Das neue, mit Spannung erwartete, Konzertformat von Sound of Music Concerts ist betitelt “Gentlemen of Musical”. Die besagten Gentlemen sind Jan Ammann und Kevin Tarte, flankiert von den beiden Special Guests Nicole Mühle und Michaela Schober, das Programm äußerst anspruchsvoll und abwechslungsreich. So der Plan. Monatelange Vorbereitung der beiden Herren war erforderlich, um die 32 Lieder, wovon die Hälfte noch nie zuvor von den Künstlern interpretiert wurde, einzustudieren.
Dann, am 19. April, die Feuertaufe in der Filharmonie vor Abopublikum und ca. 150 Fans. Und sofort zu Anfang ist offensichtlich, dass Kevin Tarte stimmlich schwer angeschlagen ist. Den ersten Teil bewältigt er noch mit großer Kraftanstrengung, doch im zweiten Teil geht nichts mehr. Was zur Folge hat, dass man sich schon so seine Gedanken wegen des darauffolgenden Abends in der bis zum letzten Platz ausverkauften Filharmonie macht.
Und so kommt es, dass pünklich zu Konzertbeginn am 20. April um 19:00 Uhr Andreas Luketa, Geschäftsführer und künstlerischer Kopf von Sound of Music Concerts, die Bühne betritt um mitzuteilen, dass leider Kevin Tarte aus gesundheitlichen Gründen heute abend nicht auftreten kann. Ein Raunen geht durch die Menge. Noch mehr Unruhe erzeugt dann das Entgegenkommen des Veranstalters, dass diejenigen, die nun nicht mehr dem Konzert beiwohnen möchten, innerhalb der nächsten zwei Minuten den Saal verlassen und im Foyer die Rückerstattung des Eintrittpreises beantragen können, man sich aber freuen würde, alle Besucher als Gäste des Konzerts behalten zu können.
Einige Besucher sind tatsächlich so ignorant, den Saal zu verlassen, nur weil ihr Lieblingsstar nicht auftritt. Ein respektloses Verhalten gegenüber den anderen Künstlern, die mit enormem Aufwand und Herzblut den Abend stemmen werden. Was dann folgt, sollte auch rasch in der Schublade, betitelt „fehlende Kinderstube“, verschwinden und hoffentlich keiner Wiederholung unterliegen. Dutzende von „Fans“ rennen teilweise mit Ellbogeneinsatz wild durcheinander, um die nun frei gewordenen Plätze weiter vorne zu besetzen. Manch ein normaler Besucher, der etwas zu spät kam und zu seinem gebuchten und bezahlten Sitzplatz wollte, fand diesen besetzt vor von ungezogenen, dreisten Leuten, die nicht gewillt waren, diese Plätze dann zu räumen. Man konnte sich angesichts dieser Situation nur noch fremdschämen!
Doch nun zum erfreulichen, sogar höchst erfreulichen und beglückenden Verlauf des Konzertabends. Es gibt ja im Leben manchmal widrige Umstände, die nur mittels hochgradiger Adrenalinschübe sämtliche Kräfte mobilisieren können, und damit, unter großem Druck, das Beste aus einem herausholen können. Und genau so geschah es an diesem Samstagabend in der Filharmonie. Binnen weniger Stunden an diesem Tag mussten die drei Künstler Jan Ammann, Nicole Mühle und Michaela Schober aus den ursprünglichen 32 Titeln ein zum Großteil völlig neues Programm aus dem Hut zaubern. Duette, die mit Jan Ammann und Kevin Tarte wochenlang einstudiert worden waren, wurden nun zum Terzett umgestaltet oder Jan Ammann sang sie alleine, völlig neue Titel wurden ins Programm genommen. Dies alles mit pochenden, nervösen Herzen, aber auch der im Hintergrund bestehenden Gewissheit, dass die drei Sänger Meister ihres Handwerks sind, absolute Profis eben, was eindrucksvoll unter Beweis gestellt wurde.
Marina Komissartchik am Flügel brachte sogar das Kunststück zustande, einige der Titel komplett ohne Noten (die auf die Schnelle nicht mehr beigebracht werden konnten), sondern rein aus dem Gedächtnis, dank ihrer phänomenalen Musikalität und Professionalität, zu spielen. Man kann nur noch staunen!
Zu Beginn betritt Jan Ammann die Bühne, mit warmem Beifall willkommen geheissen. Mit entwaffnendem jungenhaften Charme, Offenheit und Humor demonstriert er, wie sehr er seinen Bühnenpartner Kevin vermisst, und wie groß seine Angst ist, das alles heute abend gut hinzubekommen. Go for it, Jan, ich habe nicht den allergeringsten Zweifel, dass er, unterstützt von den beiden Powerfrauen Nicole Mühle und Michaela Schober, diese Herausforderung großartig meistern wird.
Bereits beim Opener Who will love me as I am wird klar, wie wundervoll diese drei so unterschiedlichen Stimmen in Harmonie verschmelzen und einen Zauber auslösen, der den ganzen Abend trägt.
Die beiden Ladies könnten unterschiedlicher nicht sein – nicht nur von der Optik her (die eine groß und blond, mit beeindruckenden Roben ausstaffiert, die andere klein und dunkelhaarig und im schlichten schwarzen Hosenanzug) – sondern insbesondere von der Performance her. Doch gerade diese Unterschiedlichkeit hat ihren ganz besonderen Reiz.
Nicole Mühle, ausgebildeter Opern-Sopran, beherrscht die großen dramatischen Diva-Gesten und macht davon reichlich Gebrauch – doch es passt auch zu ihr und den Arien, die sie vorträgt. Sei es der Whitney Houston Titel The Greatest Love of all, der Titelsong aus „Love never dies“ oder die „Evita“-Arie Don’t cry for me Argentina, es ist großes Kino, was hier geboten wird. Manchmal klingt ihr Englisch etwas gestelzt, und die Evita-Arie hätte man auch gern auf deutsch gehört, aber das sind nur Marginalien.
Michaela Schober hingegen setzt einzig und allein auf ihre beeindruckende Stimme, ein warmer, sehr ausdrucksvoller Mezzosopran. Nur unterstützt von entsprechender Mimik trägt sie ihre Lieder vor, doch gerade durch diese reduzierte Performance ist man umso mehr gefangen und lauscht ergriffen. Ganz besonders gut gelingt dies bei Dir gehört mein Herz aus „Tarzan“ und Ich kam und sah sie aus „Miss Saigon“. Als sie You raise me up anstimmt, stockt vielen der Kevin Tarte Fans erstmal der Atem, denn diese Hymne verbinden sie untrennbar mit ihrem Hero. Doch ohne Zweifel berührt Michaela Schobers Interpretation dieses Titels sehr!
Besonders intensiv performen die beiden Ladies den „Les Misérables“ Gänsehaut-Titel Ich hab geträumt – die doppelten Fantine’s lassen das ein oder andere Tränchen im Publikum kullern.
Jan Ammann, tja, was soll man zu seiner Leistung noch sagen. Im Vollbesitz seiner gesanglichen Kräfte bringt er mit seinem ausdrucksstarken, bombensicheren Bariton die Wände der Filharmonie zum Wackeln. Doch er kann nicht nur schmettern, dass einem schier schwindlig wird, er beherrscht auch die leisen, zarten Töne. Ganz besonders zu Herzen gehend geschieht dies in den Terzetten mit den beiden Ladies bei The Rose und Hallelujah, man muss schon schwer schlucken dabei.
Dass er als Krolock wieder komplett abräumt und das Publikum schon bei den ersten drei Tastenanschlägen von Marina Komissartchik des in- und auswendig bekannten Vampir-Melodienbogens komplett ausflippt, ist man mittlerweile schon gewohnt. Doch bekommt man natürlich davon niemals je genug, ganz klar. Bei der Totalen Finsternis hypnotisiert er Sarah-Michaela während des ganzen Songs hindurch, ehe er zum lauten Gejubel des darauf bereits schon hinbibbernden Auditoriums dann höchst genüsslich erst seine Dritten reinschiebt und mit diesen sodann in epischer Breite den unschuldig dargebotenen Hals seines Mitternachtssnacks bearbeitet. Zu seiner Unstillbaren Gier sind längst sämtliche Superlative aufgebraucht: einfach zurücklehnen, genießen und schnappatmen!
Weitere Höhepunkte im Programm sind unbestritten die „Phantom der Oper / Love never dies“ Blöcke und die beiden Wildhorn Bombast-Titel aus „Der Graf von Monte Christo“. Für beide Musical-Hauptrollen gibt es keine bessere Empfehlung als das, was uns vom Künstler an diesem Abend geboten wird – er ist einfach hochgradig prädestiniert für diese beiden Rollen und man kann davon ausgehen, dass Musical-Produzenten im deutschsprachigen Raum bei der Besetzung dieser Rollen nicht an ihm vorbeikommen werden. Beim Titelsong des Phantoms hört man schon deutlich wieder die klassische Stimmlage heraus, großartig! Und dass er sich bei Till I hear you sing etwas im Text vergaloppiert, ist alles andere als tragisch, sorgen doch die Melodienführung dieser Arie und die unvergleichlich gehaltenen Schlusstöne für verschärfte Drängelei sämtlicher aufgestellter Härchen.
Nicht unerwähnt bleiben sollen die berührenden Crossover-Balladen. I remember L.A., ein seinerzeit durch Celine Dion bekannt gewordener Titel, trifft den persönlichen Nerv des Sängers, der einige Jahre in der City of Angels gelebt hat. Und nicht weniger persönlich immer wieder der Konstantin Wecker Titel Das ganze schrecklich schöne Leben, was zum Ende hin einige kullernde Tränchen beim Interpreten auslöst – Kindheitserinnerungen sind nunmal prägend und gehen nahe.
Als Zugabe nimmt uns der Sänger wieder einmal mit auf die amüsante Reise des Textmonsters Sänger sein – und wie nicht anders erwartet und direkt schon herbeigesehnt, kommen wir auch diesmal wieder in den Genuss völlig neuer Berufsbilder, als da zum Beispiel der „Unterhosen-Wieger“ aufschlägt – ein Job mit Zukunftsperspektiven? Why not :-))) Dass der ehemalige Klassenkollege Max nun sowohl ein cooler Gangster als auch Bänker ist, entbehrt nicht einer gewissen Komik und darf getrost als überaus aktuell zutreffend gelten!
Das großartige – in dieser Form völlig unerwartete – Konzert beschließt die Kombi aus dem passenden That’s what Friends are for mit dem wunderbaren Chaplin-Song Smile der drei Sangesfreunde.
Danke für diesen überwältigenden Abend! Bitte mehr davon …
Als weitere Termine angesetzt für das „reguläre“ Gentlemen of Musical Konzertformat sind – mit einem dann hoffentlich wieder vollständig genesenen Kevin Tarte – der 26. und 27. April im Ebertbad Oberhausen.
(Silvia E. Loske, April 2013)
Songfolge:
Teil I | |
Who will love me as I am SIDE SHOW |
Jan Ammann / Nicole Mühle / Michaela Schober |
Dir gehört mein Herz TARZAN |
Michaela Schober |
The Greatest Love of all | Nicole Mühle |
Kein Kommen ohne gehn ELISABETH |
Jan Ammann |
Ich kam und sah sie MISS SAIGON |
Michaela Schober |
Stern LES MISÉRABLES |
Jan Ammann |
Ich hab geträumt LES MISÉRABLES |
Nicole Mühle / Michaela Schober |
The Rose | Jan Ammann / Nicole Mühle / Michaela Schober |
Gib auf Deine Seele acht | Jan Ammann |
You raise me up | Michaela Schober |
Das Phantom der Oper | Jan Ammann / Nicole Mühle |
Love Never Dies | Nicole Mühle |
Till I Hear You Sing LOVE NEVER DIES |
Jan Ammann |
Teil II |
|
Gott ist tot TANZ DER VAMPIRE |
Jan Ammann |
Einladung zum Ball / Totale Finsternis TANZ DER VAMPIRE | Jan Ammann / Michaela Schober |
Die unstillbare Gier TANZ DER VAMPIRE |
Jan Ammann |
Erinnerung CATS |
Michaela Schober |
I Remember L.A. | Jan Ammann |
Don’t cry for me Argentina EVITA |
Nicole Mühle |
Der Mann, der ich einst war GRAF VON MONTE CRISTO |
Jan Ammann |
Niemals allein GRAF VON MONTE CRISTO |
Jan Ammann / Michaela Schober |
In Palästen geboren LUDWIG2 |
Jan Ammann / Nicole Mühle |
Geliebte Berge LUDWIG2 |
Jan Ammann |
Das ganze schrecklich schöne Leben | Jan Ammann |
Hallelujah | Jan Ammann / Nicole Mühle / Michaela Schober |
Zugaben | |
Sänger sein | Jan Ammann |
That’s what Friends are for / Smile | Jan Ammann / Nicole Mühle / Michaela Schober |