Musikalische Komödie_©KirstenNijhof
„Zwischen den Welten – Liebe im Zeichen der Revolution“
Deutschsprachige Erstaufführung des Musicals Doktor Schiwago an der Musikalischen Komödie Leipzig am 27. Januar 2018
Ein literarischer Welterfolg – ein berühmter Filmklassiker – und jetzt das Musical.
Den bisherigen Musicalproduktionen in Sydney (2011) und am Broadway (2016) war kein großer Erfolg beschieden. Dennoch sicherte sich die Musikalische Komödie Leipzig die Rechte an der deutschsprachigen Erstaufführung, dieser Mut wurde belohnt, Publikum und Presse sind einhellig begeistert.
Die Erwartungshaltung nach Bekanntwerden des Produktionsvorhabens war hoch, was sicherlich auch der Tatsache geschuldet ist, dass mit Jan Ammann ein absoluter Publikumsliebling der deutschen Musicalszene für die Hauptrolle verpflichtet werden konnte.
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So war es wenig verwunderlich, dass bereits lange vor der Premiere die meisten Aufführungen ausverkauft und für wenige Shows nur noch Restkarten für die erste Spielzeit verfügbar waren.
Regisseur Cusch Jung gelang eine Umsetzung, die Publikum und Künstler fesselte und so jedem einen außergewöhnlichen Abend bescherte. Drei Stunden reine Spielzeit vergingen wie im Flug. Die komplexe Geschichte mit etlichen parallelen Handlungssträngen wurde geschickt umgesetzt. Keine Minute geriet langatmig, der Plot war zu jeder Zeit nachvollziehbar und die dramatische Story kam hoch emotional beim Zuschauer an.
Das Musical basiert auf dem 1957 erschienenen gleichnamigen Roman von Boris Pasternak. Vom Ende der Zarenzeit bis in die 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts reicht der historische Spannungsbogen und erzählt die bewegte Geschichte des Arztes und Poeten Jurij Andrejwitsch Schiwago und nimmt dabei das Publikum mit auf eine Reise in das Russland zwischen erstem Weltkrieg und Oktoberrevolution.
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Ist im ersten Akt die Geschichte stark verdichtet durch das Beleuchten der vielfältigen Charaktere, bleibt nach der Pause Platz für schöne Balladen und dramatisch-emotionale Szenen. Alles fügt sich verständlich zusammen, man muss weder den Roman gelesen noch den Film gesehen haben, um jederzeit der Handlung folgen zu können.
Alles beginnt mit dem Tod von Jurijs Vater. Im zaristischen Moskau verbringt der Junge seine Kindheit und Jugend im Kreise der großbürgerlichen Familie Gromeko, die ihn in ihre Obhut nimmt.
Mit Tonia, der Tochter seiner Pflegeeltern, wächst er zusammen auf. Später wird sie seine Frau die er zwar verehrt, achtet und liebt. Doch eine andere Frau wird seinen Weg kreuzen, mit der ihn eine Seelenverwandtschaft verbindet, dieser Beziehung wird jedoch kein dauerhaftes Glück beschieden sein.
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Ermöglicht durch die wohlhabenden Gromekos schließt Jurij sein Medizinstudium ab und wird aus rein sachlich-praktischen Gründen Arzt. Seine Liebe jedoch gilt der Literatur und den Gedichten.
In einem parallelen Handlungsstrang wird die Geschichte von Larissa (Lara) Guichard erzählt. Ebenfalls in Moskau wächst sie bei ihrer Mutter auf und unterstützt diese von früh bis spät in der Nacht in ihrem Nähsalon.
Lara steht unter dem Einfluss zweier Männer. Da ist zum einen der rücksichtslose Politiker Komarovskij, der sie verführt, und zum anderen der idealistische Revolutionär Pavel Antipov (Pascha), den sie liebt.
Auf der Hochzeitsfeier von Jurij und Tonia taucht Lara auf und versucht, Komarovskij, der als Gast zugegen ist, zu erschießen. Jurij fasziniert diese geheimnisvolle Fremde und er fühlt sich stark zu ihr hingezogen.
Pascha zieht in den ersten Weltkrieg und heiratet zuvor Lara.
Jurij wird ebenfalls in den Krieg einberufen und als Arzt an die ukrainische Front versetzt. Dort im Lazarett trifft er erneut auf Lara, die inzwischen als Krankenschwester tätig ist und so nach ihrem vermissten Mann sucht.
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Die beiden verlieben sich ineinander, gehen aber bewusst aus Respekt vor ihren jeweiligen Ehepartnern keine Beziehung ein.
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Nach Ende des Einsatzes an der Front trennen sich ihre Wege. Jurij kehrt zurück nach Moskau. Dort findet er sein Haus beschlagnahmt vor, die Familie leidet unter Hunger und Kälte. Er selbst ist den neuen Machthabern verdächtig. Nur knapp entgeht er einer Exekution und erkennt, dass es in Moskau keine Zukunft mehr für ihn gibt. Mit seiner Familie flüchtet Jurij in den Ural, dort hat die Familie Gromeko ein Landgut. Die Schiwagos erhoffen sich dort ein Leben in Ruhe, Jurij zudem Zeit, sich Literatur und Dichtung zu widmen.
In Sibirien trifft Schiwago ein drittes Mal auf Lara, die sich ausgerechnet im nächsten Ort niedergelassen hat und in der Bibliothek arbeitet.
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Fortan führt er ein Doppelleben, sowohl mit Lara als auch mit seiner Familie.
Infolge der Revolution hat der Bürgerkrieg inzwischen auch den Ural erreicht. Unerbittliche Kämpfe zwischen Weiß- und Rotarmisten sind an der Tagesordnung.
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Führer der Roten Armee ist Pascha Antipov, der sich jetzt Strelnikov nennt. Er hat seine Frau Lara nie aus den Augen verloren.
Auf dem Rückweg einer seiner Besuche bei Lara wird Jurij von Strelnikovs Partisanen verschleppt und muss fortan als Arzt in der Roten Armee dienen.
Ihm gelingt die Flucht und er findet völlig entkräftet Unterschlupf bei Lara. Für eine kurze Zeit genießen sie die Zweisamkeit. Komarovskij jedoch spürt die Liebenden auf und will mit Lara das Land verlassen.
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Um Lara und ihr ungeborenes Kind zu retten, lässt Jurij sie ziehen. Er selbst kehrt nach Moskau zurück und verstirbt dort nach einigen Jahren.
Zu seiner Beerdigung kehrt Lara mit der gemeinsamen Tochter Katharina zurück. Am Grab ihres Vaters verliest Katharina eines von Jurijs Gedichten.
Mit der exzellenten Partitur ist der zweifachen Grammy-Gewinnerin Lucy Simon ein Meisterwerk aus emotionalen Balladen im Verbund mit schwermütigen russischen Klängen gelungen, das den großen bekannten Drama-Musicals in nichts nachsteht.
Die musikalischen Nummern nehmen Bezug zueinander, so ziehen sich ein Schiwago-Thema, ein Lara-Thema und ein Tonia-Thema durch das Stück. Als zusätzliches musikalisches Wiedererkennungs-Merkmal hat Cusch Jung geschickt Maurice Jarres Schiwago-Melodie (Somewhere My Love) aus der Verfilmung eingebaut. Sabine Töpfer, Solistin der Muko Leipzig, leitet diese kurz auf der Bühne mit einem Akkordeon ein, das Orchester steigt dann geschickt ein. Vom Publikum wird diese Hommage dankbar mit Applaus quittiert
Großartiges Ensemble:
Nach den ersten Szenen schon zeigt sich, dass die Musikalische Komödie Leipzig über ein großartiges Ensemble verfügt. Mitglieder von Chor, Ballett und Komparserie werden vielfältig eingesetzt und ergänzen sich dabei ganz vorzüglich, Damen und Herren des Chors übernehmen Einzelrollen.
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Die Rolle des Janko ist mit dem Ballett-Tänzer Steven Budd besetzt, der durch sein eindringliches Schauspiel zu überzeugen weiß. Alle drei Kinderrollen werden anrührend gespielt und gesungen.
Erstmals an der Musikalischen Komödie Leipzig engagiert, besetzt Jan Ammann die Rolle des Titelhelden Jurij Schiwago und nach wenigen Szenen ist klar, dass sein Rollenporträt als optimal angesehen werden kann. Ruhe und doch gleichzeitig Intensität ausstrahlend, glaubwürdig und eigenständig angelegt zieht seine Darstellung alle in den Bann und lässt sogar Leinwandlegende Omar Sharif in den Hintergrund treten.
Jan Ammann liefert darstellerisch und gesanglich Höchstleistung ab und rührte das Publikum mehrfach zu Tränen. Gestik, Mimik, Bewegung – alles passt und die Rädchen greifen ineinander. Er stellt die Entwicklung des Charakters bemerkenswert überzeugend dar und begeistert mit enormer Authentizität.
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Gesanglich glänzt der erfahrene Bariton und drückt der großartigen Partitur seinen Stempel auf. Als Höhepunkte verbleiben lange noch die Duette „Ich seh den Mond“ (Jurij/Tonia), „Jetzt“ sowie das sehr zu Herzen gehende epische „Jenseits aller Zeit“ (die beiden letztgenannten Duette Jurij/Lara) im Gehörgang.
Bereits mehrfach zu Gast an der Musikalischen Komödie, bezaubert Lisa Habermann als Larissa Guichard (Lara). Mit großer Bühnenpräsenz, harmonischem Schauspiel und wunderschönem Sopran vermag sie die vielen dramatischen Momente, in denen Liebe und Tod eng beieinander liegen, glaubwürdig zu vermitteln.
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Mit großer Innigkeit und Liebenswürdigkeit spielt und singt Hanna Mall die Rolle der sanften Antonia Gromeko (Tonia). Dabei gelingt es ihr insbesondere, die Zerrissenheit der liebenden Ehefrau, die sogar ihren Mann ziehen lässt, zum Ausdruck zu bringen.
Björn Christian Kuhn gibt mit viel Charisma die Rolle von Laras verschollenem Ehemann und Revolutionsführer Pavel Antipov (Pascha) / Strelnikov. Toll gespielt und gesungen gelingt es ihm hervorragend, den Bogen bei der Wandlung des Charakters vom jungen Studenten hin zum fatal in seiner Ideologie verstrickten Massenmörder zu spannen.
Bühnenbild und Kostüme (Karin Fritz) entstanden in den eigenen technischen Werkstätten des Hauses. Beides darf als überaus gelungen gelten und bewirkt dadurch, den Zuschauer sofort in das Zeitgeschehen einzubinden.
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Das Bühnenbild erweckt den Eindruck einer riesigen Bühne. Unterstützt wird dies durch eine schräge Spielfläche mit geschickter Platzierung der jeweils passenden Szenenelemente. Die durchgängige Farbgebung ist fahl und düster und trägt damit der bedrückend-dramatischen Geschichte Rechnung. Geschickte Auf-/Abblendungen der Lichtregie unterstützen diese atmosphärischen Verdichtungen.
Sämtliche Kostüme sind wundervoll aufwendig geschneidert, die Maskenbildner verstehen ebenfalls ihr Handwerk. Viele Umzüge finden statt, alles klappt wie am Schnürchen.
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Unter der musikalischen Leitung von Christoph-Johannes Eichhorn trumpft das großartig besetzte Orchester der Oper Leipzig auf und zaubert einen wahren Hörgenuss.
Der Ton ist ausgewogen. In der Premiere gab es noch kleinere Probleme mit der Abmischung und der Textverständlichkeit. Diese kleineren Schwierigkeiten werden mit Sicherheit in den nächsten Vorstellungen behoben sein.
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In Anbetracht des Aufwands und des Erfolgs in dieser Spielzeit bleibt die große Hoffnung auf eine Wiederaufnahme. Sollte es dazu kommen, kann nur empfohlen werden, sich zeitig um Karten zu bemühen.
Weitere Informationen sowie Spieltermine und Besetzungen sind zu finden unter:
http://www.oper-leipzig.de/de/programm/doktor-schiwago/71070
(pk), Februar 2018
Musical in zwei Akten | Buch von Michael Weller | Musik von Lucy Simon | Gesangstexte von Michael Korie und Amy Powers | Nach dem Roman von Boris Pasternak | Deutsch von Sabine Ruflair (Gesangstexte) und Jürgen Hartmann (Buch)
Musikalische Leitung | Christoph-Johannes Eichhorn |
Inszenierung | Cusch Jung |
Choreographie | Mirko Mahr |
Bühne, Kostüm | Karin Fritz |
Choreinstudierung | Mathias Drechsler |
Dramaturgie | Elisabeth Kühne |
Besetzung | |
Jurij Schiwago | Jan Ammann |
Larissa Guichard (Lara) | Lisa Habermann |
Antonia Gromeko (Tonia) | Hanna Mall |
Pavel Antipov (Pascha) / Strelnikov | Björn Christian Kuhn |
Viktor Komarovskij | Patrick Rohbeck |
Anna Gromeko / Olga | Sabine Töpfer |
Alexander Gromeko | Michael Taschle |
Markel / Gints | Milko Milev |
Janko | Stephen Budd |
Libertius | Georg Führer |
Kubaricha | Konstanze Haupt |
Lara (Kind) | Adele Bauer |
Tonia (Kind) / Katharina (Kind) | Lara Friedrich |
Jurij (Kind) / Sascha (Kind) | Paul Weber |
Ballett, Chor und Komparserie der Musikalischen Komödie, Kinderchor der Oper Leipzig