SCHOLL – die Knospe der Weißen Rose

Uraufführung Stadttheater Fürth, 15. April 2023

Die NS-Propaganda berichtete in sehr knapper Form über die Hinrichtung, Bericht in der Salzburger Zeitung vom 24. Februar 1943:

„Der Volksgerichtshof verurteilte am 22. Februar 1943 im Schwurgerichtssaal des Justizpalastes in München den 24 Jahre alten Hans Scholl, die 21 Jahre alte Sophia Scholl, beide aus München, und den 23 Jahre alten Christoph Probst aus Aldrans bei Innsbruck wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Feindbegünstigung zum Tode. Das Urteil wurde am gleichen Tag vollzogen.“

Stellt sich die Frage, ob und falls ja, wie man eine derart schockierende Begebenheit deutscher Geschichte in ein Musical verpacken kann. Für mich lautet die Antwort ohne jegliche Einschränkung: Ja! Das Thema ist so wertvoll und wichtig, dass es auch heutzutage, 80 Jahre nach Verhaftung und Hinrichtung der führenden Mitglieder der Widerstandsbewegung der Weißen Rose, immer noch präsent sein soll, sein muss. Gerade in Zeiten wie diesen, in welchen totalitäre Unrechtsregime ständig Menschen, die lediglich aufrecht ihre Meinung vertreten, inhaftieren, foltern und auch umbringen, ist jeder Hinweis darauf, auch im Kulturellen, so wichtig.

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Was haben die jungen Leute der Weißen Rose verbrochen, um derart menschenverachtend und zutiefst verabscheuungswürdig durch den Schuldspruch des keifenden Nazi Chefrichters Freisler mit dem Fallbeil hingerichtet zu werden? Anders als in unseren Zeiten, in denen ein Klick in Social Media genügt, um seine Meinung in alle Welt zu verstreuen, haben die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter in mühevoller und geheimer Vorbereitung lediglich ein paar hundert Flugblätter gefertigt und diese verteilt. Das war alles. Dafür sind sie hingerichtet worden.

Wie viel Mut seinerzeit, 1943, dafür erforderlich war, können wir nicht einmal ansatzweise würdigen. In vielen Büchern und einigen Filmen wurde diesem Mut der Mitglieder der Weißen Rose Anerkennung gezollt. Und nun also ein Musical zu dieser Thematik? Wie schon ausgeführt, ein eindeutiges „Ja“, wenn es in verantwortungsvollen Autorenhänden erarbeitet wird.

Das Stadttheater Fürth mit seinem innovativen Intendanten Werner Müller hat in den letzten zehn Jahren mehrfach bewiesen, dass gerade anspruchsvolle Musicalstoffe dort bestens aufgehoben sind. Und genau aus diesem Grund fiel die Idee von Titus Hoffmann und Thomas Borchert zu einem Musical „Scholl – die Knospe der Weißen Rose“ auf den höchst kreativen, fruchtbaren Boden des Stadttheaters Fürth. Das Ergebnis, so viel bereits vorweg, kann sich sehen und hören lassen, die Aufführung stößt auf große Publikumsbegeisterung.

Die Autoren legen den Focus der Geschichte, der bei aller künstlerischen Freiheit auf wahren Begebenheiten beruht, in einem anderen Ansatz als bisherige filmische Werke zu dem Thema nicht auf die letzten Tage rund um die Geschwister Scholl. Sondern die Geschichte zeigt die bei Hans Scholl, dem Dreh- und Angelpunkt der Weißen Rose, aufkeimende und eben „knospende“ Erkenntnis, dass er nicht mehr weiter still sein kann, dass all das Unrecht, das von den Nationalsozialisten ausgeht, nicht mehr schweigend hingenommen werden darf. Dies ist umso bemerkenswerter, als Hans Scholl sich selbst als Soldat im Räderwerk des Unrechtstaates befindet.

Erzählt wird die Geschichte der sechs Freunde rund um die Scholl-Geschwister Inge, Hans und Sophie und deren paar Tage Skiferien-Auszeit zu Silvester 1941/1942 auf einer verschneiten Hütte in Tirol von Traute Lafrenz, einer Studentin, die eine kurzzeitige Liebesbeziehung mit Hans Scholl hatte. Die Beziehung wurde von Hans beendet, nicht verwunderlich, war er doch homosexuell und Jahre zuvor bereits von der Gestapo wegen des Unzucht-Paragraphen 175 angeklagt worden.

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Traute Lafrenz übrigens blieb auch nach der beendeten Liebelei mit Hans der Familie Scholl ein Leben lang eng verbunden. Und verstarb erst kürzlich, mit 103 Jahren in den USA, zu Beginn der Proben am Musical. Wie schade, dass Frau Lafrenz nicht mehr erleben konnte, wie ihre Erinnerungen an die kurzen Skiferien mit der Gruppe 14 Monate vor der Verhaftung und Hinrichtung der Geschwister Scholl in einem berührenden, behutsam kreierten Musical erzählt werden.

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Wir erleben im Stück den Aufbruch der drei Scholl-Geschwister, Traute Lafrenz, der lebenslustigen Kommilitonin Ulla und den jüngsten der Gruppe, den ungestümen Freddy, voller Vorfreude auf ein paar Tage abseits des Krieges am Hauptbahnhof München ins tirolerische Ehrwald und ihren Einzug auf der Coburger Hütte.

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Eigentlich auch mit von der Partie hätte Hans‘ bester Freund Alexander „Shurik“ Schmorell sein sollen, dieser aber hatte aus privaten Gründen beziehungstechnischer Natur kurzfristig abgesagt. Nichts desto trotz erleben wir Shurik in der Coburger Hütte, allerdings nur in den Gedanken und in regem Austausch mit Hans.

Die Freunde in der Hütte sind hauptsächlich mit ihren jeweiligen Beziehungs-Problemchen beschäftigt, wer mit wem und warum ist für den Zuschauer etwas verwirrend, es ploppen in den Gesprächen der Freunde viele Namen auf, ohne dass erklärend zu den Hintergründen näher darauf eingegangen wird.

Eine Beziehung jedoch, die bereits beendete zwischen Traute und Hans, zieht sich durch den ganzen Aufenthalt in der Hütte, denn Traute kämpft ausdauernd um ihre verlorene Liebe und ist nicht bereit, den Status als zerbrochen hinzunehmen.

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Man vertreibt sich die Zeit mit Skifahren, es wird in der Hütte ausgiebig diskutiert, auch viel gelacht, man versucht, ein paar unbeschwerte Tage zu verbringen. Mit auf die Hütte verbotenerweise im Rucksack mitgeschmuggelte „entartete“ Literatur wird begeistert konsumiert.

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Der sensible Feingeist Hans schreibt viel, führt regen Austausch zu den christlichen, philosophischen und politischen Themen, die ihn umtreiben – dies aber immer vorsichtig nur ausschließlich mit seinem Seelenfreund Shurik.

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Diese beiden sind es auch, die unter dem Namen Weiße Rose in den nächsten Monaten die ersten vier Flugblätter verfassen werden. Hans‘ jüngere Schwester Sophie kommt erst gegen Ende der letzten beiden Flugblätter mit hinzu. Dass Sophie in den Medien stets an erster Stelle steht, wenn es um die Geschwister Scholl geht, liegt wohl mit daran, dass sie noch ein junges Mädchen war und dass sie, als sie bereits vom Hausmeister der Ludwigs-Maximilians-Universität in München an die Gestapo verraten wurde, von der Empore der Uni die restlichen, noch nicht direkt verteilten, Flugblätter in den Lichthof warf. Dieses Bild hat sich bei allen manifestiert. In Wahrheit jedoch war Initiator des friedlichen Flugblatt-Widerstands ihr Bruder Hans, zusammen mit Alexander Schmorell.

Autor Titus Hoffmann hat das Buch eng an den tatsächlichen Begebenheiten konzipiert, ihm zur Seite stand bei der künstlerischen Erarbeitung der arrivierte Musicalstar Thomas Borchert, der die Partitur fertigte. Die Songs bestehen aus heutiger Popmusik, sind zum Teil richtig rockig mit ordentlich E-Gitarren-Wumms, man hört zwischendurch etwas Jazz anklingen. Da Thomas Borchert aus erster Hand natürlich weiß, wie ein Musicaldarsteller so richtig glänzen kann mit gekonntem Belten, finden sich demzufolge viele entsprechend passgenau entwickelte Solosongs, tolle Duette und Ensemblenummern in der Partitur. Ein richtiger Hit und Ohrwurm ist nicht auszumachen, jedoch gefällt die musikalische Seite durchgehend. Besonders in Erinnerung bleiben die mitreißenden Uptempos „Flamme sein!“ von Hans und „Propaganda“ von Shurik. Bei den Balladen berührt „Schweigen“ von Hans und Traute.

In den Liedtexten verarbeitet wurden Originalgedichte und Schriften von Hans Scholl, das macht es umso bewegender. Zwischendurch klingen kurze Einsprengsel damaliger Hits von Glenn Miller und Zarah Leander durch und tragen somit zur zeitlichen Authentizität bei. Knisternde kurze Ton-Einspielungen von Nazi-Propaganda sorgen für Gänsehautfaktor.

Der erste Akt wirkt insgesamt zu lang und es fällt anfangs etwas schwer, die persönlichen Verflechtungen zuordnen zu können. Der zweite Akt nimmt deutlich an Fahrt auf. Zeitsprünge im Erzählstrang mit diversen Rückblenden und einer Traumsequenz, die nicht sofort nachvollziehbar als solche erkennbar sind, stellen den Zuschauer vor eine Herausforderung. Hier sollte idealerweise nachjustiert werden für evtl. Wiederaufnahmen auf anderen Bühnen, denn das Thema als solches ist auf jeden Fall wertvoll und wichtig und das Stück hat es auf jeden Fall verdient, an möglichst vielen Stadttheatern gespielt zu werden.

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Das Einheitsbühnenbild der Skihütte besteht aus rohen, schräg angeordneten großen Holzbalken, die zum Teil vom Schnürboden heruntergelassen werden können und als Sitzfläche dienen. Fröstelnd nimmt man wahr, dass sich die Holzbalken mehrfach zu einem Hakenkreuz bilden, das wie ein Damoklesschwert über den jungen Leuten schwebt. Eine offene Treppe befindet sich rechtsseitig und wird fleißig für die vielfältigen Auf- und Abgänge der Darsteller genutzt. Ein absoluter Pluspunkt ist, dass der weite offene Raum bis weit in den Bühnenboden hinein nach hinten geöffnet ist. Die fünfköpfige, sehr engagiert aufspielende Band unter der Leitung von Robert Paul ist während der Show nicht sichtbar im hinteren Teil der Bühne verortet.

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An Choreographie ist nicht übermäßig viel zu sehen, beim Staging könnte man dahingehend optimieren, dass bei Sologesangsnummern mehr Aktion gezeigt werden könnte und nicht nur hauptsächlich direkt dem Zuschauerraum zugewandt gesungen wird.

Die Kostüme sind sehr gut zeitgerecht gestaltet, dicke Strickpullover mit Knickerbockerhosen. Einen Ausrutscher gibt es beim roten Pullover der Ulla – bauchfrei war mit Sicherheit in den Vierziger Jahren absolut nicht on vogue.

Licht und Ton zeigen sich gut vorbereitet, die Textverständlichkeit ist zu jeder Zeit gegeben, ein Ergebnis sehr gut ausgewogener Tonaussteuerung. Einige Videoprojektionen unterstützen wohl proportioniert das Geschehen.

Zu den Darstellern: Hier hat sich endgültig der Generationenwechsel vollzogen. Von den sogenannten arrivierten Stars der Musicalszene ist keiner dabei. Was auch gut so ist – die Protagonisten des Stücks stellen junge, idealistische Leute dar. Und beim Casting hat man ganz offensichtlich ein mehr als glückliches Händchen bewiesen. Alle sieben jungen Bühnenkünstler sind beeindruckend gut bei Stimme und überzeugen vollends mit ihrem engagierten Schauspiel.

Herausstechend mit Charisma und Bühnenpräsenz ist Alexander Auler in der Hauptrolle des Hans Scholl. Die anderen um einen Kopf überragend zieht er alle Blicke auf sich, sein Spiel ist nuanciert, zu jeder Zeit absolut glaubhaft, man fühlt mit in seiner inneren Zwiespältigkeit und immer mehr an Gewicht gewinnender Überzeugung, sich einzubringen, etwas zu bewegen, dieser Sinnlosigkeit des Krieges entgegenzutreten. Eine zutiefst beeindruckende Darstellung dieses Charakters, und auch gesanglich weiß Alexander Auler seinen sanften Bariton bestens einzusetzen, besonders zu Herzen geht sein „Diese Worte bleiben“ aus einem Originalgedicht von Hans Scholl.

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Mit Judith Caspari ist die Rolle der Traute ideal besetzt. Sie gibt nicht auf, um ihre Liebe zu Hans zu kämpfen, mit ihren Solosongs reißt sie das Publikum zu Beifallsstürmen hin („Der Doppelgänger“, „Es gibt Schlimmeres“).

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Sandra Leitner ist optisch fast schon beängstigend nah an der realen Sophie Scholl dran, sie gibt eine für ihr junges Alter erstaunlich abgeklärte, beinahe trotzig-pampige kleine Schwester, die mit ihren kurzen und knappen Kommentaren zwischendurch immer mal wieder die Gruppe aufmischt und dabei auch für Lacher sorgt. Selbstverständlich bewerkstelligt Sandra Leitner ihre Gesangsparts wunderbar.

Als bester Freund von Hans agiert Fin Holzwart als Alexander „Shurik“ Schmorell, obwohl physisch abwesend in der Hütte und nur für Hans sichtbar, absolut glaubwürdig und räumt mit dem Rocksong „Propaganda“ so richtig ab.

Als die älteste der Scholl-Geschwister, Inge, bleibt Karolin Konert mit ihren Motiven etwas undifferenziert. Sie wirkt fast wie eine ältere Aufsichtsperson, im Vergleich mit dem bunten quirligen Haufen der Freunde.

Dennis Hupka als junger Freddy und Lina Gerlitz als Ulla vervollständigen das spielfreudige und überaus stimmstarke Ensemble vorzüglich.

Fazit: Absolut sehenswertes neues Musical, vielleicht noch etwas optimierbar vom Buch her in Bezug auf die bereits angeführten, nicht auf Anhieb nachvollziehbaren Spielebenen und Beziehungsgeflechte. Gute Musik, absolut begeisternde Cast. Also: schnell Tickets ordern, die Show spielt leider nur noch bis zum 23. April 2023. Auf Youtube sind einige sehens- und hörenswerte Songs zu entdecken.

Silvia E. Loske, April 2023

Weitere Termine und Infos:

Unter https://www.stadttheater.de/stf/home.nsf/contentview/schollmusical23?Open&playId=

Trailer:

Showfotos:  © Thomas Langer
Schlussapplausfotos: © Musical Reviews

Musical von Titus Hoffmann & Thomas Borchert

Kreative 
MusikThomas Borchert
Buch und LiedtexteTitus Hoffmann
Zusätzliche LiedtexteHans Scholl
Musikalische LeitungRobert Paul
InszenierungTitus Hoffmann
ChoreographieAndrea Danae Kingston
BühneStephan Prattes
KostümeConny Lüders
LichtRaphael-Aaron Moss
VideoSönke Feick
SounddesignDaniel Selinger
Darsteller 
TrauteJudith Caspari
Hans SchollAlexander Auler
Sophie SchollSandra Leitner
Alexander Schmorell, „Shurik“Fin Holzwart
Inge SchollKarolin Konert
FreddyDennis Hupka
UllaLina Gerlitz
Fünfköpfige Band unter der Leitung von Robert Paul

Schlussapplaus am 15. April 2023: