Höchst vergnügliche Neu-Inszenierung der Benatzky-Operette
Alle Fotos: Copyright/Credit Volksoper Wien, Barbara Pálffy
Donnerwetter – das nenne ich mal eine innovative Inszenierung! Da hat das Kreativteam (Peter Lund Regie und Sam Madwar Bühnenbild) aber mal richtig Mut zum Neuen bewiesen und hat damit einen Volltreffer gelandet, Bravo!
Doch der Reihe nach: Die Volksoper Wien eröffnet ihren Winterspielplan mit dem nicht gerade häufig inszenierten musikalischen Lustspiel von Ralph Benatzky „Axel an der Himmelstür“, ein Stück, das in erster Linie dadurch noch einigen Operettenliebhabern bekannt ist, weil darin in der Uraufführung von 1936 im Theater an der Wien die hierzulande noch unbekannte Zarah Leander ihr deutschsprachiges Debüt gab. Und – nicht zuletzt aufgrund der aufsehenerregend tief dekolletierten Roben der Mimin – einen Riesenerfolg landete.
Musikalisch und inhaltlich ist das Stück zwar nett, kommt aber aufgrund fehlender Ohrwürmer nicht einmal ansatzweise in die Nähe des Bekanntsheitsgrades des „Weissen Rössl“, dem Blockbuster von Benatzky. Was aber weder die Verantwortlichen der Volksoper noch die beherzten Kreativen davon abhielt, sich an dem Stück zu versuchen. Gut, dass sie diesen Mut bewiesen haben, denn das Ergebnis ist höchst erstaunlich, im durchweg positiven Sinne.
Wir befinden uns im Hollywood der vierziger Jahre. Der Ära der großen Filmstars. In schwarz-weiß. Und dieserhalb völlig logisch gibt es auch auf der Bühne dieses Stücks keinerlei Farbe. Eine weiße Rückwand, auf die spektakuläre und doch gleichzeitig simple „lebendige“ Videoprojektionen geworfen werden (man kann nicht erkennen, wo der Übergang des agierenden Darstellers mit der oftmals gezeichneten Projektion beginnt, das muss man gesehen haben!), eine schwarz lackierte Bühne, Requisiten, alle Darsteller – nirgends Farbe! So naheliegend, und doch so innovativ, gerade in der heutigen Zeit der Musical- und Operettenwelt, in der es gar nicht bunt-schillernd genug zugehen kann. Die Partitur ist schmissig, jedoch lediglich mit dem Titel Yes, Sir als so ziemlich einzig bekannter Nummer versehen.
Die Story dreht sich um den nicht gerade erfolgsverwöhnten immigrierten Reporter Axel Swift, eigentlich richtigerweise Axel Stiftelmeier, der sich aus Gründen der Anpassung an die eher rasante amerikanische Lebensweise den Phantasienachnamen Swift auserkoren hat. In Hollywood ist er auf der ständigen Suche nach der Exklusivstory, die ihn endlich aus der gesichtslosen Schar der Schreiberlinge herauskatapultieren und auf die Erfolgsspur bringen soll.
Er hat sich an die Fersen der exaltierten Hollywooddiva Gloria Mills, die stets an die falschen Männer gerät und wie eine Weihnachtsgans von ihren diversen schmierigen Lovern ausgenommen wird, geheftet, die aber dummerweise jegliche Interviews kategorisch ablehnt. Nun, Axel ist erfinderisch und versucht über seine Freundin Jessie, die als Sekretärin beim Filmstudioboss Cecil McScott arbeitet und dort Gloria Mills unter Vertrag steht, an ebendiese heranzukommen. Klappt natürlich nicht. Axel gibt nicht auf – vielmehr verwandelt er sich mithilfe seines Freundes Theodor Herlinger, Maskenbildner, in einen alten Mann und wirft sich theatralisch vor Glorias Luxuskarosse und erschwindelt sich so – Gloria will einen Skandal vermeiden – ein Abendessen als Wiedergutmachung in der Villa des Filmstars. Was nun folgt, ist das typische, aber einigermaßen vorhersehbare, Durcheinander der damaligen Operettenlibretti.
Axels Freundin Jessie riecht den Braten, schnappt sich den sie ohnehin schon länger anschmachtenden biederen Theodor, macht sich ebenfalls auf den Weg in die Villa. Dubiose Juwelendiebe, die hinter dem berühmten Mills-Fairbanks-Diamanten her sind, der sich in Glorias Besitz befindet, finden sich justament am gleichen Abend auch in der Villa ein. Ein entsprechendes Verwechslungsspiel ist die Folge, die Polizei rennt auch noch kopflos umher, und so weiter. Natürlich fügt sich am Ende alles zum Guten, wie das halt immer in Stücken dieser Art ist, neue Paare finden zueinander, alles löst sich in Wohlgefallen auf.
Bis es aber soweit ist, wohnt der hauptsächlich dem älteren Semester zugehörige geneigte Zuschauer in der sehr gut besuchten Volksoper (dort gibt es immerhin über 1.300 Plätze) einer höchst vergnüglichen Posse bei. Neben der bereits erwähnten hochinteressanten Herangehensweise der Inszenierung ist ein weiterer Erfolgsgarant des Stücks die mit sicherem Instinkt gewählte punktgenaue Besetzung.
Bettina Mönch gibt die ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs balancierende, in ihren Rollen verhaftete und scheinbar alltagsuntaugliche Schauspielgöttin. Und das macht sie einfach großartig. Auf den längsten Beinen der Branche stöckelnd bringt sie in der genau richtigen Dosis Extrovertiertheit, die niemals in Banalität abgleitet, die männliche Hollywoodwelt um den Verstand. Leidet aber rollengerecht vereinsamt Höllenqualen „Ich bin der größte Star der Welt, ist das nicht schrecklich?“ Die unglaublich vielseitige Künstlerin hat schon mehrmals unter Beweis gestellt, dass sie maliziöses blondes Gift ganz vortrefflich zu interpretieren weiß, man erinnere sich nur an ihre Ülllaaaa in „The Producers“ und ihre Lina Lamont in „Singin’ in the Rain“.
Der agil-gewitzte Reporter Axel ist als Idealbesetzung bei Multitalent Andreas Bieber perfekt aufgehoben. Mit jugendlichem Charme singt, steppt und spielt sich der Künstler ohne Umwege direkt in die Herzen der Zuschauer. Putzig und in Windeseile wechselt er zwischen dem tattrigen alten Stiftelmeier, der als Bonmot obendrauf auch noch hessisch babbelt (der Künstler stammt aus Mainz), und dem findigen Luftikus Swift, den nichts davon abhalten kann, sich an das Objekt seiner reporterlichen Begierde anzuschleichen. Natürlich tut sich dann auch noch was auf zwischenmenschlicher Ebene zwischen seinem Charakter und dem vermeintlich unnahbaren Star, der sich zum Ende des Stücks als gar nicht so der Welt entrückt herausstellt.
Wie Andreas Bieber seinen Axel interpretiert, ist extrem unterhaltend. Einen großen Moment hat er am Ende des ersten Aktes, wenn er wie durch Nebel hindurch einige Minuten lang durch die „Himmelstür“ = den Eingang zu Glorias Villa schreitet. Das hat was Elegisches und lässt Assoziationen aufploppen an Scarlett O’Haras direkt greifbares Sehnen, wenn sich ihr in „Gone with the Wind“ die Nebel lichten und sie endlich ihr geliebtes Tara vor sich sieht… wir schweifen ab, Entschuldigung.
Das Buffopaar Jessie und der wienerisch-stämmige Axel-Freund Theodor ist in der besuchten Vorstellung mit Juliette Khalil und Boris Eder ebenfalls ideal besetzt. Dazu kommt dann noch die vergnügliche Truppe der „Hollywood Harmonists“, die eine singende Erzählfunktion einnimmt, sowie diverse Polizisten, Filmleute, Klatschreporter und dergleichen, Letztere in Mehrfachbesetzungen. Macht also unter dem Strich lediglich elf Darsteller, aber die machen ihre Sache allesamt großartig.
Kommen wir bei all dem überschwänglichen Lob zu den kleinen Wermutstropfen, die das positive Gesamtergebnis des Abends etwas abschwächen. Da ist zum einen die schlechte Akustik bzw. die leider unzureichende Aussteuerung von Orchester und Gesangsstimmen, was dazu führt, dass die Textverständlichkeit sehr leidet. Das Orchester ist schlichtweg zu laut. Gut, man behilft sich dann notgedrungen mit den englischen Texteinblendungen, was aber nicht im Sinne des Erfinders sein dürfte. Ein weiteres Manko ist, dass der zweite Akt Längen aufweist. Da das gesamte Stück aber gerade mal eine Laufzeit von knapp unter zwei Stunden hat, kann hier verständlicherweise nicht weiter komprimiert oder gekürzt werden.
Fazit: Unbedingt sehenswert, weil sehr erfrischend. Die ausnehmend positiven Kritiken und mittlerweile eingegangenen Auszeichnungen sprechen für sich.
Informationen und Tickets unter https://www.volksoper.at/
(Silvia E. Loske, Oktober 2016)
Die Volksoper Wien zeigt eine Operette/Musikalisches Lustspiel von Paul Morgan und Adolf Schütz, Gesangstexte von Hans Weigel, Musik von Ralph Benatzky
Musik |
Ralph Benatzky |
Regie |
Peter Lund |
Musikalische Leitung |
Lorenz C. Aichner |
Orchestrierung/Arrangements |
Kai Tietje |
Choreographie |
Andrea Heil |
Bühnenbild |
Sam Madwar |
Kostüme |
Daria Kornyhseva |
Videodesign |
Andreas Ivancsics |
Darsteller: |
|
Gloria Mills |
Bettina Mönch |
Axel Swift |
Andreas Bieber |
Jessie Leyland |
Juliette Khalil |
Theodor Herlinger |
Boris Eder |
Cecil McScott/Richter |
Kurt Schreibmayer |
Inspektor Morton |
Gerhard Ernst |
Ensemble: Stefan Bischoff, Jakob Semotan, Oliver Liebl, Roman Martin, Maximilian Klakow |
Es spielt das Orchester der Volksoper Wien