Fulminante Bayern-Premiere am 12. September 2014 im Deutschen Theater München
„München – Time to Rock!“
Als Ben Elton, erfolgreicher britischer Schriftsteller und Comedy-Autor, im Jahr 2000 in enger Abstimmung mit Brian May und Roger Taylor begann, eine Story für ein Queen-Musical zu entwickeln, rechnete niemand damit, dass Eltons auf ironischer Science Fiction basierende Geschichte als damals total fiktive Vorahnung innerhalb von nur einem Jahrzehnt beklemmende Realität werden würde. Die Globalisierung mit all ihren negativen Auswirkungen greift krakenartig und rasend schnell um sich, die junge Smartphone-Generation ist so gut wie nicht mehr in der Lage, emotionale Bindungen einzugehen, sondern tapert fremdgesteuert, mit gesenkten Köpfen ohne Unterlass hypnotisiert auf kleine Displays starrend, durch die Gegend. Erwachsene, die ebenfalls nur noch auf ihr Handy glotzen und in der Facebook- und Twitter-Welt „leben“, geben ein nicht minder jämmerliches Bild ab. Die virtuelle Welt hat längst Einzug gehalten im Alltag, Persönlichkeit und Individualität ist nicht mehr angesagt, das Internet ist der allein seligmachende Place to be.
Das Musical „We Will Rock You“ gilt schon jetzt – zwölf Jahre nach seiner Uraufführung in London – als eins der erfolgreichsten Musicals aller Zeiten. In London spielt das Stück seit der Uraufführung durchgehend ausverkauft, parallel läuft das Stück weltweit ebenfalls mit riesigem Erfolg. Nach der deutschen Erstaufführung in Köln 2004 kommt nun die Rock-Show erstmals nach München, in die Stadt, in der Queen mehrere erfolgreiche Alben produziert haben und die ihrem genialen, leider viel zu früh verstorbenen, Frontmann Freddie Mercury zur zweiten Heimat geworden war.
Queen war und ist nicht irgendeine Rock-Band, die in den Siebzigern erfolgreich wurde. Die vier Musiker von Queen, allesamt hochkreative und kluge Köpfe, haben vor über 40 Jahren Maßstäbe gesetzt im Musikbusiness, mischten experimentell Opernfragmente mit unverwechselbarem Bombast-Rock, intelligenten Texten, unnachahmlichen Harmoniebögen, zuvor (und danach) nie mehr dagewesenen Gitarren-Riffs, mehrstimmig perfektem Gesang. Wenn man, wie ich, mit dieser Musik aufgewachsen ist, dann verbindet einen viel mit dieser Band, man kann so gut wie jeden Song mitsingen, die Lyrics sind auch jetzt noch, nach so langer Zeit, auf der geistigen Festplatte gespeichert. Daher ist dieses Musical ein besonderes Erlebnis für alle Queen-Fans und natürlich auch für solche, die sich – wie in der Premiere beobachtet – als junger Mensch packen und mitreißen lassen.
Der Abend beginnt mit einer überraschenden und begeistert umjubelten Videobotschaft von Brian May:
„Hi folks, Brian here! Grüß Gott, Bavaria! (…) We are thrilled that finally our show WE WILL ROCK YOU has reached Munich, one of our most favourite cities in the whole world. It’s a home city for us. Folks, you’re gonna have a wonderful time! This is an unbelievable company and all I have to say is: München, time to rock!”
Ben Eltons Plot von „We Will Rock You“ nimmt den Zuschauer mit in die Zukunft, ungefähr ins Jahr 2300. Man lebt auf dem Planeten iPad (ehemals Erde genannt). Die Globalisierung ist längst hochperfektioniert im Leben der Bewohner umgesetzt: Namen gibt es nicht mehr, nur noch Nummern, man sieht sich dieselben Filme an, kleidet sich uniform und denkt dasselbe – todlangweilig, aber den Menschen gar nicht bewusst. Melodien werden ausschließlich computergeneriert, alle richtigen Musikinstrumente sind schon längst verbannt. Der mächtige Konzern Globalsoft beherrscht mit diktatorischem Regime unter der Ägide der psychopathisch-übergeschnappten Killer Queen, speichelleckend-devot flankiert von Geheimpolizei-Kommandant Kashoggi, die vermeintlich harmlos-glückliche, gleichgeschaltete Gaga-Welt.
Doch in den finstersten Winkeln auf Planet iPad leben noch ein paar Rebellen, die Bohemians, die daran glauben, dass es einst ein Goldenes Zeitalter gab, in dem die Kids ihre eigenen Bands formierten und ihre eigenen Songs schrieben und spielten. Diese Ära nennen sie die Rhapsody.
Einer Legende nach steht zweifellos fest, dass auf dem Planeten iPad irgendwo noch immer Instrumente existieren, die „mächtige Axt“ respektive die E-Gitarre eines großartigen und langhaarigen Gitarren-Gottes von einst soll tief unter einem Felsen verborgen sein. Um diesen Schatz zu finden und aus dem Gestein hervorzuziehen, bedarf es eines Helden. Ist dies vielleicht jener sich selbst Galileo Figaro nennende unsichere Junge, der als Außenseiter stotternd durch die Gegend stolpert und dem immerzu wirr erscheinende Textfragmente, unter anderem in der „verbotenen Sprache“ (Englisch!), im Kopf herumgehen?
Galileo trifft, arrestiert durch die Geheimpolizei, in der Zelle auf ein aufmüpfiges rotzfreches Gör, das sich ebenfalls in der Außenseiterrolle befindet, verfügt sie doch über einen blitzgescheiten Verstand und weigert sich, blindlings den albernen Gaga-Girls hinterher zu rennen. Die beiden nähern sich vorsichtig an, in Galileos Kopf formiert sich der Name für das Mädchen: Scaramouche.
Zusammen fliehen sie vor den Schergen der Geheimpolizei, treffen abseits der gängigen Pfade auf die beiden Bohemians Brit(ney Spears) und Ozzy (Osbourne) und begeben sich gemeinsam auf die Suche nach dem Stern, der den Weg weisen soll zum legendären Living Rock mit dem dort vergrabenen Gitarren-Schatz.
Sie begegnen den restlichen Bohemians, einem abenteuerlich gekleideten Haufen von Individualisten die alle – zum Amüsement des Publikums – Namen aus längst vergangenen Epochen tragen, wie Madonna, Dieter Bohlen, usw. Der Alt-Hippie Bap (Niedeken) bewahrt unter Einsatz seines Lebens eine altertümliche „Wiedeoo Kastagnette“ („mein Schatz“, Anspielung auf die Herr der Ringe-Saga), auf der Bild- und Tonfetzen einer im damaligen Zeitalter berühmten Band namens „Queen“ zu sehen und zu hören sind. Plötzlich steigt via Projektion aus den Tiefen des Meeres eine Bronzestatue mit zur Faust gestrecktem Arm empor, dies soll der charismatische Frontmann dieser Band gewesen sein, ein gewisser Freddie Mercury. Über der Statue erstrahlt ein Stern und weist dem Trio Galileo, Scaramouche und Bap den Weg. Auf einer alten Harley folgen sie dem Stern nach London und gelangen auf ein verfallenes und abgewracktes Gelände, das früher das sogenannte Wembley-Stadion gewesen war, eine Stätte, in der vor zig-tausenden Fans der Rock zelebriert wurde. In Galileos Kopf formieren sich die Textpassagen „Buddy you’re a boy make a big noise playing in the streets gonna be a big man someday – you got mood on your face, you big disgrace, kickin’ your can all over the place…” und boouuuw öffnet sich unter Getöse der Fels, Brian May’s elektrische Gitarre kommt zum Vorschein, Scaramouche ist die einzige, die darauf spielen kann und die drei intonieren We Will Rock You; die übrigen Bohemians stürmen durch das Tor ins verrottete Stadion, alle stimmen mit ein und sogar die Killer Queen und Kashoggi rocken mit. Als Zugaben gibt es We are the Champions und – selbstverständlich! – als krönenden Abschluss die Bohemian Rhapsody.
Natürlich ist das eine höchst absurd-krude Story, aber sie ist enorm unterhaltsam aufbereitet. Die Queen-Songs, 21 Stück an der Zahl, die sowohl teils auf deutsch als auch auf englisch performt werden, fügen sich ideal in den Plot. Die Dialoge sind spritzig-witzig und mit unzähligen Bonmots auf die uns bekannte Musikwelt gespickt (z. B. „warum herrscht unter 32168 Konjunktur die ganze Nacht?“, „Lebt denn der alte Holzmichel noch?“ „und wo ist Schnappi das kleine Krokodil?“). Auch Anspielungen auf die jüngst gewonnene Fußball-Weltmeisterschaft fehlen nicht. Das Publikum amüsiert sich wahrhaft königlich, lacht laut auf, singt mit, klatscht mit, wedelt mit den Armen im Takt. Ein Happening allererster Güte.
Das Ensemble, bestehend aus 30 SängerInnen und TänzerInnen, und die achtköpfige Band unter Leitung von Jeff Frohner (der im Juli in München mit drei konzertant gezeigten, phantastischen „Jesus Christ Superstar“ Aufführungen (Inzenierung des Gärtnerplatztheaters) mit großem Orchester und einer genialen Cast den Circus Krone zum Beben gebracht hat, siehe Kritik hier auf Musical Reviews) – alle handverlesen und vor allem explizit von Brian May und Roger Taylor final gecastet, spielt und singt sich die Seele aus dem Leib.
Die Hauptdarsteller passen wie die berühmte Mercury-Faust aufs Auge. War ich noch beim Press-Call – dort wurden sechs Titel präsentiert – von Galileo-Darsteller Christopher Brose noch nicht direkt geplättet, so überzeugt der junge sympathische Berliner in der Premiere doch vollends mit seinem hibbeligen Spiel, seiner enormen Beweglichkeit und tänzerischem Können mit im besten Sinne des Begriffs „funny bones“ sowie mit guter Stimme. Anrührend als zartes Liebesduett gelingt ihm mit seiner Partnerin insbesondere die Queen-Hymne Who Wants To Live Forever (zu Filmruhm gelangt als Soundtrack des „Highlander“ Blockbusters). Lediglich bei der am Schluss intonierten Bohemian Rhapsody versagt ihm anfangs die Stimme – dies ist aber sicherlich dem doch sehr anstrengenden Abend und möglicherweise der Premierenaufregung geschuldet.
Eine Entdeckung ist die junge Schweizerin Jeannine Michéle Wacker. Ihre Scaramouche ist herzerfrischend respektlos, rotzig direkt und checkt, insbesondere im Zusammenspiel mit dem doch meist verpeilten, neben der Spur laufenden Galileo, stets präzise die aktuelle Lage. Weder schauspielerisch noch stimmlich gibt es irgendwas, das noch optimiert werden könnte. Toll!
Brigitte Oelke ist die Killer Queen im deutschsprachigen Raum bereits seit zehn Jahren. Und nicht ohne Grund: Ihre Rockröhre hat von Anfang an die Haudegen von Queen umgehauen. Mit großer Ironie legt sie ihre Rolle an und füllt diese spektakulär, mit großer Bühnenpräsenz und grotesker Mimik, aus. Ein Showstopper gelingt ihr mit ihrer Interpretation des treibenden Another One Bites The Dust – einfach nur sensationell!
Ihr zur Seite als Kommandeur Kashoggi findet sich ebenfalls ein Urgestein der Show – Martin Berger scheint auch idealbesetzt zu sein, überzeugt stimmlich und darstellerisch.
Das Bohemian-Pärchen Brit & Ozzy geben Markus Neugebauer als kraftstrotzender Hau-Druff-Macho, der aber das Herz am rechten Fleck trägt und Linda Holmgren. Sie überzeugt mit starker Stimme (insbesondere bei ihrem Solo No One But You), doch leider kommt in den Dialogen ihr starker Akzent durch.
Bleibt noch von den Hauptdarstellern Leon van Leeuwenberg als Alt-Rocker Bap zu erwähnen. Großartige Darstellung! Seine Szenen mit Galileo und Scaramouche gehören zu den amüsantesten des Abends.
Die 16 TänzerInnen setzen synchron und exakt die futuristisch angehauchte Original-Choreographie von Arlene Phillips um, das Lichtdesign und vor allem die Videoprojektionen lassen keine Wünsche offen. Die Kostüme sind knallig-futuristisch-bunt. Die Soundaussteuerung der auf dem neuesten Stand der Technik befindlichen Anlage im Deutschen Theater schafft den Balanceakt, jeden einzelnen Ton der genial gespielten Titel in den Zuschauerraum zu transportieren, mit dem hierfür erforderlichen Druck, aber ohne, dass es einem zu laut würde. Das Bühnenbild steht bei dieser Show nicht im Vordergrund, bedient aber durch Hubpodium (bei It’s A Kind Of Magic) und andere technische Möglichkeiten diese Tour-Produktion bestens.
Zur Premiere fanden sich zahlreiche Prominente im Deutschen Theater ein – u. a. die beiden Leading Men der Spider Murphy Gang, die staunend konstatierten, dass es wohl niemand erwartet hätte, dass Teile ihres Skandal im Sperrbezirk jemals in einem Queen-Musical zitiert würden. Ben Elton, der Autor, der immer noch mit Enthusiasmus von seinem „Baby“ spricht, liess es sich auch nicht nehmen, bereits in der Probenphase, beim Press-Call und bei der Premiere gut gelaunt Hintergründe zur Entstehung des Stücks preiszugeben. Das ausverkaufte Deutsche Theater rockte die Hütte, schwenkte rote Leuchtstäbe und hatte einfach nur eine mega-gute Zeit. Unzählige Vorhänge für die spielfreudigen Darsteller, die tolle Band und die anwesenden Kreativen brachten die Begeisterung des Publikums nachdrücklich zum Ausdruck. Bei der anschließenden Premierenparty setzte sich die überschäumende Atmosphäre des rundum gelungenen Abends fort, Darsteller, Kreative und Besucher feierten gemeinsam ausgelassen (und recht lange…).
Dieses Feelgood-Musical darf man sich nicht entgehen lassen, wenn man einen höchst unterhaltsamen, unbeschwerten Theaterabend im Gewand eines Rockkonzerts verbringen möchte.
We Will Rock You läuft noch bis zum 13. Dezember 2014. Informationen zum Stück, Spieltermine und Tickets unter
http://www.deutsches-theater.de/programm/we-will-rock-you.html
(Silvia E. Loske, September 2014)
Das Deutsche Theater München zeigt eine Produktion der Fandango Musical GmbH in Übereinkunft mit Queen Theatrical Productions, Phil McIntyre und Tribeca Theatrical Productions
Buch und Regie |
Ben Elton |
Musik und Songtexte |
Queen |
Music Supervisors |
Brian May & Roger Taylor |
Deutsche Übersetzung |
Wolfgang Adenberg, Jörn Ingwersen |
Musikalische Leitung |
Jeff Frohner |
Inszenierung & Choreographie |
Arlene Phillips |
Bühnenbild |
Mark Fisher |
Kostüme |
Tim Goodchild |
Licht und Videodesign |
Willie Williams |
Sound |
Bobby Aitken |
Darsteller: |
|
Galileo |
Christopher Brose |
Scaramouche |
Jeannine Michéle Wacker |
Killer Queen |
Brigitte Oelke |
Kashoggi |
Martin Berger |
Brit |
Markus Neugebauer |
Ozzy |
Linda Holmgren |
Bap |
Leon Van Leeuwenberg |
Ensemble: Alexander Bartles, Andrea del Solar, Fabio Diso, Samantha Harris, Joana Henrique, Jordan Laviniere, Sam Linscott, Robert Meyer, Marianna Neofitou, Jörg Neubauer, Leoni Oeffinger, Susie Porter, Stuart Sumner, Marjolein Teepen, Isabel Trinkaus, Nathan Vaughan Harris, Katie Allday, Janos Harot, James-Paul McAllister, Tom Nihill, Emily Tzivanidou |