Produktion des Staatstheaters am Gärtnerplatz München im Circus Krone, Premiere am 22.07.2014
Musical Superstar Drew Sarich in fulminanter konzertanter Aufführung des Lloyd Webber Klassikers
Im zarten Alter von 22 Jahren komponierte Andrew Lloyd Webber, beeinflusst von dem Ende der Sechzigerjahre auch im Musikalischen herrschenden Umbruch mit Anleihen an Rock, Pop, Soul und auch etwas Gospel, seine Rockoper über die Passion Christi. Mit Tim Rice, einem aufstrebenden Autoren, mit dem er bereits kurz zuvor „Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat“ kreierte, hatte Lloyd Webber einen fähigen Texter an der Seite, der zu seinem durchkomponierten Werk die passenden Lyrics beisteuerte. Zuerst gab es ein Album zu JCS, auf welchem namhafte Rockgrößen der damaligen Zeit (Ian Gillian von Deep Purple als Jesus und Murray Head als Judas) die Hauptpartien sangen. Das Album wurde ein großer Erfolg und stürmte die Charts. Beflügelt hiervon wollten Lloyd Webber und Rice nun das Werk auf die Bühne bringen. Nach anfänglich schwachem Start entwickelte sich das Stück doch zu einem Dauerbrenner und ist seit nunmehr über 40 Jahren eines der meistgespielten Werke auf den weltweiten Musicalbühnen.
Im Mittelpunkt des Stücks steht Judas Ischariot, einer von Jesus’ Jüngern und bekanntlich derjenige, der Jesus durch seinen Kuss an die Häscher verraten und damit – natürlich unbewusst – durch die dann folgende Hinrichtung den Mythos Jesus erst ermöglichte.
Der Einstieg in das Stück beginnt mit dem aufkommenden Hype einer immer größer werdenden Anhängerschaft um den dreissigjährigen Jesus von Nazareth, schnell schraubt sich das Ganze zu einer Messias-Verehrung hoch, deren Folgen für Jesus nur noch mit Mühe zu bewältigen sind. Judas schleicht um die Anhänger herum und konfrontiert Jesus in der Rockhymne Heaven on their Minds mit seinen Zweifeln, die sich aus dem mittlerweile fanatischen Personenkult ergeben.
Unter Jesus’ Bewunderern befindet sich auch die Hure Maria Magdalena – Judas warnt Jesus gereizt, sich nicht mit Frauen „dieser Art“ einzulassen. Jesus aber weist ihn zurück und wendet sich weiter Maria Magdalena zu.
Unterdessen dringt die Kunde von einem angeblichen Messias, dem die Juden blindlings folgen, zu der Priesterschaft durch, die ihre Pfründe in Gefahr sieht und deshalb beschließt, dem Kult um Jesus ein rasches Ende zu bereiten. Doch Jesus zieht mit seiner Anhängerschäft in der Stadt ein und wird dort frenetisch gefeiert, Hosanna. Simon Zelotes, einer von Jesus’ Jüngern, fordert Jesus auf, sich gegen die politische Macht zu stellen, doch für Jesus ist Gewalt keine Lösung.
Der oberste Verwaltungsbeamte der Besatzungsmacht, Pontius Pilatus, hat in einem Albtraum bereits Vorahnungen zu den weiteren dramatischen Geschehnissen.
Maria Magdalena weiß ihre Gefühle für Jesus nicht richtig einzuordnen, fragt sich zweifelnd, wie es ihr gelingen möge, ihn zu lieben, I don’t know how to love him ist eines der bekanntesten Lieder der Show und war in den Popcharts der Siebziger höchst erfolgreich.
Judas ist zutiefst enttäuscht, dass Jesus auf seine Warnungen nicht gehört hat. Er sucht Hilfe ausgerechnet bei der Priesterschaft, welche ihn geschickt in die Enge treibt, so dass er schließlich den Aufenthaltsort von Jesus verrät und dafür seine 30 Silberlinge erhält, Blood Money.
Im zweiten Akt spitzen sich die Geschehnisse zu und es gipfelt im Unvermeidlichen. Nach dem letzten Abendmahl mit seinen Jüngern befindet sich Jesus im Garten Gethsemane, niemand wacht mit ihm, er ist allein. Und seine verzweifelte Zwiesprache mit Gott ist in eine der größten Musicalarien überhaupt eingepackt: Gethsemane. Die Wachen kommen, nehmen ihn gefangen. Petrus verleugnet ihn dreimal. Jesus wird Pontius Pilatus vorgeführt – der versucht, sich des Falles zu entledigen, er möchte nicht richten über den selbsternannten Sohn Gottes – daher schickt er ihn weiter zu König Herodes, welcher nur Spott für den Gefangenen übrig hat. Die Jünger und Anhänger Jesus’ versammeln sich, Judas erkennt in tiefster Verzweiflung, was er angerichtet hat und erhängt sich. Zurück bei Pilatus, schlägt der Mob, der noch kurz zuvor Hosianna gejubelt hat, in die gegenteilige Richtung um und verlangt aufrührerisch „crucify him“. Jesus wird mit 39 Hieben ausgepeitscht, Pilatus kann nicht anders, als dem Mob nachzugeben und das Todesurteil zu sprechen. In einer großen Shownummer erscheint der tote Judas und performt mit den Soulgirls das Titelthema Jesus Christ Superstar, stellt die Frage nach dem „Warum“. Jesus wird ans Kreuz genagelt, er vergibt seinen Peinigern und begibt sich in Gottes Hände.
Josef E. Köpplinger inszeniert das Stück konzertant als mitreißendes Rockkonzert in der außergewöhnlichen Location des Circus Krone in München. Als Bühnenbild dient ein im Manegenrund angebrachtes Podest. Keine Requisiten, keine Kostüme, die Darsteller casual in Alltagskleidung, lediglich in bestimmten Szenen sind sie zum Teil in schwarze Mäntel gehüllt. Eindringlich werden diese Mäntel bei der Todesszene von Judas verwendet – das Ensemble schlüpft von vorne verkehrt herum in die Mantelärmel und begibt sich – eine einzige schwarze Wand symbolisierend, langsam aber zwingend einen immer engeren Kreis bildend – auf Judas zu, bis dieser darin untergeht. Eine beklemmende Szene.
Die grausamen Sequenzen mit Auspeitschen und Kreuzigung werden nur angedeutet und doch ist der Zuschauer gebannt im Geschehen. Überhaupt entwickelt sich gerade durch die minimalistisch reduzierte konzertante Aufführung Theatermagie in ihrer reinsten Form, man ist ausschließlich fokussiert auf die Kraft der Darsteller, ihrer Stimmen und der beeindruckenden Musik. Jeff Frohner setzt Lloyd Webbers Partitur packend und temporeich um, holt aus den 32 Musikern, verstärkt durch E-Gitarren, alles heraus. Der Sound ist gut abgemischt, lediglich bei der Eröffnungsnummer des Judas scheint es noch kleinere Ungereimtheiten bei der Aussteuerung zwischen Orchester und Solist zu geben.
Das ausgeklügelte Lichtdesign trägt einen Großteil zum Erfolg dieser Inszenierung bei. Wie alleine durch kalte Lichtkegel oder warme Rottöne Stimmungen erzeugt werden können, die das Publikum zwingend in die Handlung hineinziehen, ist beeindruckend.
Kommen wir nun zu den Solisten und Ensemblemitgliedern. Es erscheint alles aus einem Guss, die Rädchen greifen ineinander. Ein ganz spezieller Coup ist der Theaterleitung mit der Verpflichtung des Musical Superstars Drew Sarich geglückt. Ihn, der sich alle seine Rollen so unglaublich individuell zu eigen macht, der am Broadway und am Londoner West End Erfolge feierte, für nur drei Vorstellungen nach München zu holen, kann gar nicht genug Begeisterung hervorrufen. Der US-Amerikaner mit Wohnsitz Wien ist ein Instinktschauspieler mit phänomenaler Bühnenpräsenz und einer unverwechselbaren Stimme, die mühelos auch höchstes Falsett bewältigt. Er spielt seine Rollen nicht, er lebt sie und zeigt dabei eine Vielseitigkeit, die ihresgleichen im Musical Business sucht.
Und absoluter Vollprofi, der er nunmal ist, kommt er einfach mal eben aus Hamburg (dort ist er En Suite der „Rocky“ im gleichnamigen Musical) am Samstag nach München eingeflogen und spielt bereits am Dienstag die Premiere im Circus Krone. Natürlich ist ihm das Stück schon seit vielen Jahren in Fleisch und Blut übergegangen, in umjubelten Aufführungen, egal ob szenisch oder konzertant, hat er schon oft sowohl als Jesus wie auch in der Partie des Judas brilliert. Sein sechsminütiger Parforceritt Gethsemane gerät – wie nicht anders zu erwarten – auch in München zum absoluten Showstopper. Nach dem letzten Ton, dem ergriffen gelauscht wird, bricht langanhaltender Jubel los und es gibt Standing Ovations. Dank geht an den musikalischen Leiter Jeff Frohner, der dem Publikum angemessene Zeit einräumt, um den Künstler und seine exorbitante Leistung mitten im Stück gebührend zu feiern.
Jesus’ Gegenpart Judas ist ebenfalls ein besetzungstechnischer Glücksgriff, verfügt doch Alex Melcher über genau die richtige Rockröhre für diese Partie und bereits viel Erfahrung mit dem Stück. Sein Spiel ist sehr überzeugend – als ständig ruhelos flackernden Blickes im Manegenrund umherirrender, von Selbstzweifeln zerfressener Judas gelingt ihm ein enorm starkes Rollenportrait – zum Gelingen der Show ist es wichtig, dass Jesus und Judas sich als ebenbürtige Leading Men gegenüberstehen. Das ist hier mehr als gelungen, besser geht nicht.
Die einzige Frauenrolle in der ansonsten männlich besetzten Rockoper ist Maria Magdalena. Peti van der Velde bedient den Charakter mit Präsenz und viel Empathie für Jesus, stimmlich passt auch hier alles.
Eine Überraschung gilt es in der vierten Hauptrolle des Stücks zu entdecken. Erwin Windegger gibt den Pontius Pilatus mit Gänsehautfeeling, versucht verzweifelt, den seiner Meinung nach harmlosen Spinner Jesus vor dem aufgebrachten Mob und dessen Kreuzigungsforderung zu bewahren – und scheitert daran. Dass der vielseitige Künstler, den man bereits schon in vielen unterschiedlichen Rollen (u. a. „Der Mann von La Mancha“) in den Aufführungen des Gärtnerplatztheaters bewundern durfte, aber über so eine umwerfende Rockstimme verfügt, verblüfft total. Chapeau, was für eine Leistung!
Weiterhin hervorzuheben aus dem durchweg hervorragenden Ensemble sind zwei junge Darsteller, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen und es doch in dieser Inszenierung geschafft haben, nachdrücklich auf sich aufmerksam zu machen: Zum einen ist da Philipp Büttner als Simon Zelotes, der mit einem ganz starken Solo punktet. Zum anderen in der Rolle des Petrus der junge Florian Peters, der sogar erst kurz vor seinem Abschluss-Diplom steht – er überzeugt ebenfalls vollends mit dem schönen Duett Could we start again, please zusammen mit Maria Magdalena.
King Herod’s Song ist ein Bruch im Stück – aber ein gewollter. Diese fast schon Slapstick-artige Nummer ist Geschmackssache. Previn Moore mit seiner kräftigen Gospelstimme macht seine Sache, begleitet von den drei Soulgirls, gut.
Die Priester unter Leitung von Kaiphas (Bassbariton Holger Ohlmann bleibt in Erinnerung) erzeugen die erforderliche Bedrohlichkeit bestens.
Im Ensemble finden sich Darsteller, die als Solisten in vielen anderen Produktionen bereits überzeugt haben, wie Martin Markert („Elisabeth“, „Ludwig2“), Sebastian Smulders („The Sound of Music“), Corinna Ellwanger („Jekyll & Hyde“), Antje Eckermann („Tanz der Vampire“).
Erwähnung muss natürlich auch der Chor finden. Josef E. Köpplinger holt dazu Studierende der Musical-Jahrgänge. Anerkennung gebührt ihm dafür, dass er Studierende von den beiden Münchner Musicalschulen (Theaterakademie August Everding und Abraxas Musical Akademie) als Chor zusammenführt.
Am Ende zeigen sich 1.300 Premierenzuschauer im ausverkauften Zirkusrund restlos begeistert von der Show und zollen Kreativen und Darstellern den verdienten Respekt durch Standing Ovations.
Es gibt noch zwei Termine – unbedingt hingehen und nicht versäumen! Die Rockoper wird im Münchner Circus Krone noch gespielt am 25. und 28. Juli, jeweils 19:30 Uhr.
Tickets sowie weitere Informationen gibt es unter
http://www.gaertnerplatztheater.de/produktionen/jesus-christ-superstar.html
(Silvia E. Loske, Juli 2014)
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Hier geht’s zum Videotrailer des Gärtnerplatztheaters:
Rockoper von Andrew Lloyd Webber, Gesangstexte von Tim Rice. Konzertante Aufführung |
Musikalische Leitung |
Jeff Frohner |
Staging |
Josef E. Köpplinger |
Licht |
Michael Heidinger |
Dramaturgie |
Michael Otto |
Darsteller: |
|
Jesus |
Drew Sarich |
Maria Magdalena |
Peti van der Velde |
Judas |
Alex Melcher |
Pontius Pilatus |
Erwin Windegger |
Kaiphas |
Holger Ohlmann |
Annas |
Christian Schleinzer |
Petrus |
Florian Peters |
Herodes |
Previn Moore |
Simon Zelotes |
Philipp Büttner |
Soulgirls |
Anastasia Bain, Taryn Nelson, Adi Wolf |
Sowie: Stefan Bischoff, Martin Markert, Michael Souschek, Nicolas Boris Christahl, Christoph Graf, Johannes Nepomuk, Peter Neustifter, Lars Schmidt, Guy van Damme, Antje Eckermann, Corinna Ellwanger, Franziska Kemna, Madeleine Lauw, Leoni Kritin Oeffinger, Alice Wittmer. Studierende der Theaterakademie August Everding und der Abraxas Musical Akademie München. Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz. |