Produktion des Gärtnerplatztheaters, Premiere Cuvilliéstheater München
Anspruchsvoll-unterhaltsames Beziehungskarussell
Einer schwedischen Überlieferung zufolge lächelt die Sommernacht dreimal: Einmal den Jungen, die noch nichts wissen, ein zweites Mal den Narren, die zu wenig wissen und ein drittes Mal den Alten, die zu viel wissen.
Foto: Thomas Dashuber
Im Jahr 1955 landete der schwedische Regisseur Ingmar Bergman beim renommierten Filmfestival in Cannes mit seinem Werk ‚Das Lächeln einer Sommernacht‘ überraschend einen großen Erfolg und heimste zahlreiche Auszeichnungen dafür ein. Die Kritiken im muffig-verklemmten Deutschland der Fünfzigerjahre bezeichneten das Filmwerk bräsig als „Sexual-Posse“. Anleihen an Shakespeares ‚Sommernachtstraum’ und Schnitzlers ‚Reigen’ sind nicht von der Hand zu weisen. Der amerikanische Musicalkomponist und Librettist Stephen Sondheim (war in jungen Jahren maßgeblich mit an der ‚West Side Story’ beteiligt) entwickelte aus dem Stoff ein Musical – obwohl: eigentlich ist es eher ein Schauspiel mit Musikuntermalung. Letztere wollte Sondheim durchgehend im Walzer-Dreivierteltakt komponieren, was – mit wenigen Ausnahmen – gelang. Das Stück hatte 1973 am Broadway Premiere und wurde sowohl von der Kritik als auch von den Zuschauern gleichermaßen gefeiert als „anspruchsvoll, kultiviert, berauschend und bezaubernd“.
Inhalt: Zur Jahrhundertwende finden sind auf dem schwedischen Landgut der ehemaligen, nun alten und an den Rollstuhl gefesselte, jedoch noch immer äußerst scharfzüngigen, Lebedame (um das Wort Kurtisane nicht überzustrapazieren) Madame Armfeldt einige Paare, die eigentlich überhaupt nicht zusammenpassen, und einige Einzelfiguren ein, um gemeinsam auf dem Lande die Mittsommernacht zu feiern. Initiiert wird das Wochenende von der durch die Provinz tingelnden Schauspielerin Desirée Armfeldt, der Tochter der alten Madame. Desirée hat bei einem ihrer Auftritte im Publikum ihren Ex-Liebhaber, den Anwalt Fredrik Egerman, entdeckt, welcher mit seiner blutjungen, naiven und nach elf Monaten Ehe immer noch jungfräulichen (!!) Frau Anne der Aufführung beiwohnt. Fredrik, verständlicherweise frustriert und libidös auf dem Trockenen, sucht seine ehemalige Flamme Desirée auf – man verbringt die Nacht gemeinsam, wird dabei aber gestört vom tumb-eitlen Dragoner Graf Carl-Magnus Malcolm, dem aktuellen Begatter von Desirée. Selbstredend ist dieser auch verheiratet, seine Frau Charlotte weiß von dem Verhältnis und sucht dasselbe zu torpedieren, weil sie offensichtlich ihren betrügenden Gatten verabscheut, aber trotzdem nicht von ihm lassen kann.
Foto: Christian Pogo Zach
Dann ist da noch Fredrika, die zwölfjährige Tochter Desirées, die sich altklug gern selbst als „ich bin unehelich“ Fremden gegenüber vorstellt. Wir ahnen es schon – Fredrika – Fredrik – wer der Vater des Mädchens ist. Dies wird aber final im Stück nicht aufgelöst. Diverse Dienerschaften sind auch noch mit von der Partie, darunter die freizügige Petra, die ihre Corsage bereitwilligst und jederzeit sowohl dem Butler Frid als auch dem Pastorenanwärter Henrik, Fredriks Sohn aus erster Ehe, öffnet. Dieser Henrik ist zu allem Überfluss auch noch in die jungfräuliche Gemahlin seines Vaters verliebt und dementsprechend ebenfalls heftigst frustriert.
Fünf sogenannte „Liebesliedsänger“ bevölkern häufig Stück-erläuternd die Szenerie und sind bei den Ensembleszenen ebenfalls eingesetzt.
So weit, so verworren der Plot. Die überaus unterhaltsamen und mit subtiler Situationskomik behafteten amourösen Verstrickungen und Verirrungen all dieser Beteiligten werden von Regisseur Josef E. Köpplinger mit stringentem Tempo inszeniert. Die Übergänge geraten – wie stets bei seinen Arbeiten – sehr fließend, als überaus hilfreich und permanent eingesetzt wird die Drehbühne bedient (Gerüchten zufolge litten die Darsteller dieserhalb während der Probenzeit an schwindelerregenden Zuständen). Rainer Sinell setzt für die vielfältigen Szenerien auf eine fast leere Bühne, lediglich ein paar einzelne Möbel wie Betten, Chaiselongen, Festtafel und Stühle braucht es, um die entsprechenden Bilder entstehen zu lassen. Ein diagonaler riesiger roter Vorhang unterteilt, praktisch in Bahnen angeordnet, wird vom Ensemble in Windeseile zu- und aufgezogen und schon ploppen, mit den angesprochenen Einzelmöbeln bestückt, die aktuellen Locations im Stück auf.
Im zweiten Akt, als sich die gefühlsverwirrte Gesellschaft auf dem Landsitz einfindet, wird mittels Projektion ein lichtes Birkenwäldchen eingeblendet und verleiht der Bühne das gewünschte Mittsommernachts-Feeling. Großen Anteil daran, dass der Zuschauer in die Szenenfolgen völlig eintauchen kann, hat wieder einmal das ausgezeichnete Lightdesign der Herren Heidinger und Köpplinger, ein eingespieltes Team.
Getanzt wird in diesem Stück nicht, jedoch ist einiges an Staging zu bewerkstelligen bei den sich rasch zusammenstellenden und wieder auflösenden Ensembleszenen – gelöst wird diese Aufgabe souverän von Ricarda Regina Ludigkeit, die darüber hinaus auch noch für die Co-Regie verantwortlich zeichnet.
Die Kostüme aus der Jahrhundertwende-Epoche gefallen und schmeicheln den Darstellern.
Sondheim ist bekannt dafür, jeglichem Mainstream-Anstrich konsequent aus dem Weg zu gehen. Seine Komposition für die ‚Sommernacht‘ ist eher unauffällig, natürlich wieder mit ausgiebigen Rhythmikwechseln durchsetzt und mit lediglich zwei Nummern versehen, die ins Ohr gehen und dort hängenbleiben: Natürlich der Superhit Send in the Clowns und die in Reprisen mehrfach eingesetzte Ensemblenummer Zwei Tage auf dem Lande. Die Songtexte sind intelligent und dank der sehr guten Akustik im Cuvilliéstheater exzellent verständlich. Andreas Kowalewitz führt das Gärtnerplatz-Orchester sicher und mit Verve durch Sondheims Partitur. Die Aussteuerung im Parkett ist bestens, auf den seitlichen Rängen kommt der Orchesterklang im Vergleich zu den Solistenstimmen überproportional an.
Die Darsteller sind – wie nicht anders zu erwarten – wieder einmal punktgenau und exzellent bis in die kleinste Nebenrolle gecastet.
Kammersängerin Gisela Ehrensperger gibt eine grandios-sarkastische Madame Armfeldt. In ihrem Solo Liaison hängt sie, dem Rollenalter entsprechend mit an einigen Stellen ins brüchige gehender Stimme, wehmütig den Erinnerungen an ihre große Zeit als Kurtisane bedeutender Adliger und Regenten nach.
Sigrid Hauser ist als Desirée eine für die damalige Zeit selbstbestimmte Frau, die ihre besten Jahre knapp hinter sich gelassen hat, jedoch noch immer von den Männern sehr begehrt wird – wohl gerade aufgrund dieser interessanten Mischung aus gelebten Erfahrungen und kurz vor dem Verblühen befindlicher weiblicher Anziehungskraft. Ihr gebührt der Showstopper Wo sind die Clowns und sie interpretiert diesen Seelenstriptease auf unnachahmliche, gänsehauterzeugende Art.
Der alternde, gefühlsmäßig arg verwirrte Charakter des Anwalts Fredrik Egerman ist bei Erwin Windegger in den allerbesten Händen. Der enorm wandlungsfähige Darsteller stattet diese Spielfigur mit der genau richtigen Dosis an altersbedingter Gesetzheit, abnehmender Virilität und daraus resultierender großer männlicher Verwundbarkeit aus. Als Resultat dieser Gegebenheiten versteigt er sich als Fredrik zu der irrigen Annahme, dass eine noch kindliche Achtzehnjährige seine Jugend zurückzubringen in der Lage sei. Bis er kapiert, dass ein Leben an der Seite von Desirée die einzig richtige Zukunft für ihn ist, dauert es.
Das Paar Graf und Gräfin Malcolm wird von Daniel Prohaska und Julia Klotz interpretiert. Großartig, alle beide! Im Stück von Desirée als „Dragoner mit dem Gehirn einer Erbse, aber mit diversen körperlichen Vorzügen ausgestattet“ bezeichnet, erleben wir Daniel Prohaska als Graf Malcolm natürlich wieder in einer Liebhaberrolle, aber diesmal köstlich eitel-tumb agierend, sehr zum Amüsement des Publikums. Die Wortgefechte mit seinem Nebenbuhler Fredrik Egerman geraten zu kleinen Kabinettstückchen. Müßig zu erwähnen, dass der ausgebildete Operntenor seine Gesangspartien selbstverständlich beeindruckend meistert.
Für Ihre Darstellung der an der Leidenschaft zugrundegehenden sittsamen Mdme. Tourvel im Sensationserfolg ‚Gefährliche Liebschaften‘ wurde Julia Klotz unlängst als beste Hauptdarstellerin des Jahres 2015 mit dem Deutschen Musical Theater Preis ausgezeichnet. Umso erfrischender, nach dieser tragischen Partie, ist jetzt ihr Rollenporträt der Gräfin Charlotte angelegt. Ihr gehören als kämpferischer betrogener Ehefrau, die gern auch mal alkoholgetränkt verzweifelt zum verbalen Angriff übergeht und die ganze Festtafel auflöst, die meisten Lacher. Mit großem komödiantischem Können setzt sie punktgenau ihre ätzenden Spitzen.
Christof Messner (beeindruckende Stimme!) und Beate Korntner geben mit erfrischender Jugendlichkeit Henrik Egerman und Anne Egerman – die beiden brennen, als sie endlich merken, dass sie ineinander verliebt sind – durch und lassen einen zutiefst ratlosen Fredrik Egerman (Vater von Henrik und Noch-Ehemann der blutjungen Anne) zurück. Desirée nutzt die Gunst der Stunde und schnappt sich den übriggebliebenen Fredrik.
Kommen wir zur kleinen Fredrika, die als einzige in diesem Beziehungswirrwarr trotz ihrer Jugendlichkeit die Contenance bewahrt. Gott sei Dank ist mit Amelie Spielmann kein süßes Püppchen für die Rolle besetzt worden, sondern ein besonnen agierendes Mädchen. Bereits in ‚Tschitti Tschitti Bäng Bäng‘ vor zwei Jahren konnte Amelie überzeugen, jetzt – etwas älter geworden – tut sie es erneut.
‚Das Lächeln einer Sommernacht‘ kommt in dieser Inszenierung vordergründig als leichtfüßige Komödie daher, schafft es aber aufgrund der geistreichen Texte und der dann doch insgesamt nicht so leicht zu nehmenden tiefgründelnden Thematik, sowohl Anspruch als auch Unterhaltung unter einen Hut zu bekommen. Das Premierenpublikum dankte den Kreativen und Darstellern mit großem Applaus für diesen großartigen Abend.
Tickets, Termine und weitere Informationen gibt es unter www.gaertnerplatztheater.de
(Silvia E. Loske, Februar 2016)
Musical von Stephen Sondheim (Musik und Songtexte) und Hugh Wheeler (Buch), nach einem Film von Ingmar Bergman. Deutsch von Eckart Hachfeld. Uraufführung 25.02.1973 in New York, Originaltitel „A Little Nightmusic“
Musikalische Leitung |
Andreas Kowalewitz |
Regie |
Josef E. Köpplinger |
Staging und Co-Regie |
Ricarda Regina Ludigkeit |
Bühne |
Rainer Sinell |
Kostüme |
Marie-Luise Walek |
Licht |
Michael Heidinger, Josef E. Köpplinger |
Dramaturgie |
Michael Otto |
Darsteller: |
|
Madame Armfeldt |
Gisela Ehrensperger |
Desirée Armfeldt |
Sigrid Hauser |
Fredrik Egerman |
Erwin Windegger |
Henrik Egerman |
Christof Messner |
Anne Egerman |
Beate Korntner |
Fredrika Armfeldt |
Amelie Spielmann |
Graf Carl-Magnus Malcolm |
Daniel Prohaska |
Gräfin Charlotte Malcolm |
Julia Klotz |
Frid |
Michael Johannes Mayer |
Petra |
Susanne Seimel |
Liebesliedsänger: |
Andrea Jörg, Katja Reichert, Laura Schneiderhan, Stefan Thomas, Thomas Hohenberger |
sowie: |
Philipp Andreiotis, Markus Walz, Corinna Klimek |
Orchester: Es spielen Musiker des Orchesters des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter dem Dirigat von Andreas Kowalewitz |