München, 26.02.2012
Oldfashioned Musical – erfrischend entstaubt
Kurz vor Beginn der für ca. drei Jahre anberaumten Generalsanierung des wunderschönen klassizistischen Theaters fand letztmalig eine Aufführung des perfekt zum Stil des Theaters passenden Musicals „Grand Hotel“, das in den 30er-Jahren spielt, statt.
Der Plot des auf dem Bestseller von Vicki Baum beruhenden Romans „Menschen im Hotel“ ist, obwohl in einem anderen Jahrhundert angesiedelt, zeitlos: Menschen unterschiedlichsten Standes, Herkunft und Bildung mieten sich im Luxushotel ein, alle sind auf der Suche nach persönlichem Glück, alle werden magisch angezogen von dieser ganz speziellen Atmosphäre, die dieses traditionsreiche Haus (als Vorlage soll einst das Berliner Hotel Adlon gegolten haben) verströmt.
Indes, allen Hotelgästen, denen wir im Stück begegnen, ist eins gemeinsam: Wie dieses Flair des Besonderen bezahlen? Wir erfahren von vielfältigen Geldnöten: Der charmante Hallodri-Baron Felix von Gaigern verspekuliert sich beständig an den Börsen und wird dieserhalb von einem Geldeintreiber bedrängt, der ihn bis auf sein Zimmer verfolgt. Generaldirektor Preysing steht vor dem Bankrott, wenn sich nicht der erhoffte USA-Deal ergibt. Die einst gefeierte Primaballerina Gruschinskaja befindet sich, devot unterstützt durch ihre Gesellschafterin Raffaela, auf ihrer nunmehr achten Abschiedstournee, spielt vor halbleeren Häusern und weigert sich, weiter aufzutreten, nur das beständige Insistieren ihres Impresarios zwingt sie widerwillig zum Weitermachen – auch hier ist die Ebbe in der Kasse der eigentliche Beweggrund. Die adrette Sekretärin Fräulein Flamm, seit einem halben Jahr arbeitslos, setzt alles auf eine Karte, um im Grand Hotel einen zahlungskräftigen Gönner aufzutreiben, der ihr die naiv-erträumte Karriere in Hollywood ermöglichen soll. Der todkranke Buchhalter Kringe-lein will nicht länger im Krankenhaus dahinsiechen, kratzt all seine mageren Ersparnisse zusammen, um im Grand Hotel endlich das „Leben“ kennenzulernen. Und all dies wird zynisch kommentiert von Oberst Dr. Otternschlag, der nahezu versteinert tagaus, tagein im gleichen Sessel in der Lobby sitzt, und nur noch das Ende dieses für ihn unerträglichen Daseins erwartet. Zwischendrin immer ein elegantes, in sich versunkenes Tanzpaar, das walzerselig durch die Lobby schwebt.
Flankiert werden die Charaktere der Hotelgäste durch kurz aufscheinende Einzelschicksale der Hotelangestellten: Der Empfangspage Eric, dessen Frau in den Wehen liegt, er aber nicht zu ihr ins Krankenhaus eilen darf, weil er sonst seinen Job verliert; Tellerwäscher und Zimmermädchen beklagen ihr Schicksal; der Empfangschef macht seinem Stellvertreter eindeutige homoerotische Avancen, eilfertige Telefonistinnen summen durcheinander wie ein Bienenschwarm; die beiden „Jimmys“, die als Minstrels verkleidet die hoteleigene Bar betreiben und steppend für Schwung sorgen.
Aufgrund der temporeichen Inszenierung mit oftmals mehreren gleichzeitig stattfindenden Interaktionen wird man sofort in das quirlige Bühnengeschehen gezogen. Man nimmt Teil an den Schicksalen der Protagonisten, hat anfangs Mitleid mit dem Sympathieträger Otto Kringelein, das im Verlaufe des Stückes in Bewunderung umschlägt, beobachtet die verzweifelten Versuche des Barons, irgendwie an Geld zu kommen – doch immer, wenn sich eine illegale Gelegenheit dazu ergibt, schreckt er letzten Endes doch davor zurück, amüsiert sich über das exaltierte divenhafte Auftreten der Gruschinskaja im Verbund mit ihrem katzbuckelnden, mit starkem ungarischen Akzent behafteten Impresario Sandór, belächelt die unglaubliche Naivität des „Flämmchens“, die tatsächlich denkt, dass die Straßen in Amerika mit Gold gepflastert seien, erlebt die Wandlung des anfangs korrekt wirkenden Generaldirektors Preysing, der entschieden den Rat seines Anwalts ablehnt, der Gesellschafterversammlung gegenüber die Unwahrheit zu sagen, hin zu einem verachtenswürdigen Scheusal, das auch vor einer Vergewaltigung des von ihm als Sekretärin eingestellten Flämmchens nicht zurückschreckt.
35 Darsteller zaubern das genau richtige Flair auf die Bühne. Schwung- und temporeiche Choreographien (Hardy Rudolz) mit Charleston, Walzer und Step werden vom Musicalgastensemble ebenso gekonnt dargeboten wie die schmissigen Ensemble-Gesangsnummern.
Der größte Pluspunkt dieser Aufführung ist das grandiose Bühnenbild im Art Deco Stil von Christian Floeren, der darüber hinaus auch für die detailverliebten Kostüme verantwortlich zeichnet. Die Drehbühne wird optimal genutzt und eingesetzt, so dass sich das Hauptbühnenbild, die Hotel-Lobby, in Windeseile verwandelt in diverse Hotelzimmer, Konferenzräume, Telefonzentrale, eine Bar, einen Ballettprobensaal sowie durch einen verspiegelten herabfahrenden Prospekt zur Bühne auf der Bühne des Gruschinskaja-Ausdruckstanz-Debakels wird. Sämtliche Seiten des Orchestergrabens werden ebenfalls als Bühnenboden genutzt, so dass rechts des Orchestergrabens der Empfangsdesk und gegenüberliegend die Sitzgruppe mit dem dort verharrenden Oberst Dr. Otternschlag Platz findet. Als Verbindungsteil zwischen diesen beiden seitlichen Elementen dient ein quer vor dem Orchestergraben verlaufender Laufsteg von gerade einmal einem Meter Tiefe, was den Zuschauer bei den auch dort stattfindenden rasanten Tänzen mehrmals den Atem stocken lässt, da man im Geiste schon den ein oder anderen Darsteller/Tänzer in den Orchestergraben purzeln sieht. Doch weit gefehlt – die Darstellertruppe beherrscht ihr Handwerk, und bewegt sich auch auf diesem schmalen Steg mit traumwandlerischer Sicherheit.
An Licht und Ton gibt es nicht das Geringste auszusetzen, das Orchester überzeugt mit sattem Sound unter dem Dirigat von Andreas Kowalewitz.
Die Hauptdarsteller lassen keine Wünsche offen. April Hailer als alternde Elisaweta Gruschinskaja agiert trotz aller divenhafter Überzogenheit mit dem entsprechendem Quantum Tragik – ihr aufgrund der Liebesnacht mit dem sehr viel jüngeren Baron entfesseltes Bonjour Amour gerät zum Showstopper. Ihre langjährige Vertraute Raffaela verkörpert Marianne Larsen sehr glaubwürdig mit der richtigen Mischung aus realer Einschätzung der Lage und gleichzeitig devotem Abschirmen ihrer verehrten Elisaweta. Lucius Wolter scheint wie geschaffen für die Darstellung des verarmten, aber herzensguten Adligen der damalige Epoche, mit viel Eleganz, Charme und warmem Tenor stattet er seinen Baron von Gaigern aus. Als Flämmchen agiert Milica Jovanovic mit Verve in den Tanzszenen und anrührend mit intensivem Spiel und klargeführter Stimme. Gunter Sonneson als kranker Buchhalter Otto Kringelein ist famos in seiner Darstellung des „kleinen Mannes“, der stets sein Leben lang nur seine Pflicht erfüllt hat, bescheiden auftritt, und jetzt endlich auch einmal ein Stückchen vom glamourösen Kuchen abhaben möchte. Hardy Rudolz als Generaldirektor Preysing entwickelt seinen Bühnencharakter im Verlauf des Stückes von korrekt nach fies, und Dirk Lohr verfügt trotz seiner statisch sitzenden Rolle als Oberst Dr. Otternschlag über entsprechende Bühnenpräsenz.
Als Fazit gilt es festzuhalten, dass diese Produktion, die leider in dieser Form zum letzten Mal im Münchner Gärtnerplatztheater gezeigt wurde, sehr viel Opulentes fürs Auge bietet und eine fantastische Darstellerriege aufweist. Der Schwachpunkt des Musicals ist allerdings die Komposition – lediglich der Titelsong Grand Hotel bleibt im Gehörgang hängen.
(Silvia E. Loske)
Musik und Liedtexte | George Forrest, Robert Wright, Maury Yeston |
Buch | Luther Davis |
Inszenierung | Pavel Fieber |
Musikalische Leitung | Liviu Petcu |
Choreographie | Hardy Rudolz |
Bühne und Kostüme | Christian Floeren |
Licht | Rolf Essers |
Dramaturgie | Christoph Maier-Gehring |
Regieassistenz | Thomas Schramm |
Darsteller: | |
Elisaweta Gruschinskaja | April Hailer |
Otto Kringelein | Gunter Sonneson |
Flämmchen | Milica Jovanovic |
Baron Felix von Gaigern | Lucius Wolter |
Generaldirektor Preysing | Hardy Rudolz |
Raffaela Ottanio | Marianne Larsen |
Oberst Dr. Otternschlag | Dirk Lohr |
Sandòr / Zinnowitz | Hansjörg Hack |
Rohna, Empfangschef | Thomas Peters |
Erik, Assistenzportier | Mario Podrecnik |
Jimmy 1 und Jimmy 2 | Tom Schimon und Philipp Moschitz |