CANDIDE – Produktion des Staatstheaters am Gärtnerplatz München

Candide FP 14.12.15 091.aBernsteins „beste aller möglichen Welten“ fulminant inszeniert in der Münchner Reithalle, Premiere am 17.12.2015

Hierzulande wird Bernstein’s CANDIDE (nach der satirischen Vorlage von Voltaire „Candide – oder der Optimismus“) sehr selten aufgeführt – das Stück passt in keine Schublade, ist von allem etwas: Oper (gesungen wird mit klassischen Stimmen), Operette und auch Musical. Leonard Bernstein betitelte sein eher sperriges Werk als „Comique Operetta“ – dies trifft es wohl am besten.

Auf deutschen Bühnen erlebte man das mit großer sinfonischer Dichte, enormer Stofffülle und überaus witzigen Sequenzen belegte Stück fast ausschließlich in konzertanter Form. Unvergessen – bereits vor 20 Jahren als Gärtnerplatzproduktion aufgeführt – mit Loriot alias Vicco von Bülow, der staubtrocken, aber dieserhalb umso amüsanter, die „verbindenden Worte“ dazu beitrug.

Nun wagt sich das Gärtnerplatztheater unter der innovativen Intendanz von Josef E. Köpplinger erstmals an eine opulente szenische Aufbereitung von CANDIDE. Und fand für die Umsetzung den genau richtigen Mann für Regie und Choreographie: West End Star Adam Cooper (vormals Erster Solist im Londoner Royal Ballet, als Schwan/Stranger in Matthew Bourne’s Schwanensee Version zu Weltruhm gelangt und dann umgeschwenkt ins Musicalfach als Darsteller und Choreograph), bereits Anfang des Jahres am Gärtnerplatz als Co-Regisseur beim Erfolg „Gefährliche Liebschaften“ mit im Kreativen-Boot, hatte vor zwei Jahren in der kleinen Menier Chocolate Factory in London das Stück in sehr überschaubarer Besetzung bereits choreographiert.

Candide FP 14.12.15 115.aJetzt stellt er sich der mutigen Herausforderung in einem Land, dessen Sprache er nicht spricht, erstmals diese skurrile Geschichte mit über 60 Darstellern inkl. Chor und 40 Musikern des phänomenalen Orchesters des Gärtnerplatztheaters szenisch auf die Bühne zu bringen. Und wie er das tut, ist schlichtweg sensationell. Er führt Cast, Chor und Tänzer mit sicherer Hand in stringentem Tempo durch die enorme Fülle des kruden Librettos, sodass zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise so etwas wie Langeweile aufkommen kann. Ganz im Gegenteil: Es passiert soviel auf der Bühne, den offenen Seiten und auch im teils bespielten Zuschauerraum, dass zwei Augen definitiv zu wenig sind, um alles auf einmal zu erfassen.

Candide Premiere 17.12.15 056.bDie räumlichen Möglichkeiten in der Reithalle sind geradezu optimal für dieses Stück. Der Bühnenraum (Bühnenbild: Rainer Sinell) wird dafür abgesenkt, sodass die Zuschauer frontal von der Tribüne aus und ebenso an der linken und rechten Bühnenseite stets das Geschehen bestens im Blick haben. Die Darsteller spielen zu allen drei Seiten hin, eine links relingartig hochführende Treppe sowie ein großes Bühnenpodest im Hintergrund ermöglichen vielfältige Auf- und Abgänge und schaffen interaktive Räume. Cooper nutzt all diese Gegebenheiten genüßlich aus und sorgt mit großer Detailliebe, viel Humor und sprudelnder Kreativität dafür, dass der Zuschauer sofort hineingezogen wird in dieses Panoptikum.

Candide FP 14.12.15 031.aDas Orchester ist hinter einem die komplette Rückseite umspannenden Gaze-Vorhang platziert und bei der großartigen Ouvertüre und am Ende der Show sichtbar. Während der Show wird der Vorhang via Videoprojektionen bestückt, eine große Weltkarte zeigt mit jeweils amüsant aufploppend heranpfeifendem Pfeil dem geneigten Zuschauer, wo auf dem Globus sich Candide samt Entourage gerade befindet.

Candide Premiere 17.12.15 002.aDie linken und rechten Seitenwände in der Reithalle sind vom Boden bis zur Decke mit bemalten Leinwänden versehen, deren Motive die Stationen der höchst abenteuerlichen Reise Candides aufzeigen.

Alfred Mayerhofer greift beim Kostümbild wieder in die Vollen, lässt seiner Kreativität lustvoll Lauf – sowohl Chor als auch Cast steckt er in farbenprächtige, teils skurril-futuristische Kostüme. Herausgekommen ist eine Show als schwelgerisches Fest für Augen und Ohren – witzig, tiefgründig, völlig absurd und doch in allem enorm unterhaltsam.

Candide FP 14.12.15 037.aRegisseur Adam Cooper hat lange hin- und herüberlegt und kam dann zu der Entscheidung, die Songtexte auf englisch mit deutschen Übertiteln eingespielt zu belassen und die Dialoge auf deutsch zu verwenden. Was bei manch anderer Musical-Inszenierung, wenn ebenso entschieden wird, gern mal ins Auge geht, stört bei CANDIDE jedoch merkwürdigerweise überhaupt nicht.

Das ausufernde Libretto (Gesamtspielzeit in dieser Version: 2:40h) erzählt von einem Schloss in Westfalen, dort unterrichtet der Philosoph Dr. Pangloss vier junge Leute: Maximilian und Cunegonde, die Kinder des Barons, den jungen, naiven Candide, unehelicher Sproß einer Seitenlinie und die Kammerzofe Paquette. Den Vieren wird eingetrichtert, dass sie in der besten aller möglichen Welten leben würden. Nachdem sich Candide verliebt Cunegonde genähert hat, wird er aus dem Schloss verstossen und seine Odyssee quer durch die Welt nimmt ihren Lauf.

Candide FP 14.12.15 056.aEr stolpert von einer Katastrophe in die nächste, erlebt viel Leid (Kriege, Vulkanausbruch und Erdbeben in Lissabon, Auspeitschen, Betrogenwerden, Menschen werden hingerichtet, usw.) und muss somit das genaue Gegenteil dessen erfahren, was ihn Meister Pangloss gelehrt hat. Trotz allem hält Candide unerschütterlich an seinem Optimismus fest und sucht weltweit nach seiner Liebe Cunegonde. Diese passt sich pragmatisch orientiert den Gegebenheiten in einer alles andere als „guten“ Welt rasch an und lässt sich von ihren männlichen Gönnern aushalten. An ihrer Seite taucht in Paris – woher auch immer! – humpelnd, da einer Pobacke verlustig gegangen, die „Old Lady“ (Dagmar Hellberg: grandios!) auf, die fortan Cunegondes Dienerin ist.

Candide FP 14.12.15 027.aDie Reise führt Candide von Westfalen über Lissabon, Paris, Cadiz, Buenos Aires, Montevideo, Eldorado, Surinam, Konstantinopel nach Venedig. Völlig aberwitzig werden im Verlauf einige der Hauptpersonen gemeuchelt oder hingerichtet, tauchen aber umgehend an einem anderen Spielort wieder auf – die Logik gibt man am besten beim Besuch des Stücks an der Garderobe ab und lässt sich einfach mitreissen von dieser abgründigen Parodie und ja – man amüsiert sich königlich dabei! In der Eldorado-Szene bevölkern rote Schafe, welche Goldbarren-behangen für eine erhebliche Finanzspritze Candides auf seinem Rückweg nach Europa sorgen, die Bühne, bei der Atlantik-Überfahrt tauchen plötzlich mehrere gekrönte Häupter in den Fluten auf, die selbstverständlich gerettet werden, und derlei weitere Ungereimtheiten mehr.

Candide FP 14.12.15 065.aAm Ende geht die verworrene Geschichte doch noch gut aus. Candide macht seiner im Laufe der Vorstellung mehrfach verstorbenen Cunegonde einen Heiratsantrag und beide leben fortan zufrieden in der Nähe von Venedig und widmen sich ihrer gemeinsamen Zukunft Make Our Garden Grow. Die Suche nach der besten aller möglichen Welten sollen gefälligst andere übernehmen. Noch Fragen?

Candide FP 14.12.15 064.aBernsteins Partitur folgt keiner musikalischen Richtung, er bedient sich sowohl reichlich Walzerklängen, zwischendrin ertönen Gavotte, lateinamerikanische Rhythmen, Tango und immer wieder große sinfonisch-schwelgerische Melodiebögen. Brüche sind gewollt und finden reichlich Anwendung. Die Ouvertüre mit dem phantastischen Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der spritzigen Leitung des Musikalischen Direktors Marco Comin sorgt bereits für verschärfte Gänsehaut. Großartige, vielfältig eingesetzte Chorszenen (Auto-da-Fé, Alleluia, Bon Voyage, What’s The Use) versetzen einen in Begeisterung, anrührende Balladen, Soli und Duette der phantastischen Solisten (Life Is Happiness Indeed, The Best Of All Possible Worlds, Dear Boy, Make Our Garden Grow) hinterlassen nachhaltige Eindrücke.

Einen Showstopper erster Güte legt Cornelia Zink, die mutig äußerst kurzfristig für die erkrankte Csilla Csövari in der Hauptrolle der Cunegonde eingesprungen ist, mit der bekanntesten Nummer des Stücks, der Koloratursopran-Arie Glitter And Be Gay hin – minutenlanger frenetischer Applaus belohnt diesen superben Parforceritt zwischen greinend-trotzigem Kind und sich vor sich selbst rechtfertigender oberflächlich-berechnender Diva.

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Candide Premiere 17.12.15 028.cCornelia Zink und Gideon Poppe (Cunegonde & Candide)

Alexander Franzen als Erzähler Voltaire, Dr. Pangloss, Cacambo und Martin hat richtig viel zu tun und ist die meiste Zeit präsent. Sein Riesenpensum an Dialog und Gesang meistert er mit punktgenauem Spiel und wunderbarem Bariton.

Candide FP 14.12.15 004.aGideon Poppe in der Hauptrolle des unerschütterlich-naiven Candide gefällt mit sehr schönem, klaren Tenor und der Rolle entsprechend jungenhaft-tumbem Charme. Er ist der Sympathieträger, mit dem man mitfiebert und mitleidet.

Candide FP 14.12.15 070.aDie Old Lady ist wohl bei niemandem besser aufgehoben, als bei Dagmar Hellberg. Die Vollblutkomödiantin liefert in der Rolle ein Kabinettstückchen ab, Ihr I Am Easily Assimilated in feurigem Tango-Rhythmus ist sicherlich einer der Höhepunkte der Show.

Candide FP 14.12.15 087.aAls kecke Kammerzofe Paquette sowie in diversen Ensemblerollen stöckelt die attraktive Nazide Aylin, ausgestattet mit entzückender Mimik und toller Stimme sowie als Verstärkung der Tanz-Compagnie eingesetzt, durch die Szenerie.

Candide FP 14.12.15 099.aDann sind da noch zwei Herren, die ebenfalls unbedingt positiver Erwähnung bedürfen: Einmal ist da Erwin Belakowitsch als hinreissend tuntig-eitler Maximilian und Juan Carlos Falcón in seinen Rollen als Governor/Vanderdendur/Ragotzky – was für eine beeindruckende Stimme! Und wie schön, dass der Darsteller ab der kommenden Spielzeit wohl fest im Gärtnerplatzensemble engagiert ist und wir somit häufiger in den Genuss seines Könnens kommen dürfen.

Candide FP 14.12.15 076.bDas Premierenpublikum feiert Stück, Kreative und Darsteller beim Schlussapplaus ausgiebig mit begeisternden Ovationen.

Fazit: Diese höchst innovative Umsetzung eines szenisch sehr schwierigen Stücks kann nur als äußerst gelungen bezeichnet werden und ist für jeden Theaterliebhaber ein Fest – darum: Alles daransetzen, diese Produktion zu sehen, schnell Karten organisieren, das Stück läuft leider nur noch bis zum 3. Januar 2016!

Candide Premiere 17.12.15 021.aTermine (noch bis 3. Januar 2016), Tickets und Informationen unter
https://www.gaertnerplatztheater.de/produktionen/candide.html/m=1&ID_Spielzeit=9

(Silvia E. Loske, Dezember 2015)

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Und hier ist auf Youtube ein tolles Video zur Stückeinführung in CANDIDE des Gärtnerplatztheaters zu sehen:

 

Komische Operette. Musik Leonard Bernstein, Buch Hugh Wheeler, Gesangstexte Richard Wilbur und Stephen Sondheim, John LaTouche, Dorothy Parker, Lillian Hellman und Leonard Bernstein. Deutsche Dialoge Stephan Kopf, Zelma & Michael Millard. Basierend auf dem gleichnamigen satirischen Roman von Voltaire.

Musikalische Leitung

Marco Comin

Regie und Choreographie

Adam Cooper

Bühne

Rainer Sinell

Kostüme

Alfred Mayerhofer

Licht

Michael Heidinger

Dramaturgie

Daniel C. Schindler

Choreinstudierung

Felix Meybier

Video

Raphael Kurig, Thomas Mahnecke

Darsteller:

Voltaire/Pangloss/Cacambo/Martin

Alexander Franzen

Candide

Gideon Poppe

Cunegonde

Cornelia Zink

Maximilian/Captain

Erwin Belakowitsch

The Old Lady

Dagmar Hellberg

Paquette/Ensemble

Nazide Aylin

Officer1/Inquisitor/Governor

Juan Carlos Falcón

James/Inquisitor2/Cardinal

Holger Ohlmann

Inquisitor3/Judge/Slave Driver

Martin Hausberg

Sailor/Waiter/Stanislaus

Peter Neustifter

Informer 2/Charles Edwards

Lars Schmidt

Informer 1/Sultan Achmet/Crook

Andreas Wanasek

Baroness/Waitress/Sailor Act 2

Anna Thorén

Officer 2/Ensemble

Evita Komp

Baron Thunder-ten-Tronck/Hangman

Markus Hofmann

Girl/Dancer

Giulia Fabris

Girl/Dancer

Mireia Gonzàlez Fernàndez

Monkey/Dancer

Giovanni Corrado

Monkey/Dancer

Marcelo Dono

Croupier

Stefan Rampf

Chor und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz