Foto: Vereinigte Bühnen Wien
Auch 20 Jahre nach der Welturaufführung tanzen immer noch alle mit dem Tod, doch niemand wie: ELISABETH!
Kalt lässt dieses Stück niemanden. Daher verwundert es auch nicht weiter, dass seit der Bekanntgabe der Spielzeit anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des weltweit erfolgreichsten deutschsprachigen Musicals mit mittlerweile knapp neun Millionen Besuchern aus der Feder von Sylvester Levay (Partitur) und Michael Kunze (Libretto und Liedtexte) die gegensätzlichsten Erwartungen und Emotionen hoch kochten: Diese rangierten von massiver Vorfreude, sentimentaler „früher war ja eh alles besser“-Haltung über zurückhaltende Skepsis bis hin zur unfairen Stimmungsmache, als der Cast vorgestellt wurde.
Auf die – naheliegende – Idee, erst einmal die neue Inszenierung anzuschauen und dann darüber zu befinden, ob es gefällt oder nicht, kamen wieder einmal die Wenigsten.
Soviel vorab: Nach den begeisterten Reaktionen des Publikums – letzteres bestückt mit sehr zahlreich anwesenden Darstellerkollegen und Kreativen der Szene – bereits während der Show mit lautstarkem Jubel und Bravorufen zu urteilen, wird die Inszenierung ein Hit für die Vereinigten Bühnen Wien. Ganz egal, was bestimmte Kritiker oder sich in diversen Blogs hochschaukelnde Stimmungsmacher dagegen haben wollen. Möglicherweise gibt es hier eine Duplizität der Ereignisse zur Welturaufführungspremiere vom 3. September 1992. Wie schwer sich da viele angebliche Fachleute vergaloppiert haben in ihrem Verriss, ist noch ziemlich frisch in Erinnerung.
Ehrlich gesagt, hätte aktuell alles andere als ein Riesenerfolg auch sehr verwundert. Denn dieses Meisterwerk, das pünktlich zum Jubiläum wieder nach Wien heimkommt, in den Sand zu setzen, ist schon aufgrund des erneuten Einsatzes des bereits damals erfolgreichen Kreativteams und der neuen, frischen (die drei Hauptrollen hatten sich bereits in der vorangegangenen Tournee aufs Beste bewährt) Cast fast nicht möglich. Never Change a Winning Team – alles richtig gemacht, VBW!
Das Raimund Theater mit seinen guten bühnentechnischen Möglichkeiten ist ein würdiger Nachfolger des Theaters an der Wien für die rastlose österreichische Kaiserin und ihre Zeitgenossen, die bekanntlich nicht zur Ruhe kommen. Hans Schavernoch nutzt die Räume geschickt für einen Mix aus einerseits bombastischen Bühnenelementen wie die – hurra, da ist sie wieder! – verrottete riesige Kutsche des Todes, den mächtigen Habsburger Doppeladler und die unverzichtbare Feile, auf welcher der Tod und auch Lucheni in schwindelerregender Höhe herumturnen, und andererseits aufwendigen Projektionen und Prospekten. Die große Drehbühne inklusive einiger Hubpodien wird vielfältig eingesetzt, beim Prolog fahren auf ihr aus dem Unterboden die Schatten der Vergangenheit aus dem Totenreich nach oben, zwei große runde Podien fahren hoch und bilden das kaiserliche Audienzzimmer, bei der Totenklage sinkt die vor Schmerz gebrochene Elisabeth zusammen und blickt nach unten in die Kapuzinergruft auf ihren toten Sohn Rudolf, und an Deck der sinkenden Welt rotiert ein riesiges Quadrat, knickt mittig ein, so dass die Darsteller wie hilflose Puppen in den Abgrund rutschen, während oben auf der Feile höhnisch der Tod seine Elisabeth für sich reklamiert. Dies alles sind sehr starke, sich auf der Gehirnfestplatte einbrennende Bilder. Doch nicht weniger anrührend sind die Sequenzen, in denen ganz darstellerbezogen auf jegliches Drumherum verzichtet wird und man pur eintaucht in Stimmen, Mimik, Gestik.
Effektvoll unterstützt wird das Bühnenbild durch das in jeder Szene optimal-raffinierte Lichtdesign (Hans Toelstede), vielfach sehen wir blaugrüne, düstere Farbgebungen. An der klanglichen Aussteuerung (Thomas Strebel) gibt es nichts zu mäkeln, alles stimmig, sehr gute Textverständlichkeit.
Das Kostümdesign liegt wieder in den Händen von Yan Tax und er sorgt dafür, dass das Auge in aufwendigsten Roben und innovativen Stylings (Tod und Todesengel) schwelgen kann. Neu ist, dass der Tod nunmehr ganz in Leder daherkommt und trendige Stiefelchen verpasst bekommen hat – was den rockigen, teilweise aggressiven Charakter dieser Kunstfigur unterstreicht. Die Belegschaft des Wolf’schen Etablissements bietet sich lasziv in Korsagen und Strapsen mehr ent- als gehüllt der männlichen Kundschaft an.
Choreograph Dennis Callahan hat vor 20 Jahren mit dem abgehackten Marionettenstil für das Ensemble etwas völlig Neues kreiert, und auch heute zündet dieser Stil immer noch. Beinahe schon beängstigend perfekt die Stechschritt-Synchronität des gesamten Ensembles bei der beklemmenden Hass-Szene.
Aus dem Orchestergraben tönt satter Sound des wunderbaren Orchesters der Vereinigten Bühnen. Am Premierenabend energetisch geführt vom Musikalischen Direktor Koen Schoots himself füllen die 28 hochklassigen Musiker mit der kongenialen Partitur von Sylvester Levay das ehrwürdige Theater.
Regisseur Harry Kupfer hat in enger Zusammenarbeit mit dem Autorenteam einige kleine, doch effektvolle Ergänzungen vorgenommen. So findet sich nun im ersten Akt am Ufer des Starnberger Sees, als der 15-jährige Wildfang Sisi bei ihrer Trapezeinlage abstürzt, die in der ungarischen und den asiatischen Fassungen des Stückes schon lange etablierte Ballade des Todes „Kein Kommen ohne Geh’n“. Jedoch muss man auf den an dieser Stelle von vielen sehr gemochten „Schwarzen Prinz“ nicht verzichten: Geschickt kombinieren Michael Kunze und Sylvester Levay die beiden Titel zu einem neuen Duett des Todes mit Elisabeth.
Für eine Schmunzeleinlage in dem ansonsten ja durchgehend sehr ernsten und melancholischen Stück sorgen jetzt beim Schönheitskult der jungen Kaiserin einige ziemlich echt aussehende Milchkühe, die hinterrücks zum Publikum schwanzwedelnd gemolken werden, um somit für die legendären Milchbäder der Monarchin zu sorgen.
Apropos Milch: Diese Ensemblenummer ist einer der definitiven Showstopper im ersten Akt. Was für eine Energie, was für eine Spielfreude, das ist wirklich großes, mitreißendes Kino! Überhaupt ist das Ensemble wie aus einem Guss und überzeugt in allen großen Szenen.
Die Hauptdarsteller
Annemieke van Dam ist eine bezaubernde Elisabeth. Wie sie glaubhaft die Entwicklung von der naiven, freiheitsliebenden 15-Jährigen über die sich stolz ihrer Schönheit bewussten und diese manipulativ zur Durchsetzung ihrer egozentrischen Wünsche einsetzenden Kaiserin bis hin zur rastlosen, verbitterten Monarchin wider Willen interpretiert, ist sowohl sehens- als auch hörenswert. Die ohne Zweifel anspruchsvollste weibliche Hauptrolle im Musical-Business wird von Annemieke van Dam als würdige Nachfolgerin der Ur-Elisabeth Pia Douwes glänzend verkörpert und mit klarem Sopran bewältigt.
Mark Seibert als der Tod ist der ebenbürtige männliche Widerpart. Sein Rollenprofil vereinigt sowohl unerbittliche Härte, Aggressivität, Arroganz, Zärtlichkeit und vor allem ein großes Verführungspotential. Mit geschmeidiger Eleganz wirbt er um sein Objekt der Begierde, um im nächsten Moment zornig erkennen zu müssen, dass dieses (noch) nicht seinen Verführungskünsten erliegt. Jedoch weiß er natürlich, dass sie ihm nicht entkommen kann, und drückt dies mit jeder Faser seines ansehnlichen Körpers auch aus. Dieser Tod ist männlich-markant-präsent, versprüht ordentlich Testosteron und weicht somit von der ursprünglichen Rollenzeichnung als androgynes Wesen ab. Allerdings durchaus nicht zum Schaden des Plots. Sowohl in seinem rockigen Solo Der letzte Tanz als auch in den Balladen punktet Mark Seibert. Ein besonderes Highlight sind die sogenannten Kleinen Schatten – anfangs leise, suggestiv, zärtlich steigert er diese Nummer zum fulminanten Ende hin fast a-capella. Gänsehaut!
Luigi Lucheni, sowohl der Attentäter Elisabeths als auch der zynisch durchs Stück führende Erzähler/Conferencier, wird vom jungen, begnadet talentierten Kurosch Abbasi hinreißend dargestellt. Hier stimmt einfach alles: Optik – Schauspiel – Timing – Stimme. Böse-sarkastisch kommentiert er die Geschehnisse am Wiener Hof, weiß von Anfang an, dass „so wie man plant und denkt“ es niemals kommt, und dass Elisabeths Weg geradewegs den Untergang des Habsburger Reiches einläutet. Porca miseria!
Eine Lucheni-Sequenz, die es im Übrigen schon von Beginn an im Stück gibt, verstehe ich allerdings immer noch nicht: Bei den Stationen einer Ehe betätigt sich Lucheni als Filmvorführer – so weit, so gut. Doch wie passen historische Filmausschnitte des greisen Franz Joseph zur in dieser Szene aktuellen Darstellung des jungen Kaiser-Ehepaars? Sollte mir das jemand logisch nachvollziehbar erklären können, wäre ich dankbar!
Der junge Schlaks Franziskus Hartenstein mag auf den ersten Blick etwas zu jung für den Kaiser Franz Joseph wirken, jedoch meistert er seinen Part ganz ausgezeichnet. Mit wunderbar klarer Stimme und genau der richtigen Dosis an Profil holt er aus der doch eher undankbaren Rolle das Bestmögliche heraus.
Mit Daniela Ziegler in der Rolle der streng-bösen Schwiegermutter Erzherzogin Sophie holten sich die VBW eine der profiliertesten deutschsprachigen Schauspielerinnen in die Produktion. Viele wussten es bis dahin gar nicht, aber die Mimin ist ausgebildete Musicaldarstellerin und brillierte bereits in den Neunziger Jahren als „Evita“ und als Norma Desmond an der Seite von Uwe Kröger in „Sunset Boulevard“. Sie legt ihre Erzherzogin Sophie mit weniger schneidender Schärfe, aber dafür mit viel würdevoller Haltung und Contenance an. Ein Gratmesser für die Leistung einer Sophie ist immer die Bellaria. Wenn es die jeweilige Künstlerin bei diesem mit verbittert-brüchiger Stimme vorgetragenen Titel schafft, beim Publikum so etwas wie Mitgefühl zu wecken, dann passt es – und Frau Ziegler hat es geschafft.
Die Entdeckung des Abends ist – nein, nicht alter Schwede, sondern junger Schwede! – der sympathische Anton Zetterholm. Nach kometenhaftem Aufstieg in der deutschen Musicalszene mit Hauptrollen in „Tarzan“, „Wicked“ und „Tanz der Vampire“ nun also der unglückselige, hypersensible Kronprinz Rudolf. Und – Chapeau! Eine hervorragende Leistung. Ohne auch nur den leisesten Anflug eines Akzents klar und mit schön gefärbtem Tenor punktet Anton Zetterholm auf der ganzen Linie. Sein Schauspiel ist ebenfalls wunderbar, man leidet mit ihm förmlich mit, wenn er in seinem Solo Wenn ich Dein Spiegel wär am Ende bittet: „Mama, ich brauch Dich“. Ein weiterer Höhepunkt im sich dramatisch zuspitzenden zweiten Akt ist das fulminante Duett von Tod und Rudolf, das vor 20 Jahren sogar zum Pop-Hit avancierte: Die Schatten werden länger. Großartig in der aktuellen Fassung von Mark Seibert und Anton Zetterholm interpretiert.
Publikumsliebling ist natürlich, wie in jeder Elisabeth-Aufführung, der Darsteller des kleinen Rudolf. In der Premiere wurde dieser Part, professionell wie ein alter Hase, von Aeneas Hollweg gespielt und gesungen.
Carin Filipčić liefert erwartungsgemäß eine souveräne Leistung in ihren beiden Rollen als Herzogin Ludovika und Frau Wolf, wohingegen Christian Peter Hauser als Herzog Max in Bayern solide singt und spielt, aber nicht nachhaltig in Erinnerung bleibt.
Frenetischer Beifall beim Schlussapplaus ließ Darsteller, Kreativ-Team und die Väter des Erfolgsstücks, Sylvester Levay und Michael Kunze, strahlen. Eine schöne Geste war es, die acht Hauptdarsteller der Uraufführung mit auf die Bühne zu holen. Etwas unnötig hingegen von Intendant Christian Struppeck, die Künstler nach ihren damaligen Rollen zu befragen, denn dies ist ja wirklich hinlänglich bekannt. Anrührend der Dank an den damaligen Intendanten Prof. Peter Weck, der erstmals nach seinem persönlichen Schicksalsschlag wieder in die Öffentlichkeit trat – ohne seine Vision, Überzeugung und Durchsetzungskraft hätte es wahrscheinlich „Elisabeth“ vor 20 Jahren nicht auf die Bühne des Theaters an der Wien geschafft.
Bei der anschließenden Premierenparty im Theater Ronacher wurde in ausgelassener Stimmung bis in die frühen Morgenstunden der Erfolg der neuen Inszenierung gefeiert. Unter den Gästen das Who is Who der deutschsprachigen Musical-Szene sowie sehr viel lokale Prominenz. Kleiner Auszug der Gästeliste (erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Historikerin Brigitte Hamann (schrieb die viel beachtete Elisabeth-Biographie, auf welcher seinerzeit Michael Kunze sein Libretto aufbaute), Vertreter des Hauses Habsburg, die Darsteller Pia Douwes, Uwe Kröger, Viktor Gernot, Andreas Bieber, Ethan Freeman, Else Ludwig, Ann Mandrella, Ana Milva Gomes, Felix Martin, Tobias Bieri, Maya Hakvoort, Ramesh Nair, Marika Lichter, Marjan Shaki, Lukas Perman, Alfons Haider Arvid Larsen. Die Führungsspitze der Vereinigten Bühnen Wien mit Mag. Thomas Drozda und Intendant Christian Struppek, Grandsigneur Harald Serafin, Dagmar Koller, TV-Lady Arabella Kiesbauer, u.v.a.
Bereits für Oktober ist von den VBW die Gesamtaufnahme der Jubiläumsinszenierung auf Doppel-CD angekündigt. Darauf darf man sich freuen, denn „Elisabeth ist in, man spricht von ihr seit über hundert Jahren„!
Silvia E. Loske, August 2012