Ein neues Konzertformat der Kreativen-Schmiede Sound of Music Concerts hatte am 16. Februar Premiere in der Filharmonie Filderstadt.
In Anlehnung an das Konzept „Ich gehör nur mir – die Hits von Kunze & Levay“ führt dieses neue Konzertformat in die Musicalwelt des Autors Alain Boublil und des Komponisten Claude-Michel Schönberg. Die Musicals „Les Miserábles“ und „Miss Saigon“ sind die Blockbuster dieses Gespanns und daraus wurde einiges präsentiert, ebenso gab es noch Lieder aus den Musicals „The Pirate Queen“ und „Martin Guerre“ der beiden französischen Kreativen.
„Les Miserábles“, basierend auf dem Literatur-Weltbestseller von Victor Hugo (deutscher Titel: Die Elenden), hat den Freiheitskampf der französischen Studenten und das dramatische Leben des Jean Valjean zum Inhalt und genießt derzeit weltweiten Hype durch die bereits mit „Golden Globes“ ausgezeichnete und für acht „Oscar“-Kategorien nominierte Filmmusical-Fassung mit Starbesetzung. In die deutschen Kinos kommt der Film, mit gehöriger Verspätung im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, nun endlich am 21. Februar 2013.
1980 wurde das inhaltlich enorm dicht erzählte und mit unzähligen bombastischen Ensemblenummern und berührenden Balladen versehene Meisterwerk des französischen Kreativen-Duos in Paris uraufgeführt, kam dann mit einer überarbeiteten Inszenierung von Trevor Nunn und Cameron Mackintosh kurz darauf an das Londoner West End und auch an den Broadway und brach dort sämtliche Rekorde und wird weltweit vor ausverkauften Häusern gespielt. Erstaunlicherweise erreichte das Stück im deutschsprachigen Raum nicht einmal ansatzweise diesen Erfolg.
Marina Komissartchik am Flügel eröffnet mit dem Leitmotiv Look Down und begleitet im Folgenden einzelne Episoden des Stückes mit perfektem Underscoring und führt mit ihrem intensiven Spiel die Solisten und auch den großartigen, 35-köpfigen SoM-Choir unter der Leitung von Mario Stork zu fulminanten Leistungen.
Ein junges Paar (Annika Firley und Sascha Kurth) fungiert als Erzähler und erklärt die Zusammenhänge zwischen den Liedern. Die Fabrikarbeiterin Fantine (Carin Filipčić) trägt die berühmte Ballade Ich hab geträumt vor langer Zeit vor in welcher wir von ihrem unverschuldet aus den Fugen geratenen Leben erfahren, wie sie als junges Mädchen verführt und dann mit Kind sitzengelassen wurde.
Die Akteure Jean Valjean (Kevin Tarte) und sein ihn zeitlebens verbittert verfolgender Gegenspieler, Inspektor Javert (Jan Ammann) legen ihre konträren Motivationen offen. Jean Valjean berührt mit seiner emotional hinterfragenden Ballade Wer bin ich.
Javerts Arie Stern drückt uns ob der Ammann’schen Stimmgewalt in die Sitze, kalt, uneinsichtig und verbittert beschwört der Polizeiinspektor seine unnachgiebige Haltung dem ehemaligen Sträfling 24601 alias Jean Valjean gegenüber.
Dunkles Schweigen an den Tischen ist ein weiterer sehr bekannter Titel, den der junge Student Marius (Sascha Kurth) vorträgt. An seiner Seite erleben wir Cosette (Annika Firley), in die er sich auf den ersten Blick unsterblich verliebt, und Eponine (Kun Jing), die wiederum ihrerseits Marius liebt.
Nicht fehlen dürfen natürlich die beiden bombastischen Ensemble- und Chornummern Das Lied des Volkes und Morgen schon, dies sind Gänsehaut-erzeugende Momente.
Nach der dringend benötigten Pause, um sich wieder zu sammeln nach dem aufwühlenden ersten Teil, geht es jedoch nicht minder emotional weiter mit einigen Liedern des Musicals „Miss Saigon“, dessen Inhalt an Puccinis Oper „Madame Butterfly“ angelehnt ist, und in der Zeit des Vietnamkrieges spielt.
In Saigon lernt die junge Kim (Kun Jing) an ihrem ersten Abend als Barmädchen und Prostituierte den GI Chris (Jan Ammann) kennen, der in diesem Etablissement mit seinem Freund John (Kevin Tarte) einen seiner letzten Abende in Asien verbringt. Entgegen aller seiner Erwartungen verliebt sich Chris in die anmutige, unschuldige Kim. In seiner zerrissenen Arie Mein Gott versucht er zu verstehen, warum ihn gerade jetzt, da das amerikanische Militär schnell das Land verlassen muss, die Liebe zu einer Einheimischen wie der Blitz trifft.
Die beiden bittersüßen Liebesduette des jungen Paares, Sonne und Mond sowie Die letzte Nacht der Welt lassen zwischen den Zeilen schon erahnen, dass dieser Liebe kein Happy End beschert ist.
Einige Jahre später. Kim erträumt für ihren kleinen Sohn eine bessere Welt, Ich gäb mein Leben her für Dich, sie hofft immer noch, dass Chris zu ihr zurückkommt.
Die Lyrics der Hymne Bui Doi, gesungen von John, vermitteln das Schicksal der überall auf Verachtung stoßenden Mischlingskinder, die aus Verbindungen zwischen GI’s und Vietnamesinnen entstanden sind, eine sehr eindringliche Nummer. Kim erkennt, dass in Chris’ Leben kein Platz für sie mehr ist, und sorgt mit ihrem Selbstmord dafür, dass Chris und Ellen sich ihres Sohnes annehmen und ihm eine gesicherte Zukunft in Amerika ermöglichen.
Anschließend folgt ein kleiner Block aus Liedern der beiden weniger bekannten Boublil/Schönberg Stücke „Martin Guerre“ und „The Pirate Queen“. Besonders heraus ragt dabei das wunderschöne Duett This is the Morning, stimmgewaltig präsentiert von Jan Ammann und Kevin Tarte. Den Abschluss des Konzerts bildet die Ensemblenummer Bethlehem.
Die Darsteller:
Jan Ammann: Seine Interpretation des sinistren Polizeiinspektors Javert scheint ihm auf den Leib geschneidert. Mit beeindruckend volltönendem Bariton genau die richtige klassische Stimmlage des Künstlers treffend, überzeugt er darüber hinaus auch in seiner Bühnenpräsenz des verhärteten, unnachgiebigen Inspektor Javert mit wie in Stein gemeisseltem Blick. Als einzige, kleine Optimierung fehlt mir nur noch in der Haltung etwas: Der streng hinter dem Rücken gehaltene Arm, diese Position verbindet man stets mit Javert.
Als GI Chris berührt Jan Ammann als anfangs verunsichert-unbedarfter Verliebter und weiß im Verlauf als traumatisierter, hin- und hergerissener ehemaliger Soldat durch seine enorme Bühnenpräsenz zu fesseln. Auch diese Rolle scheint wie für ihn gemacht. Sehr schade, dass „Miss Saigon“ in Deutschland nicht mehr aufgeführt wird.
Kleines Schmunzeln am Rande: Während Inspektor Javert noch einen Bart trägt, was ja auch zur Rolle passt, ist diese Gesichtsbehaarung plötzlich gänzlich verschwunden, als der Künstler in der Rolle des Chris wieder die Bühne betritt. Das nenne ich mal Dienst am Zuschauer, dass sogar in der Pause rasiert wird!
Kevin Tarte: Die Arien des Jean Valjean sind für jeden Musicaldarsteller eine große Herausforderung, der zu stellen es Mut und guter Vorbereitung bedarf. Kevin Tarte meistert diese Herausforderung mit viel Herzblut, schönem Tenor und leidenschaftlicher Darstellung. Lediglich bei Bring ihn heim setzt er bereits zu Beginn zu hoch an, was dann zu leichten Problemen im Verlauf der schwierigen Arie führt.
Als John in „Miss Saigon“ nimmt man ihm den durch seine Aufgabe geläuterten Freund Chris’ mit jeder Faser ab. Mit der Hymne Bui Doi setzt er ein gewaltiges Ausrufezeichen, das war wirklich grandios. Leichte Textschwierigkeiten (übrigens auch bei Jan Ammann) fallen nicht sonderlich ins Gewicht.
Carin Filipčić: Es ist immer eine große Freude, die vielseitige Künstlerin live on stage zu erleben. Präzise wie ein Uhrwerk ist sie in der Lage, stets das Optimum ihrer Leistung an wunderbarem Stimmumfang und großer Darstellkunst abzurufen. Sehr berührend und in jeder Sekunde glaubhaft ihre Fantine, ihr Ich hab geträumt vor langer Zeit ist definitiv ein Highlight des an gesanglichen Höhepunkten reichen Abends. Beeindruckend ihre Interpretation der Ellen in „Miss Saigon“. Sehr facettenreich, konfrontiert mit der Vergangenheit ihres Mannes zeigt sie Stärke und Haltung, doch auch Kampfeswillen. Großes Kino!
Kun Jing: DIE Entdeckung des Abends! Die sympathische Künstlerin verzaubert uns bereits im ersten Akt als Eponine in LesMis mit einem zu Tränen rührenden, bar jeden Kitsches vorgetragenen Nur für mich.
Dass sie die Kim bereits in der Musicalproduktion von „Miss Saigon“ in Klagenfurt gespielt hat, merkt man. Mit traumwandlerischer Sicherheit meistert sie ihre gesanglichen Parts und rührt mit anmutiger, authentischer Darstellung. Von dieser Künstlerin möchte man künftig bitte mehr sehen und hören.
Sascha Kurth: Einen großen Schritt im künstlerischen Reifeprozess hat offensichtlich Sascha Kurth vollzogen. Gefiel er bereits ausnehmend gut in den Konzertformaten „Ich gehör nur mir“ und der „Lampenfieber“-Tour von Jan Ammann, so liefert er nun in seinem Part als Marius eine sehr, sehr gute Leistung ab. Man hört ihm einfach unglaublich gern zu, und mit seiner Interpretation bringt er Frische und Ehrlichkeit auf die Bühne.
Mit I’ll be there aus „The Pirate Queen“ gehört ihm noch ein schönes Solo und zusammen mit seiner jungen Kollegin Annika Firley bildet er ein harmonisches Duett mit When will someone hear aus „Martin Guerre“.
Annika Firley: Ebenso wie ihr Kollege Sascha Kurth war auch Annika Firley bereits beim Konzertvorgängerformat „Ich gehör nur mir“ dabei. Und sie rechtfertigt ihre erneute Besetzung nun bei „One Day More“ durch eine prima Leistung. Sie nimmt als Cosette bei LesMis durch Natürlichkeit und Liebreiz für sich ein, das Liebespaar Cosette und Marius rührt an.
In „Miss Saigon“ erleben wir sie gleich mit der ersten Nummer Mein Märchentraum vom Glück als desillusioniertes leichtes Mädchen. Kleinere Schwierigkeiten in den Höhen sind nicht tragisch, der Titel als Ganzes überzeugt.
Andreas Robitzky: Einen kleinen, aber sehr feinen Auftritt hat der Sänger des SoM-Choirs mit seiner solistischen Nummer als Enjolras bei LesMis.
Marina Komissartchik: Tja, was gibt es noch zu sagen über die First Lady an den Tasten, was nicht schon X-mal gesagt wurde… sie schafft es immer wieder, dass man ehrfürchtig verblüfft ist über ihr virtuoses, leidenschaftliches Spiel. Ein ganzes Orchester steckt in ihrem Anschlag, wir ziehen den Hut!
Der SoM-Choir: Sehr gut, volltönend, überzeugt der 35-köpfige Chor. Dank an Mario Stork für die gute Einstudierung.
Licht, Ton: Die Beleuchtung wie immer bei SoM Konzerten ohne Tadel. Im Gegensatz dazu der Ton – größere Mikrofonproblematiken gleich zu Anfang des ersten Aktes, ungleich aufgeschaltete Mikros und manchmal Übersteuerung trübten den Hörgenuss.
Fazit: Dieses Konzertformat ist keine leichte Kost, sondern fernab gängigen Mainstreams höchst anspruchsvoller Hör- und Erlebensgenuss. Aber gerade das macht den Reiz aus. Wenn es Darstellern bereits bei den ersten Nummern gelingt, einen mittenhinein in die dramatischen Geschichten der Boublil/Schönberg Werke zu ziehen, so dass man nahezu atemlos das Geschehen auf der Bühne verfolgt, mitleidet, mitweint, dann ist das der größte Lohn, den Regie und Darsteller überhaupt einfahren können. Und genau das ist passiert, wenn man sich einlässt auf das, was einem da geboten wird. Natürlich ist es, wie stets vor dem Besuch einem möglicherweise noch nicht so bekannter Werke angeraten, sich im Vorfeld zu informieren, Wikipedia und Youtube bieten genügend Möglichkeiten hierzu. Solchermassen gerüstet und vorbereitet für die noch nicht so Kundigen und natürlich auch für die Fans der Melodien aus den genannten Musicals bietet das Konzert uneingeschränkten Genuss.
Ein weiteres Konzert dieser Reihe ist in Wien am 18. März 2013 im Theater Akzent angesetzt. Wenige Resttickets sind noch verfügbar – zugreifen!
(Silvia E. Loske), Februar 2013
Credits: Stephan Drewianka und Musical Reviews