy“ die beste Nummer von Jean Valjean.

„24601!!!“, © Musical Reviews

Und vom Schauspiel her liebe ich auch den „Epilog“, wenn Valjean mit brüchig gewordener, weicher und leiser Stimme weiß, dass sein Ende gekommen ist, er mit sich im Reinen ist.

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„Hand in Hand, so gehn wir zur Erlösung …“, © Musical Reviews

MR: Wenn ich das sagen darf: Ich liebe Deine Valjean-Performance noch ein kleines bisschen mehr als Deinen Javert.

FS: Danke! Ich selbst kann das natürlich nicht beurteilen, weil ich so verbunden mit beiden Rollen bin. Aber genau das Gleiche wie Du jetzt hat mir vorgestern eine Kollegin aus der Choreographie gesagt. Ich glaube, dass man in die Figur des Valjean viel mehr Facetten und Farben einbringen kann, als in den Javert. Als Valjean kann man natürlich deutlich mehr „schauspielen“.

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Javert ist so schwierig darzustellen, weil er anfangs so eindimensional rüberkommt – er taucht auf, ist streng, will wissen, was passiert ist, usw. Und genau deshalb ist dann am Ende sein Selbstmord für mich so interessant, weil dann endlich seine Entwicklung sich Bahn bricht.

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„… Mein Herz aus Stein beginnt zu beben, die Ordnung der Welt, versinkt in Schatten …“,
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„… ich verlier den letzten Halt, Nacht bricht über mich herein …“, © Musical Reviews

MR: Dann wirst Du heute Abend zum vorerst letzten Mal in dieser Spielzeit den Javert spielen.

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© Ludwig Olah

Kommen wir zu Deinem aktuellen Engagement: 3 Musketiere auf der Freilichtbühne Tecklenburg. Du spielst den Athos, die wichtigste und vielschichtigste Figur des Musketier Trios. Und hast eine Blockbuster Arie, „Engel aus Kristall“. Diese Nummer konnten wir ja bereits von Dir beim Boyband Special am 30. April im Festspielhaus Neuschwanstein hören, sehr beeindruckend performt.

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FS: Ja, das ist eine tolle Nummer. Und ich bin schon sehr gespannt auf die Produktion. Jetzt muss ich aktuell ganz viel Text lernen, habe erst vor kurzem das Textbuch bekommen und entdeckt, dass da doch – das war mir so nicht bewusst – sehr viel Dialog zu lernen ist. Ich werde also jetzt noch in den zwei Tagen, bevor ich von Stuttgart nach Tecklenburg am Montag fahre, noch ganz viel lernen. Und bin ein kleines bisschen nervös …

Aber – ich freue mich sehr auf die Degen-Szenen!

Boyband Special 30. April, „Einer für Alle und Alle für Einen“, © Musical Reviews

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MR: Letzten Sommer habe ich in Augsburg die 3 Musketiere Open Air erleben dürfen, da hat Hannes Staffler den Athos wunderbar verkörpert.

FS: Ahh, Hannes, ja, ich habe das auf Spotify gehört und das war so gut! Wir sind ja die Italo-Buddies, drei Italiener in Stuttgart, Hannes und Alexander Brugnara sind aus Südtirol – wir nennen uns immer gegenseitig Gigi – alle drei. Wir haben uns damals 2009 immer getroffen, die beiden waren bei We will rock you und ich bei Wicked, und dann ging es immer so „weißt Du, wo Gigi ist?“, „wie geht es Gigi“? Wir alle drei waren Gigi *lacht*.

MR: Ich kann mir Dich als Athos sehr gut vorstellen.

FS: Und ich hab‘ schon wieder lange Haare: Valjean, Javert, Krolock, Riff-Raff (Rocky Horror Show), Stacey Jaxx (Rock of Ages), alle immer mit langen Haaren *lacht*, das bleibt mir wohl, und jetzt Athos natürlich auch.

MR: Mitte September ist dann die letzte Show der 3 Musketiere in Tecklenburg. Bis Jahresende hast Du dann noch Konzerte mit Peter Stassen in der Reihe „We love Musicals“. Darunter wieder ein Boyband Special am 5. Oktober in Haar bei München sowie Christmas-Specials im Dezember.

FS: Gerade beim Boyband Special haben wir alle und ich persönlich wirklich viel Spaß, das ist immer eine Herausforderung, aber wirklich toll.

Zuerst viel Spaß …

… dann Dankbarkeit

beim Erblicken des Taschenlampen Lichtermeers im Publikum. „No Matter what“

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MR: Das ist für alle im Publikum deutlich erkennbar, wie viel Spaß Ihr dabei habt! Und so wunderbar die beiden Duette aus Les Misérables: „Sterne“ mit Jan Ammann

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Und einfach nur unfassbar berührend „Bring ihn heim“ mit Armin Kahl:

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Mit genau dieser grandiosen Besetzung gibt es am 22. Februar 2025 im Festspielhaus Neuschwanstein eine Neuauflage des Boyband Specials!

Und dann ist da noch der Mitternachtsball in Duisburg am 31. Oktober, mit dem Konzept von Andreas Luketa. Dieses Konzertformat hat eine begeisterte Fanbase und die Créme de la Créme der Musicalstars steht dort in der Halloween-Nacht viele Stunden lang auf der Bühne.

FS: Oh ja, da bin ich zum ersten Mal dabei, und weiß noch gar nicht, was ich da singen werde. Das ist eine große Sache, ich bin sehr gespannt. Und auch ein bisschen nervös, weil es für mich eben das erste Mal dort ist …

Wenn ich etwas schon einmal performt habe, ist es entspannter für mich, aber wenn ich etwas das erste Mal mache, dann ist es „upps“ und ich will dann wirklich, wirklich gut sein.

Aber ich bin gewöhnt daran, immer Neues zu machen. Ich sage das sonst nie und nicht gerne, aber ich bin schon ein bisschen stolz auf mich: Als freiberuflicher Musicaldarsteller bin ich immer in neue Produktionen eingestiegen, bei Stage Entertainment, bei den Vereinigten Bühnen Wien, in London, in Italien, jetzt hier am Gärtnerplatztheater. Immer neu begonnen, ich bin nie in der gleichen Produktion geblieben, war nie an einem Theater festangestellt.

Gut, das ist natürlich meine eigene Entscheidung, aber was ich damit sagen will ist, dass es immer herausfordernd ist, wieder wo neu anzufangen, immer bei Null. Niemand kannte mich vor Tanz der Vampire in Stuttgart, ich war ein Niemand in Wien vor Jesus Christ Superstar, auch in München habe ich nie zuvor gespielt. Also immer wieder neu anfangen. Das ist mit viel Arbeit verbunden und auch zuweilen hart, sich jeweils einen Namen zu machen. Aber auf der anderen Seite erlebe ich dann, dass meine Arbeit bei den Theater Verantwortlichen und den Kollegen anerkannt wird und mich das Publikum dort mag. 

Es hat alles seine Vor- und Nachteile, wenn man freiberuflich tätig oder festangestellt ist. Im Letzteren Fall ist es natürlich gut, dass man die Sicherheit eines festen Jobs hat. Auf der anderen Seite kann man dann aber nicht flexibel auf Angebote reagieren.

MR: Nach Tecklenburg steht die Wiederaufnahme von Les Misérables am Gärtnerplatztheater ab Ende Oktober an, und Du bist wieder mit dabei, wie schön!

FS: Da freue ich mich sehr darauf, ich liebe diese Show einfach so sehr!

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Ich habe Armin in Tootsie gesehen. Unfassbar gut, ich war so beeindruckt, er gehört nach meiner Meinung zu den europäischen Top Stars im Musical. Und dann habe ich gehört, dass er der Valjean sein wird… Ich darf sagen, dass ich an der Probenarbeit mit so einem außergewöhnlich guten Kollegen gewachsen bin. Wenn man mit solch hervorragenden Leuten, natürlich auch mit Daniel Gutmann und jedem Einzelnen dieser großartigen Cast, arbeiten darf, ist das eine tolle Chance, sich selbst künstlerisch weiterzuentwickeln.

MR: Was sind Deine weiteren Pläne?

FS: Ab Ende des Jahres weiß ich noch nicht, wie es weitergeht. Ich habe Auditions gemacht für Produktionen, die 2025 laufen werden, doch noch gibt es keine Entscheidungen dazu.

MR: Das hört sich nach der typischen Hängepartie an, womit man als Darsteller umgehen muss, wie, wo und wann es weitergeht.

FS: Das ist der Nachteil an unserem Beruf, dass da immer diese Unsicherheit ist: Was spiele ich in nächster Zeit, welche Rolle, in welcher Stadt, wo werde ich wohnen, und so weiter.

MR: Es wird sich alles finden, lieber Filippo, da bin ich mir ganz sicher. Vielen herzlichen Dank für das so nette und offene Gespräch. Du musst jetzt in die Maske, und ich freue mich auf die letzte LesMiz in dieser Spielzeit. Alles erdenklich Gute für Deinen weiteren beruflichen Weg.

Silvia Eva Loske, Juni 2024