ROCKY – das Musical – Fight from the Heart
Preview am Freitag, 16.11.2012 Operettenhaus Hamburg
Um ganz ehrlich zu sein: Als ich zum ersten Mal davon hörte, dass der Film „Rocky“ zu einem Musical gemacht werden soll, konnte ich vor Ungläubigkeit – um nicht zu sagen vor Entsetzen – nur den Kopf schütteln. Wie sollte DAS gehen? Ein singender Boxer bzw. ein boxender Sänger im Ring, schweißgebadet mit geschwollenen Augen und blutüberströmt? Waren die Macher denn von Sinnen? Doch je länger ich darüber nachdachte und nachdem ich mir den Film aus dem Jahr 1976 noch einmal angeschaut hatte, dämmerte mir, dass die Story eigentlich perfekt für ein Bühnenstück geeignet war: Das Boxen selbst ist im Film fast nur ein Aufhänger, eine Art Nebenkriegsschauplatz. Die eigentliche Handlung ist die Geschichte eines Underdogs, eines immer zu kurz gekommenen, etwas naiven aber auch tapferen, aufrichtigen und gefühlvollen Mannes in seinen späten Zwanzigern. Ein Mann aus der „Gosse“, der es schafft, durch Ehrgeiz, Ehrlichkeit – und zugegeben – auch durch etwas Glück, sich nach oben zu kämpfen und zudem noch die Liebe seines Lebens zu erobern. Er verwirklicht den „American Dream“! Ein riesiger Überraschungserfolg als Film damals – aber würde es auch auf der Musicalbühne funktionieren? Ich war sehr neugierig – und ich muss konstatieren: Ja, es funktioniert!
Mit Spannung saß ich im Operettenhaus auf der Reeperbahn und schaute auf die großen Lettern, die auf dem eisernen Theatervorhang prangten:
R – O – C – K – Y
Wie im Film wird auch hier von Anfang an nicht gekleckert, sondern geklotzt. Mit der berühmten Rocky-Fanfare Gonna fly now beginnt die Show und schon ist man mittendrin in einem Boxkampf. Der Zuschauer merkt sehr schnell: Hier sind echte Profis am Werk– beeindruckendes Bühnenbild mit viel Liebe zum Detail, brillante Choreographie, exaktes Timing – ein erstes Ensemble-Stück, welches einen sofort in die schäbige, schweißgetränkte Welt eines drittklassigen Box-Clubs im Philadelphia der 70er Jahre zieht. Und mittendrin Rocky, wie er leibt und lebt. Es wuselt auf der Bühne und man fragt sich, ob es zu Beginn nicht fast ein bisschen zu hektisch zugeht, doch dann wird es ruhiger in der nächsten Szene und „Rocky“ stellt sich vor: In seiner kleinen, heruntergekommenen Wohnung mit dem anrührenden Stück Die Nase hält noch. Zugegeben, ein merkwürdiger Titel für einen Song, aber der Kontext „macht die Musik“. Rocky erklärt uns in diesem Song, dass er zwar genau weiß, dass er das Leben eines „Nobody“ führt, aber er noch einen letzten kleinen Rest an Stolz besitzt, der sich unter anderem darin manifestiert, dass seine Nase auch nach diversen Kämpfen noch nicht einmal gebrochen wurde. Die ungebrochene Nase als Symbol seiner eigenen Ungebrochenheit. Doch Rocky spürt, dass seine kleine Existenz ins Wanken gerät, als ihm sein Box-Spind und damit seine „Daseinsberechtigung“ in seinem Boxstall genommen wird. Inhaltlich sehr eng am Film gehalten, ja passagenweise wortwörtlich übernommen, zieht das Musical seine Bahnen. Im Tierladen lernen wir die überaus schüchterne Adrian und ihre Freundinnen kennen, die einen fröhlich angehauchten Seventies-Funk auf die Bretter zaubern. Überhaupt fühlt man sich an mehreren Stellen des Musicals an Sounds à la „Saturday Night Fever“, „Hair“ oder an die Titelmusik der „Straßen von San Francisco“ erinnert. Dieses 70er Jahre Ambiente wird herrlich durch entsprechende Outfits unterstrichen, vom wilden Afro-Look bis hin zu Glitzer-Glamour-Kleidchen, Schlaghosen und viel zu engen Rollkragen-Pullis.
Adrian beschenkt den Zuschauer mit einem wunderschön-traurigen Song mit dem Titel Wenn es weiter regnet, in dem einige Hintergründe ihres unterdrückten noch-nicht-gelebten Lebens erklärt werden, die man so im Film nicht unbedingt erfährt. Man merkt, die Musik ist das Medium, das im Film fehlt, um tiefere Gedanken und Gefühle auszudrücken und zu transportieren.
Ich gebe zu: Hätte nicht Drew Sarich die Hauptrolle des „Rocky“ in diesem Musical ergattert, wer weiß, ob ich so schnell nach Hamburg gereist wäre, um mir das Stück so früh, noch im Preview-Stadium, anzuschauen. Aber der Name Drew Sarich bürgt für Qualität. Der amerikanische Singer und Songwriter, der schon seit über zehn Jahren auf den internationalen Bühnen und im deutschsprachigen Raum gastiert und Wien sein Zuhause nennt, hat schon in vielen großen Musicalhauptrollen überzeugt. Sämtliche Rollen verkörpert Sarich mit einer solchen Hingabe, mit einer solchen Souveränität und einem derartigen Charisma, dass es mich nicht verwunderte, ihn als „Rocky“ wiederzusehen. Nicht nur, dass er dem jungen Rocky alias Sylvester Stallone zum Verwechseln ähnlich sieht, nein, er teilt mit ihm auch diesen melancholisch-treuen Blick, dem die meisten Frauen wohl kaum widerstehen können. Schon aus den ersten vorab veröffentlichten Fotos und Videos wurde schnell klar: Drew Sarich ist der passende Mann für die Rolle. Er schafft es mit Leichtigkeit, den „American-Street-Sound“ authentisch unter die Leute zu bringen.
Drew Sarich spielt seine Rolle des verkannten, oder doch nicht ausreichend talentierten (?) Rocky, der das Herz am rechten Fleck hat, sensationell. Störte mich anfangs noch ein wenig die etwas stumpfe Art zu reden, mit der Sarich versucht, das beschränkt-naive und leicht abgehalfterte Wesen des Rocky rüberzubringen, so merkt man schnell, was für eine außerordentliche Leistung es ist, dies ein ganzes Stück lang gleichbleibend gut durchzuhalten, gepaart mit einer unvergleichlichen Lässigkeit und Coolness. Die Art, mit der er Adrian sensibel aus ihrem Schneckenhaus herauslockt, der unbeholfene Thanksgiving-Besuch oder das Schlittschuh-Nebenher-Laufen – bei Sarichs’ Spiel kam mir eine Wortkombination in den Sinn, die ich so zuvor noch nie benutzt habe: Er besitzt eine künstlerische bzw. schauspielerische Empathie. Man nimmt ihm diese Rolle mehr als ab – Sarich IST Rocky!
Einen kleinen Wermutstropfen hab ich allerdings dann doch entdeckt: So teilweise beschwingt und funky die Lieder in „Rocky“ auch sind, Sarichs’ klare Musicalstimme, die vor allem bei langen und (sehr) hohen Tönen optimal zur Geltung kommt, hört man in diesem Stück leider eher selten. Seine Lieder bewegen sich überwiegend im tieferen, rockigeren Bereich und meiden längere „Musical-Töne“. Doch man darf natürlich nicht vergessen, die Lebenswelt des Rocky Balboa ist rau, die Gangs und Gangster der Schmuddel-Ecken Philadelphias bestimmen seine Welt, da wären wohl derartige „wohlsituierte Klänge“ fehl am Platz.
Seine „Adrian“ – gespielt von Wietske van Tongeren – ist nicht minder optimal besetzt. Wietske spielt die äußerst schüchterne Adrian beeindruckend einfühlsam. Jedes erschrockene Zusammenzucken, jede Geste und Mimik der Verlegenheit und Überforderung wirkt glaubhaft. Der Zuschauer wird mitgenommen auf Adrians Verwandlung vom hässlichen, unsicheren Entlein zum selbstbewussten Schwan. Die Annäherungsszene zwischen Rocky und Adrian in seiner Wohnung ist zunächst anrührend unbeholfen und steigert sich jedoch zu einem romantischen Höhepunkt, der entsprechend untermalt wird durch den kurzen, sanften Song Adrian. Die Stimmen der beiden Hauptdarsteller harmonieren perfekt miteinander. Wietskes klarer Sopran kommt aber natürlich auch sehr schön in ihren Solopassagen zur Geltung, wie zum Beispiel bei ihrer „Abrechnung“ mit ihrem Bruder Paulie (Patrick Imhof), die sie sehr eindringlich mit dem Lied Vorbei präsentiert.
Die zwei letzten großen Songs vor der Pause widmen sich dem überraschenden Wandel in Rockys Leben. Fight from the Heart ist ein eingängiger, kraftvoller Song, in dem Rocky sich über seine neue Rolle als Herausforderer des Champions und als möglicher Aufsteiger klarwerden muss – und ob er die Rolle des „Clowns“, zu dem das Apollo-Management ihn offensichtlich machen will – überhaupt annehmen soll. Dieser Mann, ein schwungvolles Ensemble-Stück mit Rocky-Einwürfen, läutet dann Vorfreude-kreierend das Ende des ersten Akts ein.
Der zweite Akt beleuchtet zunächst das nicht einfache Verhältnis zwischen Rocky und seinem langjährigen Trainer und Kritiker Mickey (Uwe Dreves), bevor es dann in zügigen Schritten auf das große Finale, den Weltmeisterschaftskampf, zugeht. Zuvor erleben wir jedoch noch Szenen des jungen Glücks, Adrian und Rocky, wie sie frisch verliebt ihre Liebe ausleben. Beim gemeinsamen Schmücken des Weihnachtsbaums erklingt der Song Wahres Glück, ein gefühlvolles Duett. Ja, die romantische Ader kommt in diesem Musical wahrlich nicht zu kurz, auch nicht der Humor. Immer wieder fallen Sprüche, die einen zum Lachen und Schmunzeln bringen. Aber auch die Knochenbrecher, zwielichtigen Typen und harten Kerle haben ihren Platz in diesem Stück, zusammen mit ihren entsprechenden Power-Songs. „Apollo Creed“, Rockys übermächtiger Finalkampfgegner, überzeugend dargestellt von Terence Archie, besticht durch kräftige Angeber-und Kampfparolen-Songs, die zum Ende des Stücks hin entsprechend von Rocky gekontert werden. So steigert sich das Musical zusehends vom ersten in den zweiten Akt, um dann am Ende in einem furiosen Boxkampfinale regelrecht zu explodieren.
Wie schon in der Vorberichterstattung zum Stück erwähnt, ist am Ende für die Zuschauer ein besonderes Bonbon erdacht worden: Der mobile Boxring, der in die Zuschauerränge hineingeschoben wird, nachdem die Gäste der ersten Reihen zuvor gebeten wurden, auf speziellen „Boxarenen-Publikums-Plätzen“ auf der Bühne hinter dem Ring Platz zu nehmen. Und das Ende ist dann auch tatsächlich fulminant: In perfekt abgestimmter Choreographie, mit Licht- und Soundeffekten höchst effektvoll untermalt, kämpft sich Rocky regelrecht um Kopf und Kragen. Es sprüht der Schweiß, es fließt das Theater-Blut, in heißer Echt-Zeit und Spotlight-Zeitlupe fliegen die Fäuste, bis am Ende das von allen erwartete und erhoffte „Adriaaaaaan“ und „Rockyyyyyy“ erklingt!
Fazit: Man muss sich zu Beginn erst ein bisschen hineinfinden in das zunächst vermeintlich sperrige Musical-Thema, sowohl inhaltlich als auch musikalisch gesehen. „Rocky“ kommt anfangs fast eher wie ein solides Theaterstück, gepaart mit Musik, daher. Die Partitur jedoch dürfte – im Vergleich zu dem stimmigen Bühnenbild und den herausragenden Hauptdarstellern – ein kleiner Schwachpunkt des Stücks sein. Mit Ausnahme der bereits seit langem hinlänglich bekannten Hymnen Gonna fly now und Eye of the Tiger blieb mir zunächst doch recht wenig von den neu hinzukomponierten Songs im Ohr hängen. In diesem Gefühl verließ ich zumindest das Theater. Ich wurde inzwischen jedoch eines Besseren belehrt: Denn hört man sich die CD nach dem Musicalbesuch an und hat die entsprechenden Szenen vor seinem inneren Auge, merkt man so langsam, dass es sich bei dem ein oder anderen Song doch um (zunächst verborgene) Perlen handelt.
An der Phonetik einiger Neben- und Ensemblerollen sollte allerdings noch gearbeitet werden, denn ein Großteil der Darsteller kommt nicht aus dem deutschsprachigen Raum und das merkt man manch einem der Darsteller doch sehr deutlich an. So war es an einzelnen Stellen etwas schwierig, wirklich jedes Wort zu verstehen.
Viele sagen diesem Musical einen großen Erfolg voraus – und ich denke, sie werden Recht behalten. „Rocky“ ist ein Musical der etwas anderen Art, um nicht zu sagen, der ganz anderen Art. Musik, Kulissen, Darsteller, alles ist etwas dirty, rough and tough. Es mag vielleicht nicht jedermanns bzw. jederfraus Sache sein. Zumindest nicht sofort. Auch ich habe das Gefühl, dieses Stück mindestens noch ein oder zwei Mal ansehen zu müssen, um wirklich alles erfassen zu können. Man gewinnt auf jeden Fall schnell den Eindruck, dass sich vom Flair dieses neuen Musicals nicht nur die überwiegend weiblichen Musicalfans angesprochen fühlen, sondern auch Männer, und selbst ganz hartgesottene Jungs weich werden, wenn Rocky seine Adrian kriegt. Wie sagte doch mein männlicher Sitznachbar voller Überschwang nach dem Schlusston zu mir: „Ich war schon als Jugendlicher Rocky-Fan und habe auch selbst eine Zeit lang geboxt – doch dass ich das mal als Musical erleben darf – Begeisterung pur!“
Also Mädels, aufgepasst – es könnte durchaus sein, dass „Rocky“ Eure Musical-müden Männer wieder munter macht!
(Helena Bond, November 2012)
Stage Entertainment in Kooperation mit Sylvester Stallone und Vitali & Wladimir Klitschko (Associated Producers), Stage TUI Operettenhaus Hamburg
Buch | Thomas Meehan |
Musik | Stephen Flaherty |
Lyrics | Lynn Ahrens |
Inszenierung und Regie | Alex Timbers |
Musikalische Leitung | Bernhard Volk |
Choreographie | Kelly Devine |
Fight Choreographer | Steven Hoggett |
Bühnenbild | Chris Barreca |
Kostüme | David Zinn |
Produzenten: | |
Executive Producer | Kevin King Templeton |
Creative Producer | Barbara Darwell |
Executive Producers | Kerstin Schnitzler
Joop van den Ende Johannes Mock O’Hara |
Besetzung 16. November 2012 (Preview) 19.00 Uhr |
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Rocky Balboa | Drew Sarich |
Adrian | Wietske van Tongeren |
Apollo Creed | Terence Archie |
Gloria | Alex Avenell |
Paulie | Patrick Imhof |
Mickey | Uwe Dreves |
Gazzo/Jimmy Michaels | Robin Brosch |
Jergens/Tommy Crosetti | Frank Logemann |
Apollos Manager | Christopher Hayes Hemmans |
Buddy/Doktor | Mickey Petersson |
Wachmann/Mike/Bob Dunphy | Stefan Leonard |
Wisotzky/Announcer | Jogi Kaiser |
Red Brady | Alex Brugnara |
Dipper/Apollo Cornermann | Darryll Smith |
Boxer | Alessandro Cococcia |
Boxer/Rocky Cornermann | Francisco del Solar |
Boxer/Promoter/Ringrichter | Vladimir Hub |
Boxer | Ricky Watson |
Boxer | Fernando Spengler |
Angie | Franziska Lessing |
Joanne | Juliane Dreyer |
Linda McKenna/Apollo Girl | Denise Obedekah |
Apollo Girl | Kisha Howard |
Apollo Girl | Dörte Niedermeier |