Colosseum Theater Essen, 13. Februar 2017

Dezember 1996: Der markante dreischiffige Backsteinbau oberhalb des Berliner Platzes in Essen öffnet nach Umbauinvestitionen in mehrfacher Millionenhöhe erstmals seine Pforten für Musicalbesucher. Zuvor als ehemalige 8. Mechanische Werkstatt der Friedrich Krupp AG bekannt, erstrahlt die denkmalgeschützte Industriehalle im Inneren nun als hochmodernes  Musiktheater. JOSEPH AND THE AMAZING TECHNICOLOR DREAMCOAT ist der etwas sperrige Titel des Erfolgsstücks von Andrew Lloyd Webber nach Motiven des Alten Testaments, das als erste Musical En-suite Produktion in diesem Gebäude gespielt wird und knapp drei Jahre die Musicalfreunde begeistert. In der Hauptrolle des Joseph erobert Andreas Bieber die Herzen.

Jetzt, zwei Dekaden und viele weitere Musicalproduktionen später, steht der geborene Entertainer und Sympathieträger Andreas Bieber erneut auf der Bühne seiner einstigen Wirkungsstätte, um als charmanter Gastgeber diese besondere Jubiläumsgala „20 Jahre Musicals in Essen“ zu moderieren. Zusammen mit dem Veranstalter, Sound of Music Concerts und ihrem Mastermind Andreas Luketa, hatte Andreas Bieber die Vision, zu einem Galakonzert anlässlich des Jubiläums die Originaldarsteller der im Colosseum Theater gespielten Musicals zu vereinen. Und alle Darsteller kamen zu dieser Art „Klassentreffen“, machten es trotz Engagements und enger Terminkalender möglich, nahmen weite Anreisen auf sich, nur um zum Teil einen einzigen Song zu interpretieren, bei dieser einmaligen Veranstaltung dabei zu sein. Da merkte man, dass alle viel Herzblut in diesen Abend investierten.

Seit langem war das Colosseum Theater mit seinen knapp 1.500 Plätzen komplett ausverkauft, die Fans strömten von überall her herbei, um sich dieses Konzertereignis auf keinen Fall entgehen zu lassen und in Erinnerungen zu schwelgen. Das Publikum erwies sich als äußerst sachkundig und textsicher, applaudierte an den genau richtigen Stellen, jubelte dem Erscheinen jedes einzelnen Künstlers auf der Bühne zu, um sofort im Anschluss daran wieder mucksmäuschenstill zu verharren, um nur ja keinen einzigen Ton, kein Wort, zu versäumen.

Die Riege der Originaldarsteller komplettierten als Special Guests weitere Stars der Musicalszene wie Alexander Klaws, Jan Ammann und Roberta Valentini.

Die Band besteht aus sechs bei Sound of Music Concerts Veranstaltungen langjährig und bestens bewährten Vollblutmusikern unter dem Dirigat des Musikalischen Leiters Ratan Julian Jhaveri. Letztgenannter ist ein Bühnenereignis für sich: Mit unglaublichem Elan und Energie sprudelt Musik aus jeder Faser seines Körpers, Gestik und Mimik sind höchst unterhaltsam zu beobachten, jeden Ton begleitet er physisch hingebungsvoll. Die Kreativenriege vervollständigen Sascha Oliver Bauer, der als Regisseur alles unter Kontrolle hat und Yara Hassan, verantwortlich für schwungvolle Choreographien und das passende Staging.

Von der Folkwang Universität der Künste, Essen, sind zwölf männliche und weibliche Studierende als Chor unter der Leitung von Patti Martin dabei und unterstützen die Solisten aufs vortrefflichste gesanglich und zum Teil auch tänzerisch.

Vom Publikum auf einer Woge der Sympathie getragen eröffnet Andreas Bieber den Abend und vermittelt in seinen Moderationen höchst gekonnt sowohl Informatives wie Unterhaltsames und Heiteres, interagiert spontan mit dem Auditorium. Seit mehr als 30 Jahren erfolgreich im Musical- und Schauspielbusiness tätig ist er einer der Pioniere des deutschsprachigen Musicalbooms, daher gebührt ihm auch der erste Song des Abends, Die Zeit dazwischen aus seinem brandaktuell erschienenen Album.

Das Programm zu den „20 Jahre Musicals in Essen“ besteht aus Blöcken der im Colosseum gespielten Musicals – in chronologisch umgekehrter Reihenfolge. Demzufolge taucht das Publikum ein in die Rock-n’-Roll Ära von BUDDY, der letzten En-suite Produktion des Theaters. Welches im Übrigen seit 2010 zum großen Bedauern der Musicalfans nur noch für Veranstaltungen angemietet werden kann, hin und wieder machen auch Tourneeproduktionen kurzzeitig dort Station.

Im BUDDY-Block sorgen die damaligen Original-Buddys Dominik Hees und Matthias Bollwerk mit ihren E-Gitarren für einen schwungvollen Einstieg. Unterstützt werden die beiden von Roberta Valentini (American Pie) und dem zu La Bamba hüftenschwingenden Bewegungstalent Alexander Klaws.

Von den Fifties geht es weiter in die Achtzigerjahre und der damals alles überrollenden Neuen Deutschen Welle – ICH WILL SPASS ist das Compilation-Musical, das im Colosseum gespielt wurde und danach in der Versenkung verschwand. Jan Ammann als einer der Special Guests eröffnet diesen Block mit einer sehr reduzierten, gleichwohl aber emotionalen Version von Nenas Leuchtturm. Im daran anschließenden Medley aus den deutschen Chartbustern dieser Zeit wirbeln die Darsteller über die Bühne und verbreiten gute Laune im Mitklatsch-Modus. Mit Compilation geht es auch weiter mit Highlights aus dem Abba-Musical MAMMA MIA – an den unverwüstlichen, immer noch frischen Megahits des schwedischen Kult-Quartetts haben sichtlich sowohl die Darsteller als auch die Konzertbesucher großen Spaß.

Im letzten Block vor der Pause führt der Weg dann in Richtung Drama-Musical. In den Katakomben der Pariser Opera Populaire verzehrt sich DAS PHANTOM DER OPER nach Christine, die wiederum ihrer Jugendliebe Raoul den Vorzug gibt. Andrew Lloyd Webbers Welterfolg wurde seinerzeit in Essen mit vier verschiedenen Phantomen besetzt, wovon Christian Alexander Müller der mit damals 25 Jahren bislang jüngste Phantom-Darsteller war und seine Karriere mit dieser Rolle begründete. An der aktuell um sich greifenden Grippewelle erkrankt, konnte der Künstler bei der Gala nicht dabei sein und wurde von David Arnsperger, der das Phantom in Oberhausen verkörperte, ersetzt. Und wie! Bereits bei seinem ersten Ton griff Gänsehautalarm im begeisterten Publikum um sich. Was für eine Stimme füllte das Theater, phänomenal. Mit kristallklarem Sopran stand ihm Anne Görner als Christine nicht nach, das Phantom-Duett mit diesen beiden wunderbaren Stimmen war ein Genuss. Als Raoul vermochte Nikolaj Alexander Brucker in dieser Ménage à trois ebenfalls zu überzeugen.

Nach der Pause geht es hochemotional weiter mit Disney’s AIDA, komponiert von Elton John. Als Amneris sehen wir Maricel, charmant tänzerisch und gesanglich eingerahmt von den männlichen Mitgliedern des Folkwang Musical Chors. Jubelnd begrüßt wird Mathias Edenborn, der damalige Radames zum anschließenden Duett, das sich im Verlauf des Songs zum Terzett mit der AIDA-Darstellerin Dominique Aref wandelt, Einen Schritt zu weit. Auf das Liebesduett Sind die Sterne gegen uns zwischen Radames und Aida folgt ein von Dominique Aref sehr ergreifendes Die Sonne Nubiens – in diesem Gospel kann die zierliche Darstellerin ihren vollklingenden warmen Mezzosopran wunderbar einsetzen.

Sodann naht die „Kaiserei“, wie von Andreas Bieber angekündigt. Man wird in die Wiener Hofburg gebeten, um seiner Majestät, dem Tod, zu huldigen und mit ihm den Letzten Tanz zu zelebrieren. Uwe Kröger hat diese Rolle geprägt, genauso wie Pia Douwes in unnachahmlicher Manier die unglückliche Kaiserin Elisabeth. Dieses damalige Traumpaar aus dem erfolgreichsten deutschsprachigen Musical ELISABETH auf der Bühne des Colosseums wieder vereint erleben zu dürfen hat sicherlich viele Musicalliebhaber veranlasst, die Reise nach Essen anzutreten.

Pia Douwes vermag es mit ihrer Intensität und gesanglichen Strahlkraft bei Ich gehör nur mir immer noch, zu Tränen zu rühren, unabhängig davon, wie oft man diese Performance schon gesehen hat. Uwe Kröger verleiht dem Tod machtvolle Präsenz, insbesondere bei Die Schatten werden länger mit dem damaligen Kronprinz Rudolf, Jesper Tydén. Für das Duett zwischen Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz-Joseph Boote in der Nacht kommt noch einmal Gaststar Jan Ammann hinzu und brilliert zusammen mit Pia Douwes. Als sarkastisch kommentierenden Attentäter Luigi Lucheni machte Carsten Lepper in der Colosseums-Spielzeit 2001 bis 2003 nachhaltig auf sich aufmerksam, mit unglaublicher Energie und Verve schleudert er sein Kitsch ins Publikum. Dank an die Programmverantwortlichen, dass sie als Schlusspunkt der Highlights aus ELISABETH die grandiose Finalszene Der Schleier fällt gewählt haben: Hochemotional – sowohl auf der Bühne zelebriert als auch im Publikum wahrgenommen – küsst der Tod seine Elisabeth in seine Schattenwelt und trägt sie auf seinen Armen Richtung Bühnenhintergrund. Genau diese Szene, die in dieser Form nur in Essen gespielt wurde, lieben die Fans so sehr.

Die letzten Musicalblöcke sind den beiden biblischen Stücken von Andrew Lloyd Webber gewidmet. Zuerst darf man zwei Titel aus seinem Frühwerk JESUS CHRIST SUPERSTAR genießen: Auf ein absolut grandioses Heaven on Their Minds von Alex Melcher, mit dem der Künstler das Theater rockt wie kein zweiter, folgt ein mit immenser Bühnenpräsenz dargebotenes Gethsemane von Alexander Klaws. Bravo!

Den dramaturgischen Schlusspunkt dieses an Höhepunkten so reichen Abends setzt – natürlich! – das Musical JOSEPH AND THE AMAZING TECHNICOLOR DREAMCOAT. In seinem bunten Träumerkleid nimmt uns Andreas Bieber mit ins Alte Testament und wird bei Wie vom Traum verführt und seinem sehr zu Herzen gehenden Schließt jede Tür von einem zwanzigköpfigen Kinderchor begleitet. Zum Joseph-Finale Go go go Joseph / Gebt mir mein Träumerkleid versammeln sich alle Künstler auf der Bühne und stimmen mit ein – ein wunderbares Bild.

Mit Standing Ovations und stakkatoartigem Applaus dankt das begeisterte Publikum für diesen fulminanten Abend. Als Zugabe gibt es noch von allen Wunder geschehen aus dem Musical DAS WUNDER VON BERN, das zwar nicht im Colosseum aufgeführt wurde, aber dessen Hit-Titel so überaus passend den Abschluss dieses in Erinnerung bleibenden Gala-Abends bildet.

Silvia E. Loske, Februar 2017

Programm

Konzept: Andreas Luketa, Sound of Music Concerts
Regie: Sascha Oliver Bauer
Musikalischer Leiter: Ratan Julian Jhaveri
Choreographie: Yara Hassan
Musiker: Marina Komissartchik, Vasile Darnea, Sebastian Hartung, Hannes Kühn, Christian Niehues, Jürgen Pfeiffer, Matthias Plewka
Folkwang Musical Chor unter der Leitung von Patti Martin

 Teil 1