Ring frei für die zweite Spielzeit in Füssen des Nibelungen-Spektakels von Frank Nimsgern – sorry, dieses Wortspiel ist jetzt nicht sonderlich innovativ, aber es bietet sich halt so an …
Die erste Aufführungsserie vor einem Jahr war von technischen Pannen seitens des Festspielhauses durchzogen und so konnten nur sehr wenige reguläre Vorstellungen gespielt werden. Jetzt ist das Stück vom 12. bis 20. Oktober 2019 in unveränderter Besetzung fünfmal zu erleben, eine ausführliche Synopsis mit vielen Showfotos findet sich hier auf Musical Reviews in der Rezension vom Oktober 2018.
Was gefällt Ihnen persönlich denn an diesem Musical, wurde ich von einem Zuschauer angesprochen. Sehr gute Frage, ich fasse meinen subjektiven Eindruck mal zusammen – wobei, so subjektiv kann dies gar nicht sein, zeigt doch die begeisterte Resonanz im vollen Festspielhaus, dass ich damit nicht alleine bin:
Was dieses Musical so gut funktionieren lässt, ist der Mix aus sehr eingängiger, vielerlei Musikstile bedienender Partitur, die sofort ins Ohr geht und sich dort einnistet, fetziger Choreographie, einer grandiosen spielfreudigen Besetzung, angeführt von den Publikumslieblingen Jan Ammann und Chris Murray, einem hochmodernen Theater mit riesiger Drehbühne und dem Alleinstellungsmerkmal eines unter der Bühne vorhandenem hochfahrbaren Sees und eines überaus amüsanten Buches (Daniel Call), das zwar in erster Linie den Wagner’schen Ring bedient, doch darüber hinaus Anleihen bei Tolkien und Fantasy nimmt. Und nicht zu vergessen die Grundaussage des Werks, „wir sind stärker, ohne den Ring der Macht“! Dieses Statement ist heute aktueller denn je in Zeiten von ihre masslose Selbstüberschätzung auslebender und machtmissbrauchender Staatsführer, die in Wahrheit nur aufgeblasene Wichte sind.
Neu im Stück ist eine szenische, mit Underscore versehene und Sinn machende Ausführung dazu, wie es sich mit dem Bruderzwist der Riesen Fasold und Fafner respektive Wind und Sturm verhält, der darin gipfelt, dass aus Habgier der eine Bruder den anderen erschlägt und der Überlebende fortan als einsamer Drache in einer Höhle hausend den unheilvollen Ring der Macht bewacht. Den beiden Riesen leiht übrigens der Komponist Frank Nimsgern himself seine zu diesem Behufe tiefergelegte Stimme.
Der Cast überzeugt vollends durch große Spielfreude, großartige Stimmen und an den richtigen Stellen mit augenzwinkerndem Humor. Zwerg Alberich alias Chris Murray führt bei der Premiere ein unfreiwilliges Kabinettstückchen dergestalt auf, dass er anfangs des ersten Aktes im Beisein der Rheinamazonen im „Rhein“ übermütig mit Hecht in den Pranken umhertollt und dabei – das war nicht vorgesehen – völlig abtaucht. Mit dem Ergebnis, dass sein Kopfmikro blubb-blubb nichts Brauchbares mehr zustande bringt. Ergo tigert Alberich flugs zur Seitenbühne und macht mit einem Handmikro weiter – stimmlich superb, nebenbei bemerkt.
Die drei „blonden“ Rheinamazonen (Kathy Savannah Krause, Stefanie Gröning und Kristin Backes) amüsieren erneut als perfekte Sidekicks mit pointierter Naivität, beeindruckenden Kurven und prächtigen Soulstimmen.
Die kluge Göttertochter Brunhild (bezaubernd in der Optik und umso charakterintensiver in Darstellung und Stimmgewalt: Anke Fiedler) ist die einzige mit Durchblick in dem testosterongesteuerten Haufen der drei männlichen Protagonisten: Der von sich als Gott eingenommene Vater Wotan fern jeglicher Realität, der etwas tumbe Siegfried als hilflos im Nirwana paddelnder Einfaltspinsel und der verschlagene, nur auf seinen eigenen Vorteil bedachte Alberich. Sie zeigt den Kerlen eindeutig, wo der Hammer hängt.
Christopher Brose als Held Siegfried gewinnt seinem Spielcharakter noch mehr Selbstzweifel und Unentschlossenheit ab, was die Rolle vorzüglich weiterentwickelt.
Und dann ist da noch der sowohl physisch wie stimmlich überragende Jan Ammann als donnernder Göttervater Wotan. Wenn er seinen prachtvollen Bariton auspackt, stellen sich sämtliche Armhärchen stramm auf und es jagen einem ehrfürchtig aufgrund dieser außergewöhnlichen Stimme wohlige Schauer über den Rücken.
Hier noch ein Outing meinerseits: Bin bekennender Fan von Georg, dem Drachen. Mit welch einfachen und doch so sehr grandiosen Mitteln respektive Ensemblemitgliedern das glutäugige Untier auf der Bühne zum Leben erweckt und in Bewegung gebracht wird, ist für mich reine Theatermagie. Großartig!
Das Publikum springt unisono beim Verhallen des letzten Tons auf die Füße und spendet enthusiastisch Beifall. Wenn ich richtig gezählt habe, gab es fünf Vorhänge, man wollte die Kreativen und Darsteller einfach nicht gehen lassen. Und dass man nun die Ohrwürmer aus der überaus kreativen Feder von Frank Nimsgern und seiner mit Drive aufspielenden Band nicht mehr aus dem Gehörgang kriegt, kommt noch erschwerend hinzu. Licht und Ton im Festspielhaus waren diesmal in Summe gut und trugen ebenfalls zum runden Ganzen bei. Nicht zu vergessen die zehn energiegeladenen Tänzer/innen, die es mühelos verstanden, die Bühne zum Brodeln zu bringen.
Apropos Darsteller: Was noch angemerkt werden sollte – es verdient höchsten Respekt, dass Bühnendarsteller auch dann ihrem Job bestmöglich nachgehen, wenn sie eine schmerzhafte Verletzung kürzlich ereilt hat – show must go on – und es dabei so aussehen zu lassen, dass der Zuschauer nichts davon bemerkt. Das hat eine andere Qualität, als wenn derart physisches Ungemach einem Arbeitnehmer passiert, der bei voller Lohnfortzahlung seine Verletzung auskurieren kann.
Fazit: Dieses Gesamtkunstwerk DER RING Das Musical sollte man unbedingt sehen und miterleben. Daher hurtig die noch wenigen verbliebenen Restkarten für diese Spielzeit sichern.
Alle Fotos unterliegen dem alleinigen Copyright von Musical Reviews.
Silvia Eva Loske, Oktober 2019