Gärtnerplatztheater München, Vorstellung 21.10.2017
Mit der Lehár-Operette DIE LUSTIGE WITWE eröffnete das Staatstheater am Gärtnerplatz nicht nur die neue Spielzeit, sondern feierte mit dieser Premiere auch die Rückkehr ins frisch sanierte Theater.
Das Nachfolgende ist keine Stück-Rezension, da ich mit dem Genre Operette zu wenig vertraut bin, als dass ich mir anmaßen würde, Fundiertes hierüber von mir zu geben. Daher beschränke ich mich auf die Zusammenfassung meiner rein subjektiven Eindrücke.
Die lustige Witwe ist eine der beliebtesten und erfolgreichsten Operetten überhaupt. Viele musikalische, walzerselige Gassenhauer entstammen dem Stück, wie z.B. Da geh ich zu Maxim’s, Das Studium der Weiber ist schwer, Lippen schweigen, Vilja-Lied, usw. Johannes Heesters verdankt einen Großteil seines Ruhms seiner jahrzehntelangen Paraderolle als Graf Danilo und spielte diesen Luftikus in Frack und Zylinder im Gärtnerplatztheater viele, viele Jahre – mehrmals übrigens „beehrt“ durch die Anwesenheit Adolf Hitlers im Theater, dessen Lieblingsoperette ausgerechnet die lustige Witwe war – dafür können aber weder Herr Heesters noch das Stück etwas. Elf Witwenpremieren gab es im Gärtnerplatztheater seit 1906 schon, diese aktuelle jetzt ist Nummer zwölf.
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Regisseur Josef E. Köpplinger verlegt das Geschehen des Buchs von ursprünglich 1905 in das Jahr 1914 kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges. In Paris vertreibt sich die vergnügungssüchtige Oberschicht mit allerlei Affären und den damit einhergehenden Irrungen und Wirrungen die Zeit. In der Anfangsszene wird man Zeuge, wie der schwerreiche Bankier Glawari zu Grabe getragen wird, seine tiefverschleierte junge Witwe Hanna folgt dem Sarg und kokettiert nebenbei mit dem leibhaftigen Tod. Diese Figur gibt es im Stück normalerweise nicht, sie wurde von Josef E. Köpplinger ersonnen und ist fast durchgehend in jeder Szene zugegen, hält die Fäden in der Hand und lenkt für die Agierenden unsichtbar die Geschicke. Gleichwohl symbolisiert der Tod durch seine Anwesenheit das dräuende, weltgeschichtliche Unheil das als Damoklesschwert über den ahnungslos am geschichtlichen Abgrund entlang balancierenden Charakteren schwebt.
Marie-Laure Briane
Die Witwe Hanna Glawari verfügt nach dem raschen Dahinscheiden ihres erst vor wenigen Tagen angetrauten Gatten nun über ein Vermögen von 20 Millionen – Währung unbekannt. Der pontevedrinische (fiktiver Staat, angelehnt an Montenegro) Gesandte in Paris ist besorgt, dass dieses Vermögen in die falschen Hände fallen könnte, sollte sich Frau Glawari mit einem nicht-pontevedrinischen Herrn verehelichen – dies muss mit allen Mitteln verhindert werden. Daher soll die Witwe, so der Plan des Gesandten, mit dem leichtlebigen Landsmann Graf Danilo Danilowitsch verkuppelt werden. Dieser jedoch denkt gar nicht daran, diesem Ansinnen nachzukommen, vielmehr macht er lieber die Nacht zum Tage in den frivolen champagnergetränkten Etablissements der Seine-Stadt. Da es sich ja um eine Operette handelt, beginnt natürlich nun das obligatorische Verwirrspiel um echte und falsche Paare, um Affären verheirateter Herrschaften und das entsprechende Durcheinander, bis sich selbstverständlich zum Ende hin die richtigen Paare finden.
Könnte also ein typischer Operettenschluss sein, doch so leicht will es Köpplinger dann doch nicht enden lassen: Nebel zieht auf, es fällt ein Schuss, das Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajewo ist der Auslöser des Ersten Weltkriegs. Die Männer, eben noch in Feierlaune, lösen sich von ihren Liebsten und begeben sich zeitlupenartig in den wabernden Nebel, ziehen also in den Krieg. Ihre Frauen bleiben zurück. Der Tod, der sich schon das ganze Stück über nach Hanna Glawari verzehrt hat, nimmt diese endlich in seine Arme und holt sie mittels Todeskuss in sein Reich. Dieses Schlussbild ist optisch sehr effektvoll – und schafft sofort eine Assoziation mit dem Schlussbild des erfolgreichsten deutschsprachigen Musicals, „Elisabeth“. Während in diesem genannten Musicalwerk dramaturgisch zwingend nachvollziehbar alles auf genau dieses Ende hin zuläuft, nämlich dass die zu Lebzeiten stets todessehnsüchtige Kaiserin Elisabeth aufgrund Ihrer Ermordung am Genfer See dem Tod final in die Arme sinkt, erschließt sich dieses Schlussbild bei der Lustigen Witwe so gar nicht. Stirbt Frau Glawari infolge des Krieges, wird sie durch eine Krankheit dahingerafft, oder was ist da los? Man weiß es nicht …
Marie-Laure Briane
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Zum Bühnen- und Kostümbild ist anzumerken, dass ich dies sehr ähnlich schon vor ca. 20 Jahren an gleicher Stelle gesehen habe. Eingebrannt hat sich damals die Szene, wie Bariton Thomas Gazheli als Danilo sein „Dann geh ich zu Maxim’s“ im Kopfstand auf seinem Zylkinder balancierend gesungen hat – nach der Show waren wir zusammen noch in der Gärtnerplatz-Kantine, war ein lustiger Abend. Doch zurück zur aktuellen Inszenierung: Neu hinzugekommen ist bei der Beerdigungsszene und bei der Vilja-Szene ein sich im Bühnenhintergrund öffnendes Fenster als Spielfläche, eine wirklich gute Idee.
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Weiterhin ein netter Einfall ist, dass der „Kleine Pavillon“ mit lebenden antiken griechischen Statuen sowie mit dem Tod auf dem Dach aufwartet.
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Die Choreographie ist schwungvoll, aber nicht unbedingt hoch-innovativ zu nennen.
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Das mit Verve aufspielende Orchester wird einfühlsam geleitet vom neuen Musikalischen Direktor Anthony Bramall, der offensichtlich ein großer Gewinn für das Haus ist, nicht nur fachlich, sondern auch menschlich überaus sympathisch wirkend.
Die Akustik/Aussteuerung ist definitiv noch optimierbar, größere Textunverständlichkeiten im Gesang fallen auf. Doch manchmal ist gerade auch von Vorteil, dass man bestimmte Liedtexte in ihrer Trivialität nicht versteht, wie z.B. das Dummer, dummer Reitersmann… da richtet man doch lieber in dieser Szene die Aufmerksamkeit auf den geschmeidig herumspringenden Tod alias Adam Cooper, ehemaliger Principal Soloist des Royal Ballett London und seit seinem Karriereende als klassischer Tänzer erfolgreich ins Musical-Business gewechselt.
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Dieser vielseitige Künstler ist nun schon in der dritten Produktion im Gärtnerplatzteam an maßgeblicher kreativer Stelle eingesetzt – endlich sieht man ihn nach Co-Regie und Choreographie (Gefährliche Liebschaften) und Regie (Candide) nun auch auf der Bühne, zwar stumm agierend aber energetisch tanzend, als Tod kahlköpfig geschoren, mit dunkel umschminkten Augenhöhlen, schwarzlackierten Fingernägeln, bodenlangem schwarzen Armeemantel und martialischen Stiefeln.
Weiter hervorzuheben aus dem insgesamt sehr engagierten Cast ist Sigrid Hauser in der Hosenrolle des Gesandten-Dieners Njegus. Die Vollblutkomödiantin beweist Mut zur optischen Unvorteilhaftigkeit und hat mit einem neu hinzugekommenen Lied in der Maxim’s-Szene sogar noch ein eigenes Solo bekommen, das sie grandios interpretiert.
Marie-Laure Briane
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Der Gärtnerplatz-eigene Chor und die Ballett-Compagnie vervollständigen die opulente Besetzung und sorgen bei voller Bühne für gehörigen Schauwert. Dass bei der genannten Maxim’s-Can-Can-Szene die weiblichen Grisetten zusätzlich mit Tänzern aus dem Ballett bestückt werden, deren Gesichter durch Bartwildwuchs kaum erkennbar sind, muss man nicht unbedingt haben.
Marie-Laure Briane
Zum Schluss eine – rein subjektive – Überlegung zum Genre Operette generell: Das begeisterte Publikum bestand in der besuchten Vorstellung zu mehr als geschätzt 95% aus der Altersklasse 65+. Die Handvoll gesichtete jüngere Zuschauer stellte sich als Freunde eines Darstellers heraus. Wer soll sich in 20, 30 Jahren noch Operette anschauen, wenn es jetzt nicht gelingt, jüngere Schichten dafür ins Theater zu bekommen? Aber Totgesagte leben ja bekanntlich länger, von daher kann es gut sein, dass das Genre überlebt und auch in Zukunft sein Publikum finden wird. Die Vorstellungen jetzt sind jedenfalls alle so gut wie ausverkauft, es sind nur noch ganz wenige Restkarten verfügbar.
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Hier geht es zur Stückeinführung des Theaters:
https://youtu.be/-7CRLZp1LQ4
Weitere Infos und Tickets gibt es hier unter diesem Link:https://www.gaertnerplatztheater.de/produktionen/die-lustige-witwe.html
Silvia E. Loske, Oktober 2017
Operette von Victor León und Leo Stein (Libretto), Musik von Frank Lehár.
Kreative | |
Musikalische Leitung | Anthony Bramall |
Regie | Josef E. Köpplinger |
Choreographie | Adam Cooper |
Bühne | Rainer Sinell |
Kostüme | Alfred Mayerhofer |
Licht | Michael Heidinger, Josef E. Köpplinger |
Choreinstudierung | Felix Meybier |
Dramaturgie | Daniel C. Schindler |
Darsteller | |
Baron Mirko Zeta | Erwin Windegger* / Hans Gröning |
Valencienne | Sophie Mitterhuber* / Jasmina Sakr |
Graf Danilo Danilowitsch | Christoph Filler* / Daniel Prohaska |
Hanna Glawari | Alexandra Reinprecht* / Camille Schnoor |
Der Tod | Adam Cooper |
Camille de Rosillon | Maximilian Mayer* / Lucian Krasznec |
Njegus | Sigrid Hauser |
Ensemble: Peter Neustifter, Juan Carlos Falcón, Maximilian Berling, Valentina Stadler, Frank Berg, Ann-Katrin Naidu, Holger Ohlmann, Dagmar Hellberg.Chor, Ballett und Statisterie des Staatstheaters am GärtnerplatzOrchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Anthony Bramall |
Mit *gekennzeichnete alternierende Solisten bei der besuchten Vorstellung.
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