Wien – München – Tecklenburg – New York – Osaka – Belgrad – Budapest
Sylvester Levay, erfolgreicher Hollywood Filmmusik-Komponist und seit 20 Jahren der musikalische Vater von u. a. so großen Musicalerfolgen wie „Elisabeth“, „Mozart!“, „Rebecca“ und „Marie Antoinette“ ist enorm viel unterwegs für Einstudierungen, Überarbeitungen und Proben seiner Stücke und zu anstehenden Premieren. Zwischen all seinen Reisen durfte Musical Reviews (MR) ein Interview mit dem Maestro führen, das in zwei Teilen stattfand: Am 8. September – wenige Stunden nach dem Interview überschlugen sich in New York die Ereignisse zur geplanten „Rebecca“-Premiere – und aufgrund all dieser Turbulenzen Teil zwei am 22. Oktober 2012.
MR: Herzlichen Dank, lieber Herr Levay, dass Sie ein Gespräch trotz ihres sehr dichtgedrängten Zeitrahmens ermöglichen.
SL: Aber selbstverständlich gerne, wir hatten das ja vereinbart, und ich freue mich.
MR: Ich hätte einige Fragen zu „Elisabeth“ Wien mit der kürzlich stattgefundenen Premiere, einige Fragen zu „Rebecca“, unterteilt in Stuttgart, New York und London, und würde gerne, wenn möglich, etwas zu Ihren neuen Plänen/Projekten erfahren.
Wien Jubiläumspremiere „Elisabeth“: Es war ein glanzvoller Erfolg, und ein spezielles Glücksgefühl – wie waren Ihre Empfindungen in den Tagen vor und während der Premiere?
SL: Ja, also Sie können sich vorstellen, dass besonders in den Tagen direkt vor der Premiere die Nervosität hoch war, es gab noch viele Einzelheiten, die wir versucht haben, auszubügeln, wir hatten zwei Previews, die auch für uns enorm aufregend waren. Wir haben aber festgestellt, dass in den drei Tagen vor der Premiere ganz große Stufen nach oben stattfanden. Ich nehme an, dass auch dadurch, je näher die Premiere gekommen ist, die Künstler eigentlich eher lockerer und „positiv aufgeregt“ waren, weil sie merkten, jetzt ist nicht mehr dieser Streß mit den Proben, sondern jetzt geht es endlich los, es geht um’s Ganze, und das hat mir dann gerade einen Tag vorher wirklich ganz gute Hoffnung gegeben.
Als sich dann der Vorhang hob bei der Premiere, da war meine Nervosität wieder da. Doch glücklicherweise hat man es von Anfang an gespürt, dass eine Energie vorhanden war, und dass das Publikum sofort zu erkennen gab, dass es ihm gefällt. Das ist so ein Ping-Pong Effekt zwischen dem Publikum und den Künstlern auf der Bühne. Es ist alles wie eine große Familie, und wenn es so zusammenkommt, wie bei der Premiere, dann ist das echtes Theater.
MR: Ja, ich kann Sie gut verstehen, ich habe es ähnlich empfunden.
SL: Es war auch eigentlich unsere Aufgabe, dem Publikum etwas anderes zu geben, etwas Neues. Wir haben ja niemals den Gedanken gehabt, wir kämpfen jetzt gegen die Legende der Originalversion, denn es ist ja die Originalversion, nur in erweiterter Form. Die Originalversion wird ihre Aura immer beibehalten, und deshalb hat es uns das auch so schwer gemacht, weil wir wussten, dass wir nicht mit übertriebenen Schritten das erreichen können, was wir jetzt Gott sei Dank am Premieren-Mittwoch erreicht haben. Vielmehr muss man mit Feingefühl vorgehen, und dazu zählt natürlich auch, dass uns das Leading Team mit Kupfer, Schavernoch und Toelstede treu geblieben ist. Dazu gibt es einen neuen Verantwortlichen im Leading Team, Thomas Strebel, der für das Sound Design zuständig ist. Darüber bin ich ganz happy! Für manche war vielleicht die Lautstärke etwas zu stark, aber für mich war es diesmal ausbalancierter als früher, man hat auch die Texte ausgezeichnet verstanden und das Orchester, unter der phantastischen Leitung von Koen Schoots, hat richtig „einen Bauch“ gehabt, einen richtig satten Klang.
Und dass wir mit der Cast so ein Glück gehabt haben! Brigitta Thelen, die Künstlerische Leiterin der Vereinigten Bühnen, hat uns immer versichert in der zurückliegenden Zeit „wir suchen so lange, bis wir das Optimale gefunden haben“, das hat sie tatsächlich auch gemacht, und deswegen haben wir so eine phantastische Besetzung bekommen.
MR: Auch wenn natürlich im Vorfeld schon wieder einige geunkt haben, „ja, da werden einfach die drei Hauptdarsteller der Tourneeproduktion übernommen“. Aber sie sind nunmal phantastisch, die drei…
SL: Sie sagen genau die Wahrheit. Meine Frau hat auch am Anfang gefragt, „warum nehmt Ihr nicht jemand anderes, denn manche Leute werden dann eben unken“. Wir haben allen die Chance gegeben, alle gebeten, sie sollen kommen und vorsingen. Und auch die jetzigen Hauptdarsteller (Annemieke van Dam, Mark Seibert, Kurosch Abbasi, Anm. der Redaktion) mussten kommen und vorsingen, genauso wie alle anderen. Wir haben nicht gesagt, wir nehmen Euch einfach so. Wenn Ihr dabei sein wollt, müsst Ihr auch zum Vorsingen kommen. Und sie haben dann halt bei Weitem alle übertroffen.
MR: Mir fiele auch gerade niemand ein, der aktuell den Dreien in ihren jeweiligen Rollen das Wasser reichen könnte.
SL: Es kann sein, dass sich in den jungen Reihen neue Talente hervortun. Ich bin wirklich ein Fan von Talentsuchwettbewerben, leider hat ja der ORF seine Reihe dazu eingestellt, ich fand das ganz gut damals. Wir haben auch die Alicija von dieser Talentshow bei uns, die damals gewonnen hat. So etwas bringt immer Talente aus allen Ecken hervor, an die man sonst niemals rankommen könnte. Daher glaube ich auch, dass die Elisabeth in naher Zukunft mal eine deutschsprachige Künstlerin singen wird.
MR: Ja, es ist schon auffällig, dass immer Holländerinnen die Elisabeth singen und spielen…
SL: Es ist ja nicht so, dass wir ein besonderes Faible für Darsteller aus Holland haben, sondern sie haben eben ganz besondere Begabungen.
MR: Aber es sind ja auch in der aktuellen Cast völlig neue, frische Gesichter, teils direkt von der Schule. Der Franz Joseph Darsteller, Franziskus Hartenstein, der hat ja eine geniale Stimme, dass sich jeder nur fragt, wo kommt der Junge denn plötzlich her?
SL: Ja, stimmt. Franziskus ist sehr talentiert, fleissig, diszipliniert und dann diese wunderbare Stimme, also das finde ich einfach toll.
MR: Herr Levay, wie kam es zu der Änderung bzw. der Hereinnahme von „Kein Kommen ohne Geh’n“ in Verbindung mit „Schwarzer Prinz“? Wie ist das entstanden?
SL: Ein klein bisschen Schuld daran trägt auch der Herr Luketa (Geschäftsführer und Konzertveranstalter von Sound of Music Concerts, Anm. der Redaktion). Er hat vor längerer Zeit schon gebeten, ob ich bereit wäre, ihm die Noten von diesem Lied zu schicken. Und das habe ich getan, und danach nicht weiter daran gedacht. Dann war ich mit meiner Familie im Juli bei diesem Konzert Schlossfestspiele Regensburg (eine spezielle Fassung mit großem Orchester des Konzertformats „Ich gehör nur mir“, von Sound of Music Concerts, Anm. der Redaktion), und da hat dieser junge Künstler, Matthias Stockinger, diesen Titel „Kein Kommen ohne Geh’n“ gesungen und wir waren begeistert.
MR: Die Nummer wird ja schon seit Jahren in dem Konzertformat „Ich gehör nur mir“ von Sound of Music Concerts gespielt, bei dieser Konzertreihe interpretiert Jan Ammann seit zwei Jahren den „Tod“, und es kommt immer hervorragend an. Haben Sie diese Aufführung noch nie zuvor erlebt?
SL: Nein, leider. Ich hatte „Kein Kommen ohne Geh’n“ in Deutschland noch nie gehört. Ich bin es ja gewohnt von Ungarn, Korea und Japan, dort wird es immer in der Show gespielt, und die Leute lieben es, eben weil es so ein leidenschaftliches Lied ist. In Deutschland hatte ich das erst erlebt, als Matthias in Regensburg den Titel sehr schön gesungen hat und die Leute so begeistert waren, und ich auch.
Nach dem Regensburger Konzert haben Michael (Kunze) und ich Harry Kupfer gefragt, was er davon halten würde, dieses Lied in „Elisabeth“ Wien einzubauen. Nachdem Harry sich den Text durchgelesen und die gesungene ungarische Version angehört hatte, sagte er: „Das ist eine wirklich schöne, neue Facette. Das machen wir“!
Und so ist das ganz kurzfristig zustande gekommen, wie auch immer, das Konzert in Regensburg hat wesentlich dazu beigetragen.
Ach, Jan Ammann habe ich in Wien beim „Wiener Musical Sommer“ erlebt, ich hab ihn zuvor ja noch nie richtig in einem Konzert gesehen, und ich war so beeindruckt, auch meine Frau und meine Tochter waren ganz begeistert. Der Mann ist so unglaublich talentiert, Wahnsinn. Dann hat Jan beim „Wiener Musical Sommer“ die „Gier“ aus „Tanz der Vampire“ gesungen und ich dachte nur „Give me a Break…“ unglaublich! Also dieser Mann wächst immer über sich hinaus, er hat diese phantastische Dynamik, und dann diese sonore Stimme… Ich hoffe auch sehr, dass es zukünftig wieder Gelegenheit gibt, dass er in meinen Stücken spielt.
MR: Jan Ammann hat neben weiteren Ihrer Titel auch „Kein Kommen ohne Geh’n“ übrigens auf seiner Solo-CD „Musicals“ drauf…
SL: Oh – das wusste ich nicht! Die CD muss ich mir unbedingt gleich besorgen!
MR: Aber dann die Kombination mit „Schwarzer Prinz“, so dass der Titel gegen Ende zu in einem Duett des Todes mit der Elisabeth mündet, das ist schon sehr gut gelungen.
SL: Ich war hier zuhause und habe die Orchestrierung von diesem Lied aufgefrischt. Und der Michael war in Wien mit dem Harry bei den Proben und dann haben die das mit dem Mark (Seibert) probiert, und dann kamen Michael und Harry auf die Idee, den „Schwarzen Prinz“ mit dazu zu kombinieren, im Duett mit der Elisabeth. Michael schickte mir, nachts aus seinem Hotel, diesen neuen Text, und ich habe die Nummer in der Früh nochmal umorchestriert und umgearbeitet und alles per Mail nach Wien geschickt. Das waren dann wirklich nur noch sechs Tage bis zur Premiere!
MR: Mein Gott, wie knapp…
SL: So ein bisschen ähnlich wie das Lied der Baronin Waldstätten in „Mozart!“, das ist auch erst eine Woche vor der Weltpremiere entstanden.
MR: Erstaunlich, und dies ist einer der größten Hits aus „Mozart!“ geworden, „Gold von den Sternen“…
SL: Ja genau, ich war in Wien im Schloss, um die Orchestrierung zu beenden, und wir sind darauf gekommen, dass wir für die Baronin eigentlich noch ein Lied brauchen, und dann habe ich das in Wien noch rasch komponiert, der Michael den Text dazu geschrieben – da sehen Sie, wie so etwas passieren kann.
MR: Können wir jetzt zu „Rebecca“ kommen?
SL: Aber ja, gerne
MR: „Rebecca“ Stuttgart: Leider wird das Stück ja vorzeitig abgesetzt, enorm schade um dieses großartige Musical. Können Sie sich das erklären, denn es war ja immerhin in Wien seinerzeit und aktuell jetzt auch in St. Gallen ein Riesenerfolg – warum funktioniert das in Stuttgart nicht?
SL: So direkt beurteilen kann ich das leider nicht, weil mir da einige Daten und Fakten dazu fehlen. Ich versuche es mal so: Ich weiß nur, dass dieses Publikum, das das Stück in Stuttgart sieht, ausnahmslos begeistert ist, die haben dort täglich Standing Ovations, und die Show ist wirklich phantastisch. Es ist jammerschade für „Rebecca“, denn die Stage hat wirklich mit soviel Herz und immensen Investitionen und Zeitaufwand so eine wirklich weltgroße Show auf die Bühne gestellt, und jetzt wird das beendet, das ist wirklich schade, aber was kann man machen…
MR: Ich habe dazu zwei Theorien – an erster Stelle die fehlende Werbung und an zweiter Stelle die exorbitanten Ticketpreise. Es gab vor der Premiere diesen bombastischen und sicher sehr teuren Event am Stuttgarter Schloss, doch das war’s dann. Kam nichts mehr nach an TV- oder Print-Werbung oder redaktionellen Maßnahmen.
SL: Ich habe in letzter Zeit auch keine Werbung dafür gesehen, aber ich bin ja stets unterwegs und kann dadurch den Verlauf dieser Dinge nicht so genau verfolgen. Und was ich auch für möglich halte, ist, dass in den heutigen finanziell schweren Zeiten einige Leute es sich einfach nicht leisten können, in die Show zu gehen.
MR: Die Show verschwindet ja dann wohl aus Deutschland?
SL: Es wird auch davon abhängen, wie sich die Dinge jetzt entwickeln. Es wäre ja sehr schade, denn das ist eine Rieseninvestition, die dann irgendwo brach rumliegt.
MR: Eine Frage zum Inhalt der Show: Weshalb wurden jetzt, da das Ende ja zum 6. Januar 2013 schon feststeht, noch musikalische und textliche Änderungen im Stück vorgenommen?
SL: Musikalische Änderungen?
MR: Ja, beim „Rebecca“-Titelsong wird das Wort „Rebecca“ seit einigen Wochen nicht mehr so lang gezogen, wie es bisher immer war. Es wirkt jetzt ziemlich abgehackt. Unverständlich. Denn gerade dieser lang gezogene Ton ist so charakteristisch für den Titelsong, und genau das erzeugt dieses Gänsehautgefühl. Niemand versteht, was das jetzt soll.
SL: Die rhythmische Veränderung von „Rebecca“ beim Titelsong habe ich angeordnet. Eine Probeaufnahme davon habe ich auch gehört und genehmigt. Es kann ja sein, dass Sie gerade eine Aufführung gesehen haben, wo die rhythmische Darbietung nicht ganz gestimmt hat. Ich werde Klaus Wilhelm (Musikalischer Leiter Stage Stuttgart, Anm. der Redaktion) sprechen, und werde auch selber nach Stuttgart fahren und mir das anhören.
Die textlichen Änderungen anstelle von „Ich hör Dich singen“ wurden wohl von Michael Kunze in Anlehnung an die kürzlichen Änderungen für die Broadway-Fassung so durchgeführt und erklären nun deutlicher, warum Mrs Danvers so durchdreht und Manderley abfackelt, weil sie so enttäuscht ist, und ihre Welt komplett zusammenbricht, sie sich von Rebecca hintergangen fühlt.
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„Rebecca“ am Broadway.
Kurze Zusammenfassung der Ereignisse (MR):
Nachdem die ursprünglich für April angesetzte Premiere wegen nicht ausreichender Finanzierung der 12 Mio. Dollar teuren Produktion auf November 2012 verschoben werden musste, konnte auch der neue Premierentermin 18.11.12 nicht gehalten werden. Grund hierfür war, dass ein angeblicher Investor, der im Verbund mit zwei weiteren angeblichen Investoren eine 4,5 Mio Dollar Finanzierungslücke schließen sollte, „plötzlich verstarb“. Wie sich durch investigative Recherchen u. a. der seriösen New York Times nun herausgestellt hat, saßen die „Rebecca“-Produzenten (Ben Sprecher & Louise Forlenza Organisation) einem Hochstapler auf, der als Vermittler für diese Finanzierungslücke sowohl die angeblichen Investoren als auch sämtliche Adressen derselben frei erfunden hatte. Der bereits aktenkundige Betrüger wurde am 15. Oktober vom FBI verhaftet. Die Broadway-Produktion von „Rebecca“ wurde abgesagt.
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MR: Ich habe die New Yorker Medien verfolgt, Herr Levay, haben Sie irgendwelche Internas zu den Vorfällen, Sie waren ja Anfang Oktober selbst vor Ort?
SL: Es ist jetzt so, dass der Produzent, obwohl dieses Desaster passiert ist, mit allen Mitteln versucht, die Aufführung doch noch auf die Bühne zu bringen, und wenn es auch nicht direkt am Broadway ist, dann aber an einem Standort in Nordamerika, damit das nicht komplett gecancelled wird. Denn dann würden natürlich die Investoren sagen, es geht nicht weiter, wir wollen daher sofort unser Geld zurück.
MR: Und damit wären Sprecher & Forlenza persönlich haftbar…
SL: Genau so ist es. Das, was ich durch mündliche Überlieferung von „drüben“ jetzt höre, ist, dass die Sache schon weit über die Musicalszene hinausgegangen ist, ganz New York spricht darüber. Gott sei Dank ist es wohl so, dass das Stück an sich nicht Schaden erlitten hat. Ich weiß, dass da jetzt Verhandlungen für eine mögliche Aufführung laufen, aber nicht im Detail.
MR: Wenn man das so verfolgt, kann man eigentlich immer nur den Kopf schütteln und sich fragen, wie so etwas überhaupt passieren kann, wie kann man einem Betrüger, der bekanntlich erst letztes Jahr Insolvenz für über 15 Mio Dollar angemeldet hatte, so auf den Leim gehen. Nicht recherchieren, kein Due Diligence durchführen, all diese im kaufmännischen Vorfeld zwingend erforderlichen Maßnahmen bei einer Größenordnung wie dieser Produktion. Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, wenn erstmal das Stück abseits des Broadway auf die Bühne kommt, das könnte eine Chance sein.
SL: Vor drei bis vier Jahren war ja ursprünglich der Plan, in New York zu beginnen. Mit erstmal dreimonatigem Vorlauf in Toronto. Dann meinte Ben, vielleicht wäre es doch besser, zuerst nach London zu gehen, da ist dann auch einiges schiefgegangen. Wir als Autoren sitzen da leider nicht am langen Hebel, die Produzenten haben mit den VBW (Vereinigte Bühnen Wien) die Kontrolle über die Lizenz. Wir konnten immer nur das Beste hoffen…
MR: Die VBW werden aktuell von der österreichischen Presse massiv angegangen wegen der 380.000 Euro, welche die VBW in die USA-Produktion gesteckt haben.
SL: Um so einen Zug wieder in Gang zu bringen, müsste man schon gehörig Glück haben, dass jemand käme, der in Rebecca investiert. Wir müssen uns schon auch darauf gefasst machen, dass es eventuell nichts mehr wird. Für mich als Komponist hängt auch nicht mein Leben davon ab, am Broadway gespielt zu werden. Und doch haben wir uns alle im Kreativteam so sehr darauf vorbereitet, so viel Herzblut reinsteckt in das Ganze.
MR: Dies ist jetzt Publicity, die es sicher für kein anderes Musical jemals zuvor gegeben hat – andere Leute zahlen dafür, dass ihr Stück in aller Munde ist, und hier geschieht das auf diese obskure Weise…
SL: Ja, einfach unglaublich, das Ganze!
MR: Ich hatte Ihnen am 1. Oktober per E-Mail das Ergebnis der diesjährigen Leserwahl des führenden Fachmagazins „musicals“ geschickt, „Rebecca“ hat in Deutschland alle Preise abgeräumt, die überhaupt nur denkbar sind.
SL: Ach, das hat mir in New York so gut getan, da waren wir gerade auf dem emotionalen Tiefpunkt dort, vielen Dank dafür. Ich freue mich so für alle Beteiligten und die Darsteller, was für großartige Künstler!
MR: Letzte Frage zu „Rebecca“: Haben Sie eine Lieblingsnummer, welche ist das?
SL: In „Rebecca“ habe ich einige Nummern, die ich liebe, aber eine Nummer habe ich besonders lieb, das ist das erste Lied der „Ich“ im zweiten Akt – „Und das, und das, und das“. Gerade weil das so ein „kleines“ Lied ist, rührt mich das sehr.
Aber wenn Sie mich so richtig fragen, welches ist für mich die große Nummer, die mich am meisten bewegt, dann ist das immer wieder „Invincible“ (Sie ergibt sich nicht).
MR: Kann ich nachvollziehen, geht mir genau so. Wenn gerade Pia zum Ende hin nochmal nach oben steigert, dann jagt mir das einen Schauer nach dem anderen über den Rücken, und es schnürt mir die Kehle zu.
SL: Ja, ganz genau! Wir haben vor zehn Jahren ein Reading gemacht für die Stage in Essen und dort haben Michael und ich das zum ersten Mal so erlebt. Und als es genau an die Stelle kam, die Sie gerade beschrieben haben, hat sich Michael zu mir umgedreht und wir beide hatten ein „Smile on our Faces“, gerade wenn Pia das singt, ist es unglaublich.
MR: Sie hatten die Danvers-Lieder ja ursprünglich auch für Pia geschrieben…
SL: So ist es, ja. Es hat dann nur leider nicht geklappt mit Pia, weil sie nicht aus ihrem 3-Musketiere-Vertrag raus konnte. Es war für uns schon sehr traurig. Denn Uwe und Pia damals zusammen, das wäre schon sehr schön gewesen.
MR: Gehört vielleicht „Kein Lächeln war je so kalt’“ auch zu Ihren Favoriten?
SL: In der Tat, „Kein Lächeln“ gehört zu meinen Lieblingskompositionen. Und zwar weil das ein Lied ist, wo ich nicht das Lied zuerst komponiert habe, sondern ich hab das absolut Wort für Wort zum Text komponiert. Michael hat mir die Grundidee geschickt, ich hab mir das durchgelesen, und dann bat ich Michael, den kompletten Text zuerst zu schreiben, weil ich nach Text komponieren wollte. Ich möchte mich vom Text leiten lassen. Das war für mich eine der schönsten kompositorischen Arbeiten.
MR: Weil es ja auch so eine Mischung ist aus gesprochenem Monolog, Dialog mit der „Ich“, gesungener Sequenz, hoher Dramatik. Es nimmt einen komplett gefangen und mit auf die Reise.
SL: Genau – das ist ein „Minimusical“!
MR: Stehen denn aktuell in Europa weitere „Rebecca“ Aufführungen an?
SL: Ja – ich komme gerade aus Belgrad zurück, dort wird am 9. Dezember die Premiere im Madlenianum Opera & Theatre stattfinden, mit einem 24-köpfigen Ensemble und großem Orchester.
MR: Dafür wünsche ich schon einmal viel Erfolg!
Kommen wir zum Stichwort „neue Projekte“… Ich habe läuten hören, dass Herr Kunze und Sie bereits einen weiteren europäischen historischen Stoff in Arbeit haben, können Sie dazu einen ungefähren Zeitrahmen nennen?
SL: Aber gerne. Hierzu sind wiederum Michael und ich gebeten worden von den Produzenten von „Marie Antoinette“, der japanischen TOHO-Theatergruppe – die Japaner sind so europäisch-historisch begeistert, die sind richtige Freaks – ein Stück über das Leben einer historischen Figur zu schreiben und wir haben zugesagt, nicht nur aus Dankbarkeit, sondern weil uns wirklich auch dieser Stoff berührt hat. Die Premiere in Tokio ist für das Frühjahr 2014 geplant. Den Titel kann ich noch nicht sagen, weil hierzu bald eine Pressekonferenz stattfinden wird.
MR: Kann man dann davon ausgehen oder darauf hoffen, dass es das Stück auch nach Deutschland schafft?
SL: Wir hoffen es sehr! Das ist aber auch nicht das Ende der Straße für Michael und mich, wir haben da schon noch gezielt für unseren Sprachraum auch weitere Ideen.
MR: Das hört sich spannend an. Eine letzte Frage: Der deutsche Musicalmarkt driftet ja leider immer mehr Richtung Compilation-Musicals und in die Spaßfraktion ab, die DramaMusicals werden immer weniger und immer mehr an den Rand gedrängt. Wie beurteilen sie diese Situation?
SL: Dies würde ich gerne mit einem Beispiel aus Wien beantworten. Dort spielt man im Theater Ronacher seit Jahren leichtere Stücke, und im Raimund Theater, wie gerade auch aktuell mit „Elisabeth“, ein DramaMusical. Das ergibt eine wunderbare Balance, und wäre eigentlich eine Optimallösung. Es wäre schön, wenn zum Beispiel in Städten in Deutschland, in denen es mehrere Musicaltheater gibt, es auch so gemacht würde.
Michael und ich, wir glauben, dass das Publikum, wenn es ein DramaMusical sieht, dieses auch sehr mag. Auch wenn es ein trauriger Stoff ist, sind die Zuschauer trotzdem glücklich, dass sie das erlebt haben, denn sie nehmen etwas Schönes mit nach Hause.
In einem lustigen Musical wird man aufgeheitert, was auch wichtig ist, und in einem DramaMusical findet man sich selbst irgendwo wieder, man erlebt dort emotionale und schwere Situationen, die anderen Menschen zustossen, das ermutigt und tröstet einen doch.
Das ist jetzt nicht mehr ganz geheim, ich habe es in unserem Kreis schon bekanntgegeben, dass ich beabsichtige, nächstes Jahr die „Mozart!“ Partitur zu überarbeiten, sie zu modernisieren, sie etwas rockiger zu machen, aber doch im Ganzen klassisch zu belassen. Wir werden dann sehen, ob und wo wir damit eine Aufführung kriegen, denn ich glaube, „Mozart!“ hat immenses Potenzial. In Asien und Ungarn läuft das mit Riesenerfolg seit zehn Jahren, und ich glaube, dass der deutschsprachige Raum mit „Mozart!“ auch wieder etwas Schönes erleben kann.
Wir hatten damals das Pech, dass „Mozart!“ in Hamburg in die Ablösephase von Stella zur Stage fiel. Stage hat „Mozart!“ geliebt, aber es war zum damaligen Zeitpunkt eine ganz schwierige Lage, und eine Übernahme unmöglich. Ich gebe meinen Glauben an „Mozart!“ nicht auf.
MR: Wunderbar – „Mozart!“ hat so eine Fülle an phantastischen Melodien, und obendrein einen Stoff und eine Figur, womit wirklich jeder etwas anfangen kann.
SL: Sehen Sie, hier sehe ich eine Chance, in ein paar Jahren unsere Jungtalente zu aktivieren. Dass wir da wirklich etwas Frisches und Herzrührendes hinbekommen. Drücken Sie mir die Daumen!
MR: Aber selbstverständlich gerne! Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Zeit und Offenheit und darf Ihnen für all Ihre kommenden Projekte nur das Allerbeste wünschen.
(Silvia E. Loske, 8.9./22.10.2012)