Produktion des Gärtnerplatztheaters, Münchner Erstaufführung im Prinzregententheater am 23.4.2015
Glanzvoller Broadway-Wirbel an der Isar
Wer der Meinung ist, dass nur am Broadway und am West End Musicals mit beeindruckend großen Tanznummern mit einer ganzen Bühne voll Darstellern möglich sind, dem sei ein kurzentschlossener Besuch – weil nur noch bis 25. Mai auf dem Spielplan stehend – im Münchner Prinzregententheater sehr ans Herz gelegt: Was hier aktuell vom Team des Gärtnerplatztheaters (immer noch auf Spielstätten-Wanderschaft zwecks Generalsanierung des Stammhauses) im Feelgood-Musical „Singin’ in the Rain“ geboten wird, braucht keinen internationalen Vergleich zu scheuen – soviel Bündelung an blendender Unterhaltung, großem Vergnügen und grandiosen Darsteller-Leistungen erlebt man nicht alle Tage.
Beim Musical-Titel denkt natürlich jeder sofort an die weltberühmte Stepp-Szene von Gene Kelly im Regen im bis dato erfolgreichsten Musicalfilm aller Zeiten. MGM brachte 1952 diesen Blockbuster in die Kinos, die Bühnenversion des Stücks wurde 1983 in London mit veritablem Erfolg zur Uraufführung gebracht, ganz im Gegensatz zum Broadway, wo das Stück erstaunlicherweise bald wieder in der Versenkung verschwand. Vor wenigen Jahren wurde „Singin’ in the Rain“, nach einer ständig ausverkauften dreimonatigen Laufzeit außerhalb Londons in Chichester, erneut ans West End geholt und spielte dort, mit Adam Cooper in der Hauptrolle, von Kritik und Publikum gleichermaßen bejubelt vor vollem Haus im Palace Theatre.
Hierzulande wagen es nicht gerade viele Theater, das Musical auf den Spielplan zu setzen – ist doch für die Umsetzung dieser schwungvollen Musical-Comedy ein exzellentes Darstellerteam vonnöten, das explizit hervorragend steppen, tanzen, singen und spielen kann. Von dieser benötigten Qualität gibt es im deutschsprachigen Raum nun nicht massenhaft Darsteller, die dies alles in Kombination können. Umso bemerkenswerter ist die Inszenierung von Josef E. Köpplinger für das Gärtnerplatztheater, welche der Regisseur mit dem besonderen Händchen für Tempo und Timing bereits erfolgreich in Graz und Klagenfurt zur Aufführung gebracht hatte. Mit bis in die kleinste Nebenrolle perfekt besetzter Cast, einem randvollen Orchestergraben und opulentem Bühnen- und Kostümbild wird das Münchner Publikum erneut verwöhnt.
Die Geschichte des Musicals spielt 1927 in den Filmstudios von Hollywood. Dort, bei ‚Monumental Pictures‘, landet man mit dem Filmtraumpaar Don Lockwood und Lina Lamont einen Stummfilmerfolg nach dem anderen. Doch die Zeichen stehen auf Veränderung – der Tonfilm hält Einzug. Was für Don Lockwood kein Problem darstellt, ist jedoch für die platinblonde Diva Lina Lamont mit ihrer quäkend-unartikulierten Stimme ein unüberwindbares Hindernis. Für viele damalige Stummfilmstars bedeutete die Einführung des Tonfilms in der Tat das Aus, wie u. a. für Douglas Fairbanks und Pola Negri.
Zurück zum Musical: Nach einer Premierenfeier, bei der ihm wieder einmal die überkandidelte und in ihn verliebte Lina erheblich auf die Nerven ging, geht Don zu Fuß nach Hause und lernt an einer Straßenbahnhaltestelle die selbstbewusst-aufmüpfige Schauspielerin Kathy Selden kennen. Völlig konträr zu all den anderen Frauen, die ihm zu Füßen liegen, will Kathy von Don überhaupt nichts wissen. Was ihn – natürlich – höchst beeindruckt und erst recht beflügelt, um sie zu werben. Seinem besten Freund Cosmo Brown, der ihm schon seit Kindertagen loyal zur Seite steht und bei Dons Filmen als Pianist tätig ist, vertraut sich Don an, dass ihm diese gewisse Kathy Selden nicht mehr aus dem Kopf geht.
Ein weiterer Lockwood/Lamont-Kostümstummfilm wird gedreht als mitten in die Dreharbeiten die Bombe platzt, dass die konkurrierenden Warner Bros. einen Sensationserfolg mit ihrem ersten Tonfilm landeten. Dieserhalb sieht sich R.F. Simpson, der Boss von Monumental Pictures, im Zugzwang, ebenfalls mit einem Tonfilm aufzutrumpfen. Flugs werden die Stummfilmaufnahmen gestoppt und neu begonnen mit gesprochenen Dialogen. Man ahnt es schon, es wird ein Desaster aufgrund Linas komplettem Unvermögen; bei der Voraufführung verlässt das Publikum laut lästernd und schimpfend das Kino.
Don sieht seine Karriere als beendet an. Kathy (die er mittlerweile zufällig als Revuegirl auf einem Event wiedergetroffen hat) und Cosmo versuchen, ihn aufzuheitern. Die beiden haben die Idee, aus dem gefloppten Film durch einen Nachdreh einen Musik- und Tanzfilm zu machen, da Don ja in seinen Anfängen mit Cosmo als Gesangs- und Tanzduo in drittklassigen Clubs aufgetreten war.
Das Trio spinnt euphorisch Pläne, bis ihnen wieder gewahr wird, dass es ja mit Lina ein unüberwindbares Hindernis gibt.
Da kommt Cosmo auf die rettende Idee, Linas Stimme durch Kathy nachsynchronisieren zu lassen. Don und Kathy erkennen, dass sie sich ineinander verliebt haben. Nachdem Don seine Kathy in den Morgenstunden nach Hause gebracht hat, tanzt er glücklich durch den Regen und springt in Pfützen – die Szene, die dem Musical den Namen gab.
Studioboss R.F. ist von Cosmos Idee begeistert, man schreitet zur Tat – natürlich darf Lina nichts davon wissen. Die Dialog- und Gesangsszenen werden von Kathy im Tonstudio gesprochen und eingesungen.
Alles läuft gut, bis Lina von einer intriganten Kollegin gesteckt bekommt, was da hinter ihrem Rücken passiert. Außer sich vor Wut und Eifersucht setzt Lina – nun plötzlich gar nicht mehr so dumm! – Studioboss R.F. unter Druck – es kommt zu diversen Verwicklungen, aber natürlich gibt es letztlich ein Happy-End für Don und Kathy.
Regisseur Köpplinger hält sich eng an die Filmvorlage, insbesondere die aufwendigen Choreographien möchte er als Hommage an den berühmten Film verstanden wissen. Die Show-Ohrwürmer wie der Titelsong, das beschwingte Good Morning, das anrührende You are my Lucky Star, die Slapstick-Nummer Make em’ laugh und viele andere werden glücklicherweise im englischen Original belassen. Lediglich die für das Musical neu hinzugekommene Nummer Was mach ich falsch von Lina wird auf deutsch interpretiert.
Die klassische ‚old-fashioned‘ Show kommt überaus frisch, mit Esprit und köstlichen Gimmicks versehen (Lina: „ich bin reicher als Rocki und Feller – zusammen!“) punktgenau und mit perfektem Timing inszeniert über die Rampe. Das Bühnenbild des verstorbenen Rolf Langenfass, von Ausstattungsleiter Rainer Sinell behutsam rekonstruiert, versetzt einen in fließenden Übergängen vom Büro des Studiobosses an die diversen Filmsets, in das luxuriöse Appartement von Don, die nächtliche Straßenfassade mit dem singenden und tanzenden Don, auf die bühnenfüllende, lämpchenbestückte riesige Showtreppe und vieles andere mehr.
Wenn bei den großen Revuenummern Broadway Melody und am Ende bei der Reprise von Singin’ in the Rain 40 Darsteller synchron auf der Showtreppe steppen dann erahnt man ansatzweise, wie viel Arbeit die Choreographin Regina Ricarda Ludigkeit dafür aufgewendet haben muss.
Für besondere Heiterkeit sorgen die wacklig eingespielten Projektionen der übertrieben-pathetischen Schwarz-Weiß-Stummfilmszenen mit dramatischer Klavieruntermalung.
Im Orchestergraben spielen 40 Musiker des Staatstheaters unter dem Dirigat von Jeff Frohner schwungvoll die beliebten Melodien, neben den 19 Musicaldarstellern bevölkern in den großen Tanznummern auch noch 20 Tänzer/innen des Gärtnerplatz-eigenen Balletts sowie zahlreiche Statisten die Bühne. All dies bietet ein schwelgerisches Fest für Auge und Ohren – und dank der köstlich komödiantischen Performance der Charaktere Lina Lamont und Cosmo Brown einen erheblichen Angriff auf die Lachmuskeln.
Das Lichtdesign ist stimmig und die Tonaussteuerung bestens mit der genau richtigen Ausregelung der Gesangsstimmen im Verhältnis zum Orchester, im Ergebnis ist die Textverständlichkeit hervorragend.
Die Darsteller sind einfach großartig – alle! In der Hauptrolle glänzt Tenor Daniel Prohaska, der längst durch seine Rollen im Operetten- und Musicalfach des Gärtnerplatztheaters in München zum Publikumsliebling avanciert ist. Mit grübchenbehaftetem Charme ist sein Don Lockwood glaubwürdig in seiner Entwicklung vom anfangs selbstgefälligen Star zum mit Rückgrat versehenen, seine Kathy fördernden Kerl. Was den Zuschauer in Erstaunen versetzt sind Prohaskas Steppeinlagen. Was für ein Könner!
Wenn wir gerade beim Steppen sind: Peter Lesiak als Don’s Freund Cosmo Brown ist der eigentliche Star des Abends. Was dieser Künstler an wirbelnden Stepp- und Akrobatikeinlagen auf die Bühne zaubert, ist schlichtweg atemberaubend. Mit offensichlich sogenannten „funny bones“ und umwerfender Mimik ausgestattet, brennt der geborene Komiker Peter Lesiak insbesondere bei der Slapsticknummer Make em’ laugh ein derartiges Bewegungs-Feuerwerk ab, dass einem fast vom Zusehen schwindlig wird. Und dabei singt der dann auch noch! Ein weiteres Highlight ist natürlich noch Moses Supposes, eine urkomische Spracherziehungsnummer, bei welcher das Duo Prohaska/Lesiak, ebenso wie bei dem höchst amüsanten Fit as a Fiddle, synchron steppt und tanzt, dass die Fetzen fliegen. Auf einer deutschsprachigen Bühne habe ich nie zuvor etwas Vergleichbares gesehen. Chapeau!!
Die beiden Leading Ladies überzeugen ebenfalls auf voller Linie. Nadine Zeintl ist die anfangs kratzbürstige Kathy Selden, die im Verlauf der Show mit ihrer wunderbar glockenklaren Stimme nicht nur Don Lockwood zum Schmelzen bringt. Darüber hinaus tanzt und steppt sie auch noch hervorragend, eine tolle Allrounderin, die völlig zu Recht bereits mehrfach in Köpplinger-Inszenierungen in Hauptrollen reüssierte.
Bettina Mönch hat das Privileg, durch ihre köstliche Darstellung der nervig-doof-zickigen Diva Lina Lamont für die meisten Lacher des Abends sorgen zu dürfen. Mit beachtlichem Durchhaltevermögen quäkt sie sich fast zweieinhalb Stunden durch das Stück und singt in ihrem Solo Was mach ich falsch mit bemerkenswerter Konsequenz völlig falsch gegen das Orchester an. Ihr komödiantisches Timing ist vom Feinsten und ihr wiederholtes ‚bin ich denn blöd, oder was?‘ wird zum vom Publikum bekicherten Running-Gag des Abends.
Namhafte Darsteller runden die perfekte Besetzung weiter ab: Erwin Windegger als Prototyp des zigarrerauchenden, nadelstreifengewandeten Studiobosses, Frank Berg als ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs sich entlanghangelnder Regisseur Roscoe Dexter, die großartige Dagmar Hellberg in vielfältigen Rollen als Respekt einflössende Chefsekretärin und vor allem als russischstämmige Sprachlehrerin Rumkatschowa (Szenenapplaus!) sowie Carl van Wegberg als u. a. eitler Broadway-Sänger mit tollem Solo Beautiful Girl in großer Shownummer.
Auch das Ensemble ist eigentlich kein solches, denn jeder einzelne Darsteller ist in vielfältigen Sprech-, Spiel- und Tanzszenen zu erleben. Alle sind famos!
Das Premierenpublikum erlebte einen enorm unterhaltsamen Abend und zollte den durchweg hervorragenden Leistungen aller Beteiligten durch Szenenapplaus und frenetischen Jubel beim Schlussapplaus die verdiente Anerkennung.
Empfehlung: Unbedingt hingehen und sich mitreißen lassen von dieser fulminanten Show – man kann gar nicht anders, als mit einem vergnüglichen Grinsen beschwingt danach den Heimweg anzutreten.
Tickets, Termine und weitere Informationen gibt es unter
http://www.gaertnerplatztheater.de/produktionen/singin-in-the-rain.html
(Silvia E. Loske, April 2015)
Copyright aller Fotos bei Silvia E. Loske für Musical Reviews
und hier geht es zum Video der Stückeinführung des Gärtnerplatztheaters:
Musical basierend auf dem gleichnamigen MGM-Film. Drehbuch und Adaptierung von Betty Comden und Adolph Green. Musik und Songtexte von Nacio Herb Brown und Arthur Freed. Deutsche Dialoge von Hartmut H. Forche. Eine Produktion des Staatstheaters am Gärtnerplatz. |
Musikalische Leitung |
Jeff Frohner |
Regie |
Josef E. Köpplinger |
Choreographie und Co-Regie |
Ricarda Regina Ludigkeit |
Bühne und Kostüme |
Rolf Langenfass |
Licht |
Michael Heidinger, Josef E. Köpplinger |
Dramaturgie |
Daniel C. Schindler |
Darsteller: |
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Don Lockwood |
Daniel Prohaska |
Cosmo Brown |
Peter Lesiak |
Kathy Selden |
Nadine Zeintl |
Lina Lamont |
Bettina Mönch |
R.F. Simpson |
Erwin Windegger |
Roscoe Dexter |
Frank Berg |
Dora Bailey u. a. |
Dagmar Hellberg |
Zelda Zanders u. a. |
Susanne Seimel |
Sowie: Marco Toth, Christian Schleinzer, Hannes Muik, Carl van Wegberg, Stéphanie Signer, Evita Komp, Veronika Enders, Julia Fechter, Peter Neustifter, Sascha Stead, Robert Schmelcher |
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Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Ballett und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz |