DIE PÄPSTIN – Stuttgart 2. März 2018

IMG_4577 (Andere)Der klerikale Krimi als sehenswerte Tourneeproduktion der Big Dimension GmbH

Der Mut der jungen Produzenten der Spotlight Musicalproduktion, Peter Scholz und Dennis Martin (Letzterer auch verantwortlich zeichnend für Buch und Musik), die Rechte an diesem Stoff zu erwerben und ein Musical daraus zu kreieren, wurde belohnt. Es ist ein dichtes, packendes, mit prallem Leben gefülltes knapp dreistündiges Werk entstanden, das neben seiner gelungenen theatralen Umsetzung vor allem kompositorisch mit einer Fülle von überaus eingängigen, mit klugen Texten versehenen Songs, angesiedelt zwischen Pop und Ballade und wohldosiert häppchenweise mit sakralen Chören versehen, überzeugt. Mindestens fünf bis sechs Nummern mit ausgesprochenem Hit-Potenzial befinden sich in der Partitur, dies ist umso bemerkenswerter, als sich heutzutage die meisten neueren Musicals abmühen, wenigstens ein Lied mit zumindest Wiedererkennungswert in der Show zu haben.

Leider kommt die Musik aus der Konserve, dies schmälert das Live-Erlebnis schon etwas – ein Orchester mit lebendiger Musik ist einfach nicht zu ersetzen.

Nach höchst erfolgreichen En-suite Bespielungen des Stücks am Uraufführungsort in Fulda durch die Spotlight Mannschaft seit 2011 brachte nun Benjamin Sahler mit seinem Unternehmen Big Dimension das Stück in einer Tourversion auf deutsche Bühnen außerhalb Fuldas. Nach geglücktem Tourauftakt in Neunkirchen (Saarland) Ende 2017 gastierte „Die Päpstin“ im März 2018 für sechs Vorstellungen im Stuttgarter Theaterhaus.

Die Geschichte des Stücks ist den meisten sicherlich bekannt: Im neunten Jahrhundert wird im Frankenlande die kleine Johanna als Tochter einer verschleppten Heidin und eines despotischen Dorfpfarrers geboren. Früh zeigt sich, dass das kleine Mädchen über einen sehr aufgeweckten Intellekt und große Wissbegierde verfügt, ein Umstand, der zur damaligen Zeit bei Mädchen als widernatürlich und schlichtweg als verboten gesehen wurde.

Heimlich lernt Johanna schreiben und lesen, wird, als dies vom Vater entdeckt wird, von diesem schwerst misshandelt und fristet ein unglückliches Dasein, bis sie durch diverse Fügungen, gefördert vom weisen und gütigen Priester Aeskulapuis, die Chance erhält, an einer Domschule als einziges Mädchen aufgenommen und ausgebildet zu werden.

In dieser Zeit findet sie als Mädchen Aufnahme und Schutz bei dem Markgrafen Gerold, der, als Johanna zur jungen Frau heranreift, ihre große Liebe werden wird.

Nach einem schrecklichen Gemetzel in Dorstadt durch die Normannen, aus dem Johanna als einzige Überlebende hervorgeht,

entschließt sie sich in ihrer Verzweiflung, als Mönch verkleidet in das Kloster zu Fulda einzutreten, wo sie unerkannt getarnt als Mann ihre wissenschaftlichen Studien fortsetzen kann und sich insbesondere in medizinischer Heilkunst große Kenntnisse aneignet. Um einer bevorstehenden Enttarnung durch die Klosterbrüder zu entgehen, flieht Johanna, die sich jetzt Johannes Anglicus nennt, aus dem Kloster und schließt sich einer Pilgergruppe an, die nach Rom unterwegs ist. In der heiligen Stadt breitet sich alsbald ihr Ruf aus, ein hervorragender Medicus zu sein – dies kommt auch den Verantwortlichen des Lateran, der herrschaftlichen Behausung des Papstes, zu Ohren.Und dort begegnet sie auch wieder ihrem einstigen Förderer Aeskulapius, der mittlerweile der päpstliche Haushofmeister im Vatikan ist.

Der Papst liegt aufgrund seiner ausschweifenden Ernährung krank darnieder, keiner der üblichen Quacksalber kann ihm helfen, da schickt man nach Johannes Anglicus. Johanna heilt den Papst und wird zu dessen rechter Hand im Vatikan – sehr zum Mißfallen des Kardinals Anastasius, der sie fortan mit Hass verfolgt.

Durch ein Komplott wird der Papst vergiftet, während der deutsche Kaiser Lothar mit seinem Gefolge in Rom einmarschiert und ein Disput mit dem Papst zur Klärung ansteht.

In des Kaisers Gefolge als Heerführer ist auch Markgraf Gerold, er und Johanna finden sich wieder und werden heimlich ein Paar. Das Volk wählt völlig überraschend Johannes Anglicus als neuen Papst, Gerold erkennt die Gefahr für Johannes Leben und beschwört sie, das Amt nicht anzutreten und mit ihm zu fliehen.

Doch Johanna will endlich Gutes tun und erwirkt zahlreiche Verbesserungen für das Volk. Als Johanna Gerold gesteht, dass sie schwanger ist, erkennen die Liebenden, dass sie fliehen müssen. Johanna will nur noch die bevorstehende Osterprozession leiten. Doch die Ereignisse überschlagen sich dramatisch – während der Osterprozession wird Gerold vom intriganten Anastasius erstochen und Johanna erleidet durch diesen Schock auf den Stufen des Petersdoms, vor den Augen von ganz Rom, eine Fehlgeburt und stirbt daran.

Anastasius’ letzte Rache an Johanna ist, dass er in der von ihm verfassten Chronik der Päpste das Kapitel der Päpstin Johanna, die vom Volk liebevoll Papa Populi genannt wurde, unterschlägt.

„Ruhe in Frieden, Päpstin Johanna“, ist der Schlußsatz des gütigen Aeskulapius:

Viel Stoff, um dies in einem Musical unterzubringen. Die Location Theaterhaus Stuttgart  ist leider spärlich ausgestattet, ohne Drehbühne und dergleichen. Bühnenbildner Andreas Arneth tut sein Möglichstes, um mittels verschiebbaren Holzgerüsten die Spielorte des Stücks, wie z.B. das Klassenzimmer der Domschule zu Dorstadt, das Lazarett in Rom, in dem Johanna alias Johannes Anglicus die Kranken behandelt, bis hin zu den päpstlichen Gemächtern im Lateran entstehen zu lassen. Die Kostümabteilung hüllt die Solisten in detailreich ausgestattete mittelalterliche Gewänder aus Leinen und in prächtige Stoffe für die Togen der Römer, wohingegen an den Kostümen für Ensemble und Tanzensemble offenbar gespart wurde, diese erwecken in manchen Szenen den Eindruck billiger Fähnchen.

Das Lichtdesign macht seine Sache gut, stückgemäß spielt sich so einiges im mystischen Halbdunkel ab, wohingegen das ausschweifende Leben in Rom sich hell erleuchtet zeigt. Der Ton war auch in Ordnung, die Textverständlichkeit gut.

Regisseur Benjamin Sahler nahm einige kleinere inszenatorische Änderungen im Vergleich zur Originalproduktion vor. So verzichtete er auf die farbenfrohe Szene des „Jahrmarkt in St. Denis“. Da nach dieser Streichung das Stück immer noch 2:45 Stunden reine Spielzeit aufweist, eine nachvollziehbare Reduzierung. Das Lazarett, in welchem Johannes Anglicus heilt, wurde inszenatorisch durch die vielen Liegen mit den Kranken gut gelöst. Zu Herzen gehend die Schlussszene, wenn die Liebenden im Tod mit den Händen vereint liegen.

Kommen wir zu den Darstellern:

In der sowohl schauspielerisch als auch stimmlich überaus anspruchsvollen Hauptrolle der Johanna weiß Anna Hofbauer für sich einzunehmen und zu begeistern. Sie tritt in große Schuhe, schafft es aber, ihren Rollencharakter so anzulegen, dass sie das Publikum mitnimmt und auch mitleiden lässt auf dem Lebensweg der Johanna und vermag zu berühren bei ihren Hymnen Einsames Gewand, Wer bin ich, Gott

sowie im Liebes-Duett mit ihrem männlichen Spielpartner bei Wehrlos:

Als kleine Johanna sehen wir bei der besagten Premiere in der vor allem textlich herausfordernden Rolle mit den zahlreichen lateinischen Passagen Alva Kist, die ihren Part zum Entzücken des Publikums wie eine Große bewältigt.

Als Markgraf Gerold wurde zur Freude seiner großen Fangemeinde Musicalstar Jan Ammann besetzt. Raumfüllend sowohl von Statur als auch vom bekannt warm-baritonalen Stimmumfang her scheint er wie gemacht für diesen Part. Dank seines einfühlsamen Spiels ist nachvollziehbar, weshalb sich Johanna in ihn verliebt. Sein Ohrwurm-Solo Ein Traum ohne Anfang und Ende ist eins der schönsten Lieder des Stücks überhaupt und wird, wunderschön von Jan Ammann interpretiert, am Premierenabend mit dem größten Applaus gefeiert.

Musical-Urgestein Uwe Kröger überzeugt durch seine nach wie vor große Bühnenpräsenz als gutherziger Förderer und Vertrauter Johannas, Aeskulapius, und ist darüber hinaus auch als partieller Erzähler der Geschichte ein Sympathieträger. Obwohl von einer hartnäckigen Erkältung geplagt bewältigt der Bühnenvollprofi seine gesanglichen Parts tadellos und trägt überdies das Stück in den Sprechpassagen durch gute Artikulation und kann sich dadurch der uneingeschränkten Aufmerksamkeit des Publikums sicher sein.

Als die intriganten Antagonisten des Stücks füllen Christopher Brose als fieser, von Ehrgeiz zerfressener Anastasius und Alexander Kerbst als dessen Vater Arsenius ihre Charaktere mit starken Stimmen und ausdrucksvollem Spiel aus.

Auffallend gut stimmte die Chemie zwischen Christopher Brose (Anastasius) und Jan Ammann (Graf Gerold), künstlerisch schaukelten sich die beiden Buddies bei der Streitarie Parasit der Macht gegenseitig hoch und machten diese Nummer sowohl darstellerisch als auch gesanglich zu einem besonderen Genuß.

Johannas Eltern werden von Stefanie Kock (in einer Doppelrolle, als Johannas Mutter Gudrun überzeugend sowie als Edel-Kurtisane Marioza, hier leider ohne Esprit, Erotik oder gar Verführungskunst) und Frank Bahrenberg verkörpert. Im ersten Akt  interpretiert Stefanie Kock als Mutter eins der stärksten Stücke der Show, das eingängige Boten der Nacht. Hierzu erscheinen atmosphärisch gelungen auch die beiden Raben-Götterboten Hugin und Munin, Vera Horn und Stefanie Gröning, und sorgen mit großem Können und Anmut an den linken und rechten Bühnenteilen mit Vertikaltuch-Akrobatik für Mystik und zwingen den Zuschauer in ihren Bann.

Noch hervorzuheben ist Marcus G. Kulp, der ebenfalls in einer Doppelrolle sowohl als sinnenfroher Bischof Fulgentius als auch als weiser Abt Rabanus zu erleben ist. Mit Hinter hohen Klostermauern darf er als Rabanus einen weiteren Hit der Show stimmgewaltig präsentieren und erntet dafür großen Applaus.

Das spielfreudige Schauspiel- und Tanzensemble ist stark gefordert und in vielfältigsten Rollen fast ständig präsent. Es gibt gute gesangliche Leistungen und eine passende Choreographie (Vera Horn und Stefanie Gröning), die von den männlichen Tänzern überzeugend umgesetzt wurde, bei den Leistungen der Damen hingegen ergab sich das ein oder andere Fragezeichen.

FAZIT:
Das Stuttgarter Publikum zeigte sich sehr begeistert und feierte Darsteller und Kreative ausgiebig.
Ende November und Dezember 2018 wird „Die Päpstin“ für sechs Aufführungen im Festspielhaus Füssen mit dann großer Bühne und entsprechend guten technischen Gegebenheiten als nächster Tourneeort bespielt.

Informationen und Tickets gibt es unter
www.paepstin-musical.com

                                                               (Silvia E. Loske, März 2018)

Alle Fotos unterliegen dem alleinigen Copyright von Musical Reviews. Die Szenenfotos entstammen der Generalprobe vom 1. März 2018.

Fotos vom Schlußapplaus der Stuttgarter Premiere am 2. März 2018:

Musical von Dennis Martin (Musik, Liedtexte und Libretto), Peter Scholz und Björn Herrmann (zusätzliche Musik und Texte), Christoph Jilo (Libretto, Dramaturgie und Liedtexte), nach dem gleichnamigen Roman von Donna W. Cross.

Produktion der Big Dimension GmbH:

Regie: Benjamin Sahler

Choreographie: Vera Horn und Stefanie Gröning

Bühne: Andreas Arneth

Darsteller:

Johanna, Päpstin

Anna Hofbauer

Markgraf Gerold

Jan Ammann

Aeskulapius

Uwe Kröger

Anastasius

Christopher Brose

Arsenius

Alexander <Kerbst

Fulgentius/Rabanus

Marcus G. Kulp

Mutter/Marioza

Stefanie Kock

Vater

Frank Bahrenberg

Richild

Vanessa Wichetrich

Kaiser Lothar

Benjamin Setz

Kleine Johanna

Alva Kist

Kleiner Johannes

Raben, Hugin & Munin

Nico Brade

Vera Horn, Stefanie Gröning

Ensemble: Rouven Wildegger-Bitz, Kristin Backes, Jannik Rosinus, Strao Stavridis, Sophia Buhl, Nadine Fleckinger, Dirk Käsbach, Frederic N. Schneider, Kim Bremges, Frank Müller, Peter Ramlow, Florian Grunow, Lisa Lukoschek, Stefanie Schwarzer, David Kovavs, Moritz Funk, Sophia Küchen, Yannick Blomdahl.
Kinderensemble: Felix Bickele, Ben Bickele, Kaya Sophie Bode, Colin Götz, Ben Knotz, Robin Kümmel.
Tanzensemble: Nico Dittgen, Gregor Continanza, Magdalena Wurm, Michaela Praher, Julie Martin, Ronja Grimm-Continanza, Magdalena Anderson, Tabea Jung.